In den Westen abgesetzt Rumäniens bekanntester Geheimagent ist tot
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18. Februar 2021, 10:08 Uhr
Der rumänische Agent Ion Mihai Pacepa war der ranghöchste Geheimdienstoffizier des Ostblocks, der sich in den Westen absetzte. Dort legte er die Machenschaften des rumänischen Diktators Nicolae Ceausescu offen. Von Rumänien aus wurden Auftragsmörder auf ihn angesetzt, er entkam. Jetzt ist Pacepa im Alter von 92 Jahren in den USA gestorben.
"Covid-19 schaffte, was ein Kopfgeld in Höhe von zwei Millionen Dollar und zwei aus Rumänien finanzierte Teams aus Attentätern nicht erreicht haben", schrieb der US-Jurist und Autor Ronald J. Rychlak am Montag in der in New York erscheinenden "Epoch Times" zum Tod des rumänischen Geheimagenten Ion Mihai Pacepa in den USA. Er sei von Pacepas Frau am Sonntag informiert worden, dass sein langjähriger Freund und Co-Autor einer Corona-Erkrankung erlegen sei – im Alter von 92 Jahren.
Agent und Sicherheitsberater von Ceausescu
Ion Mihai Pacepa war eine der bekanntesten Figuren in der Geheimdienstwelt des Kalten Krieges. Der rumänische Agent war der ranghöchste Geheimdienstoffizier im Ostblock, der sich in den Westen absetzte. 1928 in Bukarest geboren, studierte er Industriechemie und wurde Anfang der 1950er-Jahre und noch vor dem Abschluss des Studiums vom rumänischen Geheimdienst rekrutiert. Zunächst in der Industriespionage aktiv, machte Pacepa als junger Mann schnell Karriere. Schon mit 35 Jahren stieg er zum stellvertretenden Leiter der rumänischen Auslandsspionage (DIE) auf, koordinierte externe Operationen. Anfang der 1970er-Jahre wurde er schließlich der persönliche Sicherheitsberater von Staatspräsident Nicolae Ceausescu.
Statt zu Helmut Schmidt Flucht in die USA
Pacepa war "die rechte Hand Ceausescus“, schreibt US-Autor Rychlak über den prominenten Agenten, der die gesamte Welt bereist und hohe Staatschefs aus Ost und West kannte. Dass sich ausgerechnet Ceausescus persönlicher Berater in den Westen absetzen würde, ahnte weder der rumänische Diktator noch dessen Geheimdienst, zu dessen Aufgaben es gehörte, Fluchtwillige zu bespitzeln, zu erpressen und einzusperren.
Das völlig Unerwartete geschah Ende Juli 1978. Pacepa, der auf einer Dienstreise nach Bonn war, um dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt eine Botschaft Ceausescus zu überbringen, klingelte stattdessen am Tor der US-Botschaft in Bonn. Dort beantragte er politisches Asyl, er handelte einen Deal mit der CIA aus, wurde am 28. Juli 1978 schließlich in die Nähe von Washington ausgeflogen. Er besaß umfangreiches Insiderwissen über Ceausescus Staatsapparat. Er wusste, wie der berüchtigte rumänische Geheimdienst im tiefsten Inneren funktionierte, wer spionierte, welche Verflechtungen es mit dem sowjetischen KGB gab.
Kopfgeldprämie ausgesetzt
Zuhause in Bukarest galt Pacepa der politischen Fühung von diesem Zeitpunkt als Vaterlandsverräter, als Volksfeind. Unterlagen der heutigen Aufarbeitungsbehörde der Securitate-Akten, CNSAS, zufolge, forderte Machthaber Nicolae Ceausescu, dass der "Verräter umgehend nach Hause gebracht werden soll". Im September 1978 wurde Pacepa in Abwesenheit in seiner Heimat wegen Hochverrats zum Tode verurteilt, das Ceausescu-Regime setzte eine Kopfgeldprämie von zwei Millionen Dollar auf ihn aus. Alle Versuche, ihn mit Auftragskillern aufzuspüren, misslangen.
Auslandsspionage radikal umgebaut
Zugleich folgte ein drastischer Umbau des Auslandsgeheimdienstes in Bukarest: Securitate-Generäle wurden verhaftet oder entlassen, ebenso Botschaftsmitarbeiter – das gesamte Personal, mit dem Pacepa zuvor Verbindungen hatte. Ceausescu verlor mit dem Weggang seines Beraters sein Vertrauen in den eigenen Sicherheitsapparat, "von dem er glaubte, dass selbst ranghohe kommunistische Würdenträger vor ihm zittern würden", schrieb dieser Tage der Historiker Marius Oprea im rumänischen Nachrichtenportal "Mediafax". Ceausescu vertraute von da an fast nur noch den eigenen Familienmitglieder, die hochrangige Posten inne hatten.
Spion schien zunächst nicht glaubwürdig
In den USA begegnete man dem abtrünnigem Spion zunächst mit Skepsis, zumal der rumänische Staatspräsident Ceausescu bei westlichen Regierungen beachtliches Ansehen genoss. Die US-Führung lobte ihn für seinen eigenständigen Kurs im Ostblock, unabhängig von Moskau zu agieren, enge Handelskontakte mit dem Westen zu unterhalten. Dass sie hier einen Diktator hofierte, der zuhause schrittweise einen Repressionsstaat aufbaute, passte nicht so recht ins offizielle Bild hochrangiger westlicher Entscheidungsträger.
1987 enthüllte Pacepa in seinem Buch "Red Horizons" ("Rote Horizonte") die Machenschaften des Ceausescu-Regimes in Form eines Agententhrillers. Das Buch sei in Zusammenarbeit mit CIA-Agenten entstanden, sagte der Historiker Madalin Hodor in einem Interview mit "Hotnews", der seit Jahren Geheimdienstakten studiert. Ziel es gewesen, das Bild eines paranoischen Diktators zu zeichnen, der sein Volk grauenhauft unterdrückte, aber selbst in Überfluss schwelgte. Das Buch, das es nur im Westen gab, wurde über die rumänische Redaktion des US-finanzierten Sender "Radio Free Europe" verbreitet – Sendungen, die viele Rumänen zuhause heimlich hörten.
Ruf in Rumänien nicht unumstritten
Eine "außergewöhnliche Rolle" bescheinigten rumänische Historiker dem Ex-Spionen, wie er vor 1989 "den kriminellen Charakter des Ceausescu-Regimes und der Securitate entblößt" habe. Die Forschergruppe schrieb 2006 in ihrer Studie über die kommunistische Diktatur in Rumänien, das der Geheimdienst schon in den 1950er-Jahren eine "erschreckende Brutalität" an den Tag legte, um den "realen oder imaginären Feind zu vernichten". Unter Ceausescu sei man weiter mit illegalen Methoden gegen jegliche Form des Widerstandes vorgegangen.
Zu Lebzeiten war Pacepa in seinem Heimatland nicht unumstritten. Während ein Teil der Historiker ihn für eine wichtige Informationsquelle hielt, war er für andere Forscher nur "der korrupte General, der seine Karriere durch Bestechung hochrangiger Parteifunktionäre gemacht" und sich dann in den Westen abgesetzt hatte. Auch warfen Pacepa viele Experten vor, selbst jahrelang dem brutalen Geheimdienst treu gedient zu haben. "Aus Henkern kann man nicht einfach Helden machen und aus Verrätern nicht einfach Idole", schrieb der Journalist Patrick André de Hillerin am Dienstag in der rumänischen Tageszeitung "Libertatea".
Viele Mythen im Umlauf
Zudem ranken sich viele Mythen um den einstigen Agenten, dessen Todesurteil der Oberste Gerichtshof in Rumänien zehn Jahre nach der Revolution – 1999 – aufhob. Manche erklärten Pacepa schon seit mehreren Jahren für tot, andere hatten ihn inkognito reisend in Rumänien gesehen, auch wenn er offiziell immer sagte, nicht mehr in die Heimat zurückkehren zu wollen. Zudem erzählte man, er sei mehrmals operiert worden, um ein anderes Aussehen zu bekommen und unentdeckt zu bleiben. Geheimdienstagenten sind immer gut für Geschichten, ob sie stimmen mögen oder nicht. Unbestritten ist aber: Pacepa hat mit seiner Fahnenflucht in den Westen Geschichte geschrieben - als ranghöchster Geheimdienstoffizier des Ostblocks.
(amue)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 15. Dezember 2019 | 23:57 Uhr