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FaktencheckSchaltet Russland das Internet ab?

10. März 2022, 17:27 Uhr

Ein internes Dokument aus dem russischen Digitalministerium weist alle Behörden an, ihre digitale Infrastruktur ins interne russische Netz zu verlegen. Zieht sich Russland nun aus dem globalen Internet zurück?

Seit dem Angriff auf die Ukraine ist Russland gesellschaftlich, finanziell und wirtschaftlich zunehmend isoliert. Dutzende internationale Unternehmen haben sich aus dem Land zurückgezogen, Transport, Handel, Medien – alles ist stark eingeschränkt.

Behauptung: "Russland schaltet ab dem 11. März das Internet ab"

In dieser Lage tauchte vergangene Woche ein Tweet auf, in dem behauptet wurde, dass sich Russland auch selbst weiter isoliert – zumindest, was das Internet betrifft.

Russland hat mit aktiven Vorbereitungen für die Trennung vom globalen Internet begonnen. Spätestens am 11. März müssen alle Server und Domains in die Russische Zone verlegt werden. Darüber hinaus werden detaillierte Daten zur Netzinfrastruktur der Standorte erhoben.

Tweet von Nexta vom 6. März 2022

Sollte dies stimmen, könnte das weitreichende Folgen vor allem für die russische Bevölkerung haben. Doch wie glaubwürdig ist dieser Tweet?

Die Auflösung interessiert Sie, aber Sie haben aber gerade keine Zeit zum Lesen? Hier erfahren Sie, wie der Faktencheck ausgeht.

Analyse 1: Herkunft und Quelle des Dokuments

Der Tweet vom 06. März stammt von Nexta, einem unabhängigen Medienprojekt aus Warschau, das sich auf Berichterstattung über Belarus und die Ukraine spezialisiert hat. Nexta betreibt nach eigener Aussage den größten russischsprachigen Telegram-Kanal zur politischen Lage in Belarus. Als am 22. Oktober 2020 das Europäische Parlament den "Sacharow-Preis für geistige Freiheit" (auch EU-Menschenrechtspreis genannt) an die demokratische Opposition in Belarus verlieh, war unter den Ausgezeichneten auch Nexta-Gründer Szjapan Puzila. Somit kann Nexta als vertrauenswürdige Quelle gelten.

Das im Tweet angehängte Dokument soll eine Anweisung des russischen Ministeriums für Digitale Entwicklung, Kommunikation und Massenmedien (Roskomnadzor) sein. Eine Anfrage an Nexta, aus welcher Quelle sie das Dokument bezogen haben, blieb bis zur Veröffentlichung dieses Artikels unbeantwortet. Eine Rückwärts-Bildersuche bei Google und auch bei der in Russland weitverbreiteten Suchmaschine Yandex ergab keine sinnvollen Treffer, außer dass auch einige andere User darüber getwittert haben.

Auch auf der Seite des russischen Digitalministeriums selbst ist die Anweisung nicht zu finden, war die Seite doch zum Zeitpunkt dieser Recherche entweder nicht zu erreichen oder nur durch den Umweg über VPN-Anbieter ("Virtual Private Network", das u.a. den eigenen Standort verschlüsselt) und dann auch nur eingeschränkt.

Im Webarchiv "Wayback Machine", in dem Milliarden Internetseiten gespeichert sind, war als letzte Version der Seite des Digitalministeriums nur der 23. Februar zu finden.

Indirekte Bestätigung durch russische Medien

Obwohl wir das Dokument nicht direkt verifizieren konnten, bestätigt MDR-Russland-Expertin Stefanie Markert, dass es sich um eine offenbar interne Anweisung ("Regierungstelegram") des Digitalministeriums handelt. Darin sei die Rede davon, dass Webseiten und Dienste von Behörden auf russische Server umziehen sollen. Auch russische Domains, die unter "ausländischer" Adresse laufen, sollen umziehen und künftig möglichst unter einer .ru-Adresse verortet sein. Es sei an "Förderale Exekutivbehörden und Subjekte der Russischen Föderation", also offizielle Regierungsbehörden, geschickt worden.

Mehr Substanz gewinnt die Geschichte durch mehrere russische Medienberichte – vor allem durch einen Artikel der Tageszeitung "Kommersant", die dem Oligarchen Alischer Usmanow gehört. In dem Kommersant-Artikel ist davon die Rede, dass der stellvertretende Digitalminister Andrej Tschernenko das "Regierungstelegramm" unterzeichnet hätte.

Analyse 2: Debatte über Inhalt – betrifft das ganz Russland?

Im Ursprungstweet von Nexta wird behauptet, dass "alle Server und Domains" in Russland betroffen sein sollen. Doch ein sogenannter Druko (ein Drunterkommentar, eine Antwort auf einen Tweet) auf einen gleichlautenden Tweet von einem anderen Nutzer macht stutzig:

Ihr Tweet ist sehr irreführend, nicht "alle Server und Domains", sondern "alle Server und Domains der russischen Regierung".

Twitter-User @illusionofcha0s

Dazu sagt Stefanie Markert, das Dokument enthalte die Anweisung, nur die staatlichen Webseiten umziehen zu lassen. Das solle bis zum 11. März 2022 geschehen. Bis zum 15. März sollen die Behörden dem Ministerium darüber offiziell per Brief Rechenschaft ablegen.

Auch der IT-Sicherheitsexperte Manuel Atug bestätigt: "Es sollen offenbar alle öffentlichen Seiten und Dienste (und nicht alle Seiten und Dienste) nach Russland umgezogen und dort lokal bzw. vor Ort betrieben werden."

Ein kompletter Umzug aller russischen Seiten, wie Nexta ursprünglich berichtet, soll also nicht stattfinden.

Frage 1: Welche Konsequenzen hat die Anweisung für Russland?

Offiziell heißt es im Kommersant-Artikel, das Digitalministerium habe der Zeitung erklärt, dass diese Maßnahmen zum "Schutz vor Cyberangriffen" notwendig seien. Die russische Regierung wird mit den Worten zitiert: "Wir bereiten uns auf verschiedene Szenarien vor, um sicherzustellen, dass die russischen Ressourcen den Bürgern zur Verfügung stehen. Das Telegramm für Regierungsbehörden enthält eine Reihe einfacher Empfehlungen zur Cyberhygiene, die dazu beitragen werden, die Arbeit effektiver zu organisieren, um unsere Ressourcen vor böswilligem Datenverkehr zu schützen, Dienste am Laufen zu halten und die Kontrolle über Domänennamen zu gewährleisten."

Auch Stefanie Markert sagt, die Anweisung betreffe zuallererst einmal die interne IT-Sicherheit Russlands. Man wolle sich vor Hackerangriffen schützen und dafür sorgen, dass niemand aus dem Ausland an Passwörter oder Informationen gelange.

IT-Sicherheitsexperte Manuel Atug ergänzt, wenn nur noch lokale russische Dienste verwendet werden sollen, bekomme Russland damit die Kontrolle über die Steuerung der Inhalte. Es könne beispielsweise Zensur besser anordnen, durchsetzen und kontrollieren, als wenn die Dienste im Ausland betrieben würden.

Später kann sogar eine Sperre ausländischer Seiten und Dienste nach Vorbild der chinesischen "Great Firewall" vorgenommen werden.

Manuel Atug | IT-Sicherheitsexperte

Die "Great Firewall of China" (offizieller Name: "Projekt Goldener Schild") zensiert von der chinesischen Regierung unerwünschte Inhalte, indem sie u.a. IP-Adressen blockt. Darunter fallen z.B. Soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und Youtube, aber auch Nachrichtenquellen wie BBC, New York Times und der Spiegel.

Die russische Anordnung passt da ins Bild: Erst vor wenigen Tagen hatte die Regierung in Moskau den Zugang zu Facebook und Twitter gesperrt bzw. eingeschränkt.

Frage 2: Können wir dann nicht mehr auf russische Seiten zugreifen?

Wer sich nun fragt, ob wir künftig nicht mehr auf russische Webseiten zugreifen können, den beruhigt Atug vorerst. Die Seiten und Dienste würden ja lediglich vom Ausland nach Russland umgezogen und dort weiter betrieben. "Was danach kommen kann ist, dass eine anschließende Abkopplung vorgenommen wird und dann wäre in der Tat der Zugriff auf russische Seiten unterbunden, wenn Russland das in einem nächsten Schritt so anordnet."

Das wird aber im Kommersant-Artikel dementiert:

In Russland gebe es keine Pläne, das Internet von innen abzuschalten, versicherte das Ministerium.

Russische Regierung in der Zeitung "Kommersant"

Fazit: Die Behauptung ist teilweise zutreffend.

Russland will sich tatsächlich weiter vom globalen Internet isolieren und kündigt mit dem Ministeriumserlass vom 5. März an, dass öffentliche russische Seiten künftig von Servern betrieben werden müssen, die physisch in Russland stehen. Damit sind aber vorerst nur die staatlichen Webseiten und Dienste gemeint, nicht alle Seiten. Offiziell will sich Russland mit der Konzentration auf ein eigenes, internes Internet vor Cyberangriffen schützen. Experten schätzen aber ein, dass die russische Regierung damit auch mehr Kontrolle und Zensur ausüben will.

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Quelle: MDR AKTUELL

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL FERNSEHEN | 02. März 2022 | 19:30 Uhr