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RusslandNawalny hinter Gittern: Der Aufstand bleibt aus

23. Januar 2021, 06:00 Uhr

International herrscht Empörung über die Festnahme des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny. In Russland bleibt es hingegen auffällig ruhig. Mit einer Enthüllung über Präsident Putin will Nawalnys Team nun die Proteststimmung anheizen.

von Maxim Kireev, Sankt Petersburg

Für die einen war es ein mutiger Schritt, für die anderen blanker Wahnsinn: die Rückkehr des im August vergifteten Oppositionellen Alexej Nawalny nach Russland. Die umgehende Festnahme des Putin-Kritikers am Flughafen in Moskau und Schnellverurteilung wurde von Deutschland und der EU, aber auch seitens der USA verurteilt. Die internationale Presse sieht darin ein Zeichen der Angst und Schwäche des russischen Regimes.

Doch in Russland selbst hält sich die Empörung anscheinend in Grenzen. Am Moskauer Flughafen Wnukowo, wo Nawalnys Flug ursprünglich erwartet wurde, hatten sich vergangenen Sonntag etwa 1000 Menschen versammelt. Am nächsten Tag, als Nawalny auf einem Polizeirevier von einem Schnellgericht zu einem Monat hinter Gittern verurteilt wurde , forderten nur knapp 100 Menschen seine Freilassung. Kleinere Proteste gab es in Sankt-Petersburg, wo rund 30 Nawalny-Sympathisanten vorübergehend festgenommen wurden.

Kaum Mobilisierung gegen Kreml

Schon der Giftanschlag auf Nawalny im August hatte keine größere Protestwelle im Land ausgelöst. Nur vereinzelt kam es in Moskau und Sankt-Petersburg zu Demonstrationen. Und das, obwohl Nawalny und seine Anhänger im vergangenen Sommer noch einige Achtungserfolge bei Regionalwahlen feiern konnten. In Großstädten wie Nowosibirsk und Tomsk hatten Nawalnys Anhänger gleich mehrere Sitze in Regionalparlamenten ergattert.

Einer der Gründe für das Ausbleiben von Protesten ist, dass Alexej Nawalny in Russland umstritten bleibt. Nach Angaben des unabhängigen Umfrageinstituts Lewada befürworten  nur etwa 20 Prozent der Befragten die Tätigkeit des Kreml-Kritikers.. Präsident Wladimir Putin kommt in derselben Erhebung auf mehr als 60 Prozent Zustimmung.

Giftanschlag hat kaum Auswirkungen

In einer offenen Umfrage ohne vorgegebene Antwortmöglichkeiten nannten nur knapp vier Prozent der Befragten Nawalny als einen Politiker, dem sie vertrauen. Putin erhielt knapp 30 Prozent. Nawalnys Zustimmungs-Werte seinen jedoch für russische Verhältnisse nicht schlecht, sagt Denis Wolkow, Vize-Chef des Lewada Instituts: "Damit schafft es Nawalny locker in die Top Ten". Der Giftanschlag hat Nawalnys Popularität kaum beeinflusst.

"Die Sichtweise auf Nawalny hängt davon ab, woher die Menschen ihre Infos schöpfen", so Wolkow. Wer das staatliche Fernsehen schaut, und das ist in Russland noch immer die Mehrheit, empfindet Nawalny überwiegend als Störenfried. Dieser sei an Skandalen interessiert und agiere im Auftrag des Westens, so das dort gezeichnete Bild. Positiv bewerten Nawalny vor allem jüngere Russen, die sich im Netz informieren. "Diese Gruppe betrachtet Nawalny überwiegend als einen mutigen Korruptionskämpfer, der eine alternative Sichtwiese darstellt", sagt Wolkow. "Insgesamt bleibt die staatliche Propaganda gegen Nawalny sehr wirkungsvoll", meint der Lewada-Vize.

Demonstrationsverbot durch Corona

Doch es liegt auch an den äußeren Bedingungen, dass es zu keinen größeren öffentlichen Protesten kommt: Seit Beginn der Corona-Pandemie sind Demonstrationen in Russland faktisch verboten. Die zuständigen Stadtregierungen erteilen seit Monaten keine Genehmigungen, meist mit Verweis auf die Corona-Beschränkungen. Selbst Ein-Mann-Demos werden von der Polizei unterbunden.

Nicht genehmigte Demonstrationen sind für Russen riskant. Nach der letzten großen Protestwelle im Sommer 2019 hat es knapp ein Dutzend Gefängnisstrafen für Teilnehmer gegeben. Die Proteste wurden von Gerichten als Massenunruhen eingestuft, obwohl sie fast ausschließlich friedlich verliefen. Schon der Aufruf zu einer nicht genehmigten Demokann eine Geldstrafe von umgerechnet bis zu 4.000 Euro oder mehrere Tage Arrest nach sich ziehen.

"Hinzu kommt, dass die Opposition in Russland in den letzten Monaten vollkommen demoralisiert war", sagt der Moskauer Politikberater Abbas Galljamow: "Vor allem die Verfassungsreform im Sommer, auf deren Grundlage Putin nun zwei weitere Amtszeiten regieren darf, hat bei vielen ein Gefühl der Ausweglosigkeit erzeugt". Zudem seien die Zustimmungswerte für den Präsidenten nach dem Ende des ersten Lockdowns im vergangenen Sommer wieder in die Höhe geschnellt.

Putin: Privatpalast für eine Milliarde Euro?

Dass die Lage weiter ruhig bleibt, ist jedoch längst nicht garantiert. Zum einen haben Nawalnys Mitstreiter am Samstag zu Demonstrationen im ganzen Land aufgerufen. Sein Team hat in dieser Woche einen Film veröffentlicht, der die Stimmung anheizen könnte: . Das zweistündige Youtube-Video wurde bereits in den ersten beiden Tagen über 43 Millionen Mal angeschaut und sorgt landesweit für Empörung.

In dem Film legt Nawalny vermeintliche Beweise vor, dass der russische Präsident sich über Strohmänner seit über zehn Jahren eine bombastische geheime Privatresidenz bauen lässt. Die Kosten sollen sich auf etwa eine Milliarde Euro summieren, teilweise illegal aus Steuergeldern finanziert. Neu sind die Vorwürfe nicht. Mehrere russische Journalisten hatten die Existenz der gigantischen Residenz bereits nachgewiesen, doch die Besitzverhältnisse sind verworren.

Stripteasestangen und Eishockeystadion

Nawalny präsentierte nun jedoch detaillierte Informationen über die teure Innenausstattung des Palastes am Schwarzen Meer. So sollen sich darin  mehrere Dutzend Sofas im Wert von  Mittelklassewagen befinden,, dazu ein Kino, ein Theater und Bars mit Striptease-Stangen. Hinzu kommt ein eigenes Kasino, eine ganze Eishockeyhalle und ein unterirdischer Tunnel vom Palast zum Schwarzen Meer.

In den sozialen Netzwerken sorgte die Recherche mehrheitlich für wütende Reaktionen. Diese Empörung wollen die Anhänger Nawalnys nutzen, um möglichst viele Russen am Samstag auf die Straße zu bringen. "Das kann funktionieren", meint der Politikexperte Abbas Galljamow: "Obwohl Nawalny in Haft sitzt, haben seine Leute jetzt die Initiative übernommen, das könnte seinen Anhängern Hoffnung geben". Auch der Soziologe Denis Wolkow hält Proteste nach der Verhaftung und dem jüngsten Nawalny-Film für möglich: "Dass diese größer ausfallen als in den letzten Jahren, darauf würde ich mein Geld allerdings nicht verwetten."

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 23. Januar 2021 | 07:15 Uhr

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