Geschäft mit Erdgas Ukraine: Arm durch Nord Stream 2?

13. August 2021, 10:11 Uhr

Die baldige Fertigstellung der umstrittenen Pipeline Nord Stream 2 stellt die Ukraine vor Probleme. Ein Wegfall des russischen Gastransits könnte Kiew bis zu zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes kosten. Für den Notfall hat die Ukraine mehrere Pläne parat, aber keinen sicheren Ausweg. Dabei flirtet das Land sogar mit China.

Gaspipeline in der Ukraine
Dreht Nord Stream 2 der Ukraine den Geldhahn zu? Bildrechte: imago images/CTK Photo

Die Ukraine lässt sich den Transit russischen Gases durch ihr Land gut bezahlen: Der aktuelle Transitvertrag, der Ende 2019 unterschrieben wurde, soll Kiew insgesamt rund sieben Milliarden US-Dollar bringen. Doch Ende 2024 laufen die Verträge aus. Und mit Nord Stream 2 haben sich die Russen dann unabhängig von den ukrainischen Pipelines gemacht. Sollte die Ukraine mit Vertragsablauf den gesamten Gastransit aus Russland verlieren, würde das ein Minus von zwei Prozentpunkten des Bruttoinlandsproduktes, 3,1 Milliarden US-Dollar, pro Jahr bedeuten, so der staatliche Energiekonzern Naftohas. Das wäre ein großer Verlust für den ohnehin schlanken Staatshaushalt.

Außerdem geht es bei dem umstrittenen Projekt für die Ukraine um Sicherheitsaspekte: Ist der Kreml gezwungen, weiterhin Gas durch die Ukraine zu transportieren, würde er davor zurückschrecken, sich noch stärker militärisch im Nachbarland zu engagieren, heißt es aus Regierungskreisen.

Kiew fühlt sich vom Westen verraten

Indes rückt die Fertigstellung der neuen Ostsee-Pipeline näher. Gazprom nutzt die Situation jetzt schon, um Druck zu machen. Bereits 2020 reduzierte der russische Energiekonzern seinen Gastransit um 38 Prozent, das ist der niedrigste Wert seit 30 Jahren. "2022 wird das tatsächliche Transitvolumen noch einmal verkleinert. Damit wird es noch schwieriger, gewisse Qualitätsstandards zu erfüllen", erklärt Jurij Witrenko, Naftohas-Vorstandsvorsitzender, dem MDR. Es gehe darum, dass ein gewisses Mindestvolumen an Gas durch das Netz geleitet werden muss, damit dieses einwandfrei funktioniere. Doch die ukrainischen Pipelines haben heute schon eine Auslastung von unter 30 Prozent. Zudem beklagt Witrenko, dass Russland aktuell den Zugang von Drittländern, etwa von Exporteuren aus Zentralasien wie Turkmenistan, zum ukrainischen Netz blockieren würde. Sollte Russland seinen Gastransit ab 2025 einstellen, hätte die Ukraine gleich ein doppeltes Problem. Es würde nicht nur das Geld aus Russland fehlen, die Ukraine müsste dann auch Geld locker machen, um die Pipelines funktionsfähig zu halten.

Aus ukrainischer Sicht sind auch die westlichen Partner in dieser Situation keine große Hilfe. Die jüngste gemeinsame Erklärung, die Deutschland und die USA zu Nord Stream 2 Ende Juli abgegeben hatten, ist in Kiew als Verrat an ukrainischen Interessen kritisiert worden. Darin verpflichtet sich Berlin, größtmöglich dazu beizutragen, dass ein neuer zehnjähriger Transitvertrag mit Russland unterzeichnet wird. Die Verhandlungen dazu sollen spätestens zum 1. September beginnen. Der Kreml schließt einen neuen Vertrag nicht grundsätzlich aus, Garantien für die Ukraine gibt es aber keine.

Auf der Suche nach einem Plan B

In dieser Situation braucht die Ukraine dringend einen Plan B. Optionen, wie die Steigerung der eigenen Gasexporte oder die Nutzung der Gasinfrastruktur für die Durchleitung von grünem Wasserstoff, sind jedoch langwierig, aufwändig und brauchen Milliardeninvestitionen. Da lässt manch einer in Kiew gerne den Blick Richtung Osten schweifen. Und mit Osten ist neben Ländern wie Türkei und Katar vor allem China gemeint.

 "Wenn der Westen sich mit Russland anfreunden will und einen Teil der ukrainischen Interessen aufgeben sollte, werden wir uns dem Osten zuwenden", meinte zuletzt Olexij Arestowytsch, Sprecher der ukrainischen Delegation bei den Minsker Verhandlungen zum Krieg in der Ostukraine. Das Außenministerium hat Arestowytschs Statement zwar kritisiert: Schließlich ist der Kurs der Ukraine in Richtung EU- und NATO-Mitgliedschaft inzwischen sogar in der Verfassung festgeschrieben. Ein alleiniger Ausrutscher war das aber sicher nicht.

Die Ukraine flirtet mit China

Möglicherweise war es ein Zufall, dass das erste Telefonat zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping unmittelbar nach dem für Selenskyi enttäuschenden Berlinbesuch Mitte Juli stattfand. Zuvor hatten hochrangige Mitglieder der ukrainischen Präsidentenpartei China zum 100. Geburtstag ihrer Kommunistische Partei gratuliert. Außerdem sollen Ukraine und China einen Vertrag über gemeinsame Infrastrukturprojekte im Wert von mehr als einer Milliarde US-Dollar abgeschlossen haben. Und es gibt Spekulationen darüber, dass die Asiaten ein Auge auf die äußerst fruchtbaren landwirtschaftlichen Nutzflächen in der Ukraine geworfen haben und im Gegenzug günstige Kredite in Aussicht stellen würden.

Ein kompletter Kurswechsel Kiews ist aufgrund der großen politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Westen kaum vorstellbar. Allerdings ist Peking bereits heute schon der größte Handelspartner für die Ukraine. Und während Kiew aktuell keine neuen internationalen Kredite erwartet, ist der Flirt mit China eventuell ein Weg, um die Lücke zu schließen, die die Nord Stream 2 Pipeline voraussichtlich in den Staatshaushalt reisen wird.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL Radio | 29. April 2021 | 15:00 Uhr

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