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Die meisten Polen würden von der Steuerreform profitieren und mehr Geld im Portemonnaie behalten, wiederholt die polnische Regierung gebetsmühlenartig. Doch gleich zu Beginn registrierten Tausende Polizisten und Lehrer ein dickes Minus auf ihren Gehaltszetteln. Bildrechte: PantherMedia / pawel sonnenburg

PolenWarum die große Steuerreform der PiS nach hinten losgeht

04. Februar 2022, 10:57 Uhr

Eigentlich sollte die Steuerreform ein großer Wurf werden und der PiS-Partei in Polen den nächsten Wahlsieg sichern. Stattdessen entwickelt sie sich zunehmend zu einem PR-Desaster. Verantwortlich dafür sind eine schludrige Vorbereitung, eine grassierende Inflation und steigende Energiepreise.

Viele Lehrer und Polizisten trauten Anfang Januar ihren Augen nicht: Auf ihren Gehaltszetteln wurden einige Hundert Złoty Netto weniger als sonst ausgewiesen. Dabei hatte die Regierung doch versprochen, dass die meisten Polen nach der Steuerreform der PiS mehr Geld im Portemonnaie haben werden oder zumindest genauso viel wie bislang – nur die wirklich Reichen würden draufzahlen müssen. Umso unangenehmer war die Überraschung, als Vertreter dieser beiden Berufsgruppen, die bestenfalls im mittleren Einkommenssegment angesiedelt sind und in Polen garantiert nicht zu den Großverdienern zählen, ein Minus auf dem Konto feststellen mussten.

Sie bekamen die Unausgegorenheit der Steuerreform in Polen als erste zu spüren, weil ihre Gehälter schon am Monatsanfang überwiesen werden. Sie tappten meist unwissend in eine Steuerfalle, weil sie das neue, komplizierte Steuersystem nicht durchschauen und beispielsweise ein Formular nicht abgegeben hatten, das ihre Steuerlast gemindert hätte. Das fehlende Geld können sie sich zwar, wie inzwischen klargestellt wurde, im nächsten Jahr über die Steuererklärung zurückholen. Aber: Sie brauchen es jetzt, nachdem die Inflation fast neun Prozent erreicht hat und die Gaspreise um ein Mehrfaches gestiegen sind! In einer derart angespannten Lage wurde vielen Familien das vorhandene Haushaltseinkommen gekürzt. Kein Wunder, dass die Menschen sauer sind.

Steuerreform soll der PiS-Partei Wahlsieg sichern

Während das Staatsfernsehen TVP und die regierungsnahe Presse das Problem kleinreden, versucht die Regierung panikartig, den Unmut zu kanalisieren: sie bessert bei den Vorschriften nach, die zu diesen Steuerabzügen geführt haben und verspricht Ausgleichszahlungen schon im Februar. Auch diese blitzschnelle Reaktion verwundert nicht, denn die Steuerreform war zentraler Eckpfeiler eines Reformpakets namens "Polnische Ordnung", das die PiS 2023 zum dritten Mal in Folge zum Wahlsieger machen sollte.

Die Steuerreform ist Grundpfeiler eines größeren Maßnahmenpakets namens "Polnische Ordnung", mit dessen Hilfe die regierende PiS-Partei die kommende Wahl gewinnen will. Bildrechte: imago images/NurPhoto

Den Reichen nehmen, den Armen geben

Auf dem Papier ist die Idee simpel und genial zugleich: den Reichen nehmen und den Armen geben. "Rein zufällig" gibt es unter den Geringverdienern in Polen besonders viele PiS-Wähler, während Besserverdiener eher mit der Opposition sympathisieren – ein Schelm, wer Böses dabei denkt oder gar das Wort "Stimmenkauf" in den Mund nimmt!

Grundzüge der polnischen SteuerreformDie Änderungen sind komplex. Zu den wichtigsten zäht aber die Anhebung des Steuerfreibetrags von derzeit 8.000 auf 30.000 Złoty. Davon sollen vor allem Menschen mit niedrigeren Einkommen profitieren. Die zweite große Änderung: Alle müssen künftig einen Krankenkassenbeitrag in Höhe von neun Prozent des Einkommens bezahlen. Außerdem kann dieser Beitrag nicht mehr steuerlich abgesetzt werden. Dadurch werden vor allem Selbständige stärker zur Kasse gebeten. Familien mit mindestens vier Kindern, Rentner, die wieder arbeiten gehen, sowie Polen, die aus dem Ausland heimkehren, werden steuerlich besonders begünstigt.

Die Regelungen werden als sehr komplex kritisiert, so dass selbst erfahrene Steuerfachleute sich mühsam einarbeiten müssen. Viele Steuerzahler tappen daher unwissend in eine Falle, z.B. weil sei ein bestimmtes Formular nicht rechtzeitig abgeben, dass sich steuermindernd auswirkt, oder weil sie bei mehreren Arbeitgebern arbeiten.

Die Steuerreform ist in dieser Hinsicht das Nachfolgeprojekt des inzwischen legendären Kindergeldes 500+, das es zu Beginn der PiS-Ära gab. 2015 spülte es die Partei regelrecht an die Macht. Unter dem Namen 500+ verbirgt sich eine neu eingeführte soziale Leistung in Höhe von 500 Złoty pro Kind. Sie half, die Armut am unteren Ende der sozialen Pyramide zu begrenzen – anfangs von der Opposition stark kritisiert, wird sie inzwischen parteiübergreifend als sinnvoll anerkannt.

Was aber damals wie heute kritisiert wird: Die PiS-Partei betrieb damit eine Art Stimmenkauf mit Steuergeldern und schuf sich eine treue Wählerbasis. Die Angst, das Kindergeld zu verlieren, motivierte auch bei der Wahl 2019 noch viele, ihr Kreuz bei der PiS zu machen. Doch inzwischen ist die Dankbarkeit für das Kindergeld verflogen, also musste etwas Neues her: die besagte Steuerreform.

Auch viele alleinerziehende Mütter werden durch die Steuerreform der PiS benachteiligt – sie verlieren die Möglichkeit, mit dem Kind zusammenveranlagt zu werden. Bildrechte: imago images/Cavan Images

Chaotische Umsetzung, viele Verlierer

Die Reform sollte unbedingt noch 2022 in Kraft treten, weil es das letzte volle Steuerjahr vor der Wahl im Herbst 2023 ist. Doch die Umsetzung unter Zeitdruck führte zu Fehlern, die nun den Erfolg des Unternehmens gefährden. Denn Polizisten und Lehrer sind nicht die einzige Gruppe, die von der Reform – vermutlich unbeabsichtigt – finanziell getroffen wurden. Eine erste große Korrektur wurde noch vor Inkrafttreten der Reform vorgenommen, als bekannt wurde, dass nicht nur die "wirklich Reichen", sondern bereits Arbeitnehmer mit mittleren Einkommen werden draufzahlen müssen.

Damals gab es den ersten Aufschrei der Empörung. Die Regierung beschloss daraufhin den sogenannten Mittelschichtbonus, der das abfedert. Eine weitere benachteiligte Gruppe sind alleinerziehende Eltern. Bislang wurden sie mit dem Kind zusammenveranlagt, hatten also eine Art Ehegattensplitting, bei dem das Kind steuerlich als "Ehegatte" galt und die Steuerlast halbierte. Diese Regelung wurde durch einen pauschalen Steuerabzug ersetzt, der aber nur teilweise die Verluste der Betroffenen ausgleicht.

Regierung bessert nach, Propagandaeffekt geht flöten

Regelmäßig kommen solche Systemlücken ans Licht: Fallstricke, die ahnungslose Steuerzahler (beinahe) zu spät entdecken, zum Beispiel Antragsfristen für bestimmte Steuervergünstigungen, oder (vermutlich unbeabsichtigte) Benachteiligungen von Steuerzahlergruppen, die man nicht ohne Weiteres als "Reiche" bezechen kann. Die Regierung reagiert jedes Mal mit beschwichtigenden Sprüchen und flickt das Gesetzeswerk. Doch dadurch verpufft der erhoffte propagandistische Effekt. Schließlich wollte sich die PiS mit der Steuerreform als diejenige Partei präsentieren, die "denen da oben" nimmt und dem Durchschnittsbürger gibt. Der wahlsiegsichernde große Wurf droht, zu einem Rohrkrepierer zu werden.

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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 22. Januar 2022 | 07:20 Uhr