ErmittlungenPolen: Wie die PiS den Staat als Selbstbedienungsladen missbraucht hat
Der ehemaligen Regierungspartei PiS wird vorgeworfen, staatliche Mittel für Wahlkampfzwecke missbraucht zu haben. Das könnte sie nun bis zu 75 Prozent ihrer staatlichen Parteienfinanzierung kosten. Die Vorwürfe sind aber auch strafrechtlich relevant und – sollten sie sich bewahrheiten – an Dreistigkeit kaum zu überbieten.
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Die finanzielle Zukunft der PiS-Partei, die zuletzt von 2015 bis 2023 in Polen regierte, liegt derzeit in den Händen der staatlichen Wahlkommission (PKW). Deren Aufgabe ist es zu überwachen, ob Wahlen und der dazugehörige Wahlkampf ordnungsgemäß ablaufen. Diese Kommission hat bis Ende des Monats zu entscheiden, ob sie den Finanzbericht der PiS in Bezug auf ihre Wahlkampfausgaben annimmt und damit Gelder in Höhe von rund 100 Millionen Złoty (rund 23,4 Mio. Euro) freigibt – oder eben nicht.
In Polen erhalten die Parteien eine großzüge staatliche Finanzierung – und zwar bemessen an ihrem Wahlerfolg. Außerdem erhalten sie – wie auch die Parteien in Deutschland – einen Teil ihrer Wahlkampfkosten vom Staat zurückerstattet. Gleichzeitig ist die Wahlkampffinanzierung streng reguliert. Die Berichte aller anderen Parteien wurden bereits genehmigt – nur die Genehmigung für die PiS steht aus. Hier muss die neunköpfige Kommission noch prüfen, ob die Partei sogenannte nicht-monetäre materielle Vorteile erhalten hat.
Vorwürfe der Untreue
Denn es stehen Vorwürfe im Raum, dass die PiS-geführte Regierung staatliche Ressourcen für den Wahlkampf missbraucht hat. Sieht die Kommission dies als erwiesen an, könnte sie der PiS als Strafe bis zu 75 Prozent der ihr zustehenden staatlichen Parteienfinanzierung streichen. Bereits zwei Mal hat sie ihre Entscheidung vertagt, um Unterlagen anzufordern, Dokumente und Beweise zu sichten. Gleichzeitig ermittelt auch die Staatsanwaltschaft in zahlreichen Fällen wegen des Verdachtes der Veruntreuung von Steuergeldern.
Für die PiS wäre ein negativer Bescheid eine finanzielle Katastrophe, denn die Partei ist hoch verschuldet. Alleine für ihren letzten Wahlkampf hat sie nach eigenen Angaben 38,8 Mio. Złoty (rund 9,1 Mio Euro) ausgegeben. Nun hofft sie auf eine Rückerstattung, ohne die sie einen fälligen Kredit in Höhe von 15 Mio. Złoty (rund 3,5 Mio. Euro) nicht bedienen kann.
Seit dem Regierungswechsel tauchen immer wieder Informationen auf, dass die PiS und ihre Partnerpartei "Suwerenna Polska" (Soveränes Polen; bis 3.5.2023 "Solidarna Polska" also Solidarisches Polen - d. Red.) Ministerien, Behörden und staatliche Unternehmen und deren Ressourcen dafür missbraucht haben, um sich den Wahlsieg zu sichern. Und zwar in einem bisher ungekannten Ausmaß: Nach Angaben der heutigen Regierungskoalition sollen mehrere hundert Millionen Złoty auf diesem Weg in die gemeinsame Wahlkampfkasse der Parteien geflossen sein.
Mutmaßlich besonders dreist: Das Justizministerium
Das spektakulärste Beispiel für die mutmaßliche Veruntreuung von Steuergeldern ist der "Gerechtigkeitsfonds" des Justizministeriums, der als Hilfe für Verbrechensopfer gedacht war. Aus diesem Fonds sollen fast 100 Mio. Złoty (rund 23,4 Mio. Euro) an unberechtigte Organisationen vergeben worden sein, unter anderem an die Profeto-Stiftung, die von einem Priester, der sich als Exorzist bezeichnet, geleitet wird. Für das Geld aus dem Gerechtigkeitsfonds sollte er eigentlich ein Therapiezentrum für Gewaltopfer bauen.
Doch als staatliche Kontrolleure den Bau überprüften, fanden sie stattdessen einen fast fertigen Fernsehsender vor, mit Studios, Räumen für Postproduktionsregie, Sprecherkabinen und Konferenzräumen. Wie weit das den Opfern von Gewaltverbrechen zugutekommt, ist unklar. Bekannt ist aber, dass sich Justizminister Zbigniew Ziobro, aus dessen Ministerium die Mittel stammen, und seine Partei "Suwerenna Polska", schon lange einen eigenen Fernsehsender wünschten, um ihre Inhalte unters Volk zu bringen. Ziobros Partei und die PiS kandidieren seit 2015 auf einer gemeinsamen Liste – trotz immer wieder aufbrechender Machtkämpfe. Deshalb rechnen sie auch gemeinsam die Wahlkampfkosten ab.
Was für die Wahlen und die staatliche Wahlkommission aber viel wichtiger ist: Politiker von "Suwerenna Polska" sollen regelmäßig Geld aus dem Gerechtigkeitsfonds für ihre Wahlkreise ausgegeben haben: Etwa um Einsatzwagen für freiwillige Feuerwehren oder Töpfe und andere Küchengeräte für Hausfrauenzirkel auf dem Land zu finanzieren, kurz: um Wählerstimmen zu kaufen.
Insgesamt sollen im Justizministerium über den Gerechtigkeitsfonds zwischen 2019 und 2023 Zuschüsse in Höhe von 224 Mio. Złoty (rund 52,5 Mio. Euro) vorschriftswidrig vergeben worden sein, darunter 201 Mio. Złoty (rund 47 Mio. Euro) in Wahlkreisen, in denen Politiker von "Suwerenna Polska" kandidierten, so die Vertreter des heutigen Justizministeriums nach einer gründlichen Kontrolle. Der Chef der Profeto-Stiftung und einige Beamte sitzen inzwischen in Untersuchungshaft.
Die PiS-Führung wusste Bescheid
PiS-Chef Jarosław Kaczyński soll von Anfang an über dieses Prozedere Bescheid gewusst haben. Vor Kurzem wurde ein Brief von ihm aus dem Jahr 2019 bekannt, in dem er Justizminister Ziobro vor den Konsequenzen warnt: "Ich mache Herrn Minister darauf aufmerksam, dass die Fälle, über die in den Kreisen unserer Koalition bereits gesprochen wird, falls sie wahr sind, fatale Folgen haben können, sowohl was den Verlauf des Wahlkampfes als auch die Abrechnung vor der staatlichen Wahlkommission betrifft", schrieb er. Diese Warnung hat beim Listenpartner offensichtlich nicht gewirkt.
Die Fälle, auf die sich Kaczyński in seinem Brief bezieht, sind aber nicht Gegenstand der Prüfung der Wahlkommision, da der Wahlkampf von 2019 längst abgerechnet ist. Strafrechtlich verjährt sind die Fälle allerdings noch längst nicht.
Der Staatsapparat als "Kriegskasse" der Partei
Weitere Beispiele für die mutmaßliche Zweckentfremdung staatlicher Mittel für Wahlkampfzwecke gibt es viele. Ein besonders prägnanter Fall betrifft das Büro des Ministerpräsidenten, genauer: eine Abteilung mit dem sperrigen Titel "Amt für die Koordination des legislativen Prozesses". Dessen damaliger Leiter, Krzysztof Szczucki, soll im Wahlkampf für einige Wochen sechs Personen angestellt haben, die, anstatt für die Regierung zu arbeiten, Szczuckis Wahlkampf führten, der sich als Parlamentsabgeordneter bewarb. Der jetzige Leiter des ständigen Ausschusses des Ministerrats, Maciej Berek, schätzt die verdeckten Wahlkampfkosten, die das Amt getragen hat, auf 900.000 Złoty (rund 211.000 Euro) – Gehälter und Werbegeschenke inklusive.
Ähnliche Missstände stellte der polnische Rechnungshof (NIK) auch im Familienministerium fest – laut seinem im Juni veröffentlichten Bericht wurden mehr als 9,6 Mio. Złoty (rund 2,2 Mio. Euro) aus dem Ministerium vorschriftswidrig ausgegeben, u.a. für Familienpicknicks, an denen Kandidaten der PiS teilnahmen, die mit dem Familienministerium nicht direkt zu tun hatten, aber auch für Tonnen von Werbegeschenken und für Inserate in den Medien und im Internet, die vor allem der Bewerbung der Arbeit der PiS dienten.
"Im Falle des Familienministeriums handelt es sich um Misswirtschaft", so NIK-Chef Marian Banaś. "Es ging vor allem um "800 +” (die Erhöhung des Kindergeldes auf 800 Złoty – d. Red.) und die Werbung dafür. Wir wissen, dass die Erhöhung des Kindergeldes von 500 auf 800 Złoty (ca. 187 Euro) von Amts wegen erfolgte, so dass es nicht nötig war, dafür zu werben, vor allem nicht während des Wahlkampfes."
Wahlwerbung beim Militärpicknick
Auch das Militär wurde in diese Praktiken involviert. Im August fanden 67 Militärpicknicks für fast zwei Mio. Złoty statt, die angeblich der Werbung für die Armee dienen sollten, an denen tatsächlich aber PiS-Politiker, hauptsächlich Kandidaten für Abgeordnetenmandate und Senatorenposten, teilnahmen. Bei mindestens acht von ihnen wurden "Erklärungen abgegeben, die sich direkt oder indirekt auf die Aktivitäten der damals an der Macht befindlichen politischen Partei bezogen", während bei mindestens zwei "direkte Wahlwerbung betrieben wurde" – so die Experten des heutigen Verteidigungsministeriums.
Bei einem dieser Picknicks griff Jarosław Kaczyński den damaligen Oppositionsführer im Beisein von Soldaten an: "Donald Tusk ist die Personifizierung des Bösen in Polen, er ist das pure Böse. Er verteidigt die Stasi, er versammelt dunkle Elemente unter seiner Fahne", sagte der PiS-Vorsitzende und rief dazu auf, seine Partei zu wählen.
Dass die PiS das Militär für den Wahlkampf eingespannt hat, ist für den heutigen stellvertretenden Verteidigungsminister Cezary Tomczyk (Bürgerplattform) unerträglich: "Das hätte nie passieren dürfen und die Partei sollte sich dafür verantworten. Aus unserer Sicht ist das ein Verbrechen". Die PiS bestreitet diese Vorwürfe und behauptet, diese würden nur dem Zweck dienen, die größte Oppositionspartei im Lande zu diffamieren oder gar zu "vernichten". Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft dauern derweil an.
In der Zwischenzeit blicken die Parteioberen der Entscheidung der staatlichen Wahlkommission nervös entgegen, denn die PiS braucht die damit verbundenen Subvention dringend: Nächstes Jahr stehen Präsidentschaftswahlen an. Die PiS erhofft sich im Falle eines Sieges die Rückkehr an die Macht. Doch ohne Geld kann man bekanntlich keinen Wahlkampf machen.
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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Heute im Osten | 24. August 2024 | 07:15 Uhr