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Corona-AufbaufondsKritik an Zuschüssen für Polen

12. Juni 2022, 05:00 Uhr

Polen kann mit der Auszahlung blockierter Milliarden aus dem Corona-Aufbaufonds rechnen. Warschau kann mit rund 36 Milliarden Euro rechnen, wovon 24 Milliarden nicht zurückgezahlt werden müssen. Gleichzeitig ist aus Sicht vieler Beobachter die Unabhängigkeit der Justiz in dem Land nach wie vor nicht gewährleistet. Dazu gibt es kritische Reaktionen.

Die Stimmung im EU-Parlament hat sich in den vergangenen Tagen spürbar verändert. Eine große Mehrheit der Abgeordneten ist nun bereit, den neuen Kurs der EU-Kommission hinzunehmen. Das sei nicht gut, sagt der grüne Europapolitiker Daniel Freund. Nach wie vor würden in Polen unbequeme Richter reglementiert, die Gerichte mit Gefolgsleuten der Regierung besetzt und der Rechtsstaat systematisch abgebaut.

Außerdem hätten sich seit Beginn des Krieges in der Ukraine die Angriffe auf die unabhängige Justiz beschleunigt und intensiviert. "Nichts hat die polnische Regierung bisher zum Einlenken bewegt. Nicht die vielen Vertragsverletzungsverfahren, Urteile des Europäischen Gerichtshofs, nicht das Grundrechteverletzungsverfahren nach Artikel 7, was die Kommission eingeleitet hat. In dieser Situation jetzt einen Schritt zuzugehen auf die polnische Regierung, ist das völlig falsche Signal", findet Freund.

Zahlungen gekoppelt an Meilenstein

Das sieht Kommissionschefin von der Leyen völlig anders. Man habe sich mit Warschau auf sogenannte Meilensteine geeinigt. So müsse die Disziplinarkammer aufgelöst und das Disziplinarrecht, nachdem ein polnischer Richter beispielsweise nicht den Europäischen Gerichtshof anrufen kann, abgeschafft werden. Außerdem sollen zu Unrecht entlassene Richter wieder eingesetzt werden.

Diese drei Meilensteine müssten erfüllt werden, bevor eine Zahlung erfolgen kann. "Ich weiß, dass einige von Ihnen skeptisch sind, aber ich kann Ihnen versichern, dass keine Zahlung erfolgt, bis diese Reformen durchgeführt sind. Also eine erste Zahlung  gibt es erst, wenn ein neues Gesetz in Kraft getreten ist, in dem die Vereinbarungen umgesetzt werden", versichert von der Leyen.

Unabhängigkeit der polnischen Justiz schwer zu garantieren

Voraussichtlich noch im Sommer wird Präsident Duda das Gesetz unterschreiben und im September dann die erste viereinhalb Milliarden Tranche freigegeben. An die Stelle der umstrittenen Disziplinarkammer tritt dann beispielsweise die Kammer für berufliche Verantwortung.

Nicht nur Thu Nguyen, Europarechtsexpertin beim Jacques Delors Center in Berlin, ist skeptisch, ob dieses Gesetz ausreichen wird, die Unabhängigkeit der polnischen Justiz zu garantieren: "Es ist natürlich kein gutes Signal, dass jetzt der Eindruck entsteht, die Kommission nimmt mit der Genehmigung der Pläne, die Situation in Polen einfach hin. Gleichzeitig ist der Prozess natürlich nicht zu Ende. Erst muss noch der Rat der Genehmigung zustimmen." Und selbst dann würde nur ein Teil des Geldes fließen, nachdem Polen die Reformen umgesetzt hat.

Aus Sicht der Wissenschaftlerin muss man die Problematik im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine sehen und vor allem der großen Bereitschaft Polens, Millionen Geflüchtete aus der Ukraine aufzunehmen.

Forderung: Geld nur für die Unterbringung Geflüchteter

Aber die EU dürfe auch nicht zusehen, wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit abgebaut würden, sagt Katarina Barley. Die Sozialdemokratin ist Vizepräsidentin des EU-Parlaments und betont, dass das polnische Volk Unglaubliches bei der Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine leiste und ihnen dafür Respekt und finanzielle Unterstützung gebühre. "Das darf man aber nicht vermischen mit der Unabhängigkeit der Justiz. Im Ergebnis heißt das, sie müssen alles bekommen, was sie brauchen, um die Flüchtlinge unterbringen zu können. Aber eben zweckgebunden nur dafür. Die Wiederaufbaumittel müssen gesperrt bleiben, solange die Unabhängigkeit der Justiz in Polen nicht wiederhergestellt ist", sagt Barley.

Vorerst ist allerdings wenig wahrscheinlich, dass der von der EU-Kommission aufs Gleis gestellte Zug schnell wieder zu stoppen ist. Auch die Drohung einiger Parlamentarier, bei ungerechtfertigter Auszahlung der Hilfsgelder ein Misstrauensvotum gegen die EU-Kommission einzuleiten, wird angesichts der aktuellen Situation wenig ernst genommen.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 12. Juni 2022 | 06:00 Uhr

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