Polnischer Parlamentspräsident Marek Kuchcinski
"Salamitaktik" brachte nichts: Polens Parlamentspräsident Kuchciński tritt zurück. Bildrechte: Verfügbar für Kunden mit Rechnungsadresse in Deutschland. | Piotr Polak

Rücktritt wegen Flugaffäre Polnischer Parlamentspräsident "macht den Abflug"

08. August 2019, 20:30 Uhr

Weit über 100 Mal soll Marek Kuchciński den Regierungsflieger genutzt haben, meist um zu seinem Wohnort nahe der Stadt Rzeszów zu kommen. Lange bestritt er das, räumte nur das ein, was man ihm nachweisen konnte. Nun tritt er zurück.

Polens Parlamentspräsident Marek Kuchciński will am Freitag sein Amt niederlegen. Das gab der Politiker der rechtsnationalen Regierungspartei PiS in Warschau bekannt. Er zieht damit die Konsequenz aus der Affäre um seine exzessiven Flüge mit Regierungsmaschinen.

Privat in der Regierungsmaschine

Kuchciński war in die Kritik geraten, weil er viele Flüge offenbar nur aus privaten Gründen unternommen hatte. Dabei soll er mehrfach Familienangehörige und Parteikollegen im Regierungsflugzeug mitgenommen haben. Fast alle seiner mehr als 100 Flüge erfolgten zwischen Warschau und seinem Wohnort nahe der Stadt Rzeszów.

Sie wurden nach denselben Vorschriften durchgeführt, die für Flüge des Staatspräsidenten und des Regierungschefs gelten, was die Kosten enorm in die Höhe trieb. So mussten jedes Mal eine Ersatzmaschine samt Besatzung bereitgehalten und der Luftraum am Start- und Zielort gesperrt werden. Medienschätzungen zufolge sollen die Luftreisen des Parlamentspräsidenten mindestens vier Millionen Złoty - umgerechnet knapp eine Million Euro - verschlungen haben.

Vorwürfe der Verschleierung

Für Empörung sorgt in Polen Kuchcińskis "Salamitaktik" bei der Aufklärung der Affäre, oder vielmehr der Verschleierung, wie viele ihm vorwerfen. Tagelang kamen immer neue Details ans Licht, der Parlamentspräsident gab jedoch immer nur so viel zu, wie der aktuelle Stand der Presse-Enthüllungen erzwang.

Zunächst bestritt er alles. Später räumte er ein, 23 Mal Angehörige mitgenommen zu haben – das hätte jedoch keine zusätzlichen Kosten für den Staatshaushalt verursacht, da er ohnehin geflogen wäre und die Flüge im Zusammenhang mit seiner Arbeit gestanden hätten.

Schließlich räumte er ein, dass seine Ehefrau einmal allein mit der Regierungsmaschine geflogen ist. Selbst den Vorsitzenden der Regierungspartei PiS, Jarosław Kaczyński, soll der Parlamentspräsident über seine zwielichtigen Flüge belogen haben. Das soll Parteikreisen zufolge der letzte Tropfen gewesen sein, der nun zu seinem erzwungenen Rücktritt führte.

Treuer Parteisoldat der PiS

Kuchciński ist seit der letzten Wahl im Oktober 2015 Parlamentspräsident. Er gilt als treuer Parteisoldat und ist bei den Abgeordneten der Opposition äußerst unbeliebt, da er deren Redezeit streng reglementiert, ihnen das Wort entzieht und alle Verstöße gegen die Parlamentsordnung mit Diätenkürzungen ahndet.

Berüchtigt sind auch die von ihm angesetzten Parlamentssitzungen bis tief in die Nacht hinein, in denen Gesetzentwürfe der PiS im Blitztempo beschlossen wurden. Auch Zutrittsbeschränkungen für Pressevertreter und ein hartes Vorgehen gegen Demonstranten im und vor dem Parlament gehen auf ihn zurück.

Riss am Image der Saubermänner-Partei

Viele Polen sind auch deshalb über die Flugaffäre empört, weil die PiS-Partei bei der letzten Wahl als Partei der moralischen Erneuerung in der Politik angetreten war und der Vorgängerregierung Arroganz und Entfremdung vom Normalbürger vorwarf. Dabei wurden den Politikern der damals regierenden Bürgerplattform PO weitaus kleinere "Vergehen" angekreidet, etwa teure Markenuhren von Verkrehrsminister Sławomir Nowak oder eine Tintenfisch-Mahlzeit von Außenminister Radosław Sikorski in einem angesagten Warschauer Restaurant. "Tintenfisch" ist in der polnischen Ugangssprache dadurch sogar zu einem geflügelten Wort geworden, das für Arroganz und Luxusliebe von Politikern steht.

Am 13. Oktober wird in Polen ein neues Parlament gewählt. Umfragen sehen derzeit die regierende PiS-Partei vorn.

(baz)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 08. August 2019 | 17:00 Uhr

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