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KernkraftwerkErstes schwimmendes AKW sticht in See

23. August 2019, 16:50 Uhr

Fast zehn Jahre lang wurde das erste schwimmende Atomkraftwerk im Hafen von Murmansk gebaut. Nun bricht das Prestigeobjekt der russischen Atombranche in Richtung Tschukotka auf, um die Region mit Wärme und Strom zu versorgen. Russland würde das Versorgungsmodell gern exportieren.

von Maxim Kireev

Das schwimmende AKW "Akademik Lomonossow" bei seiner Präsentation im Hafen von Murmansk. Bildrechte: MDR/Rosatom

144 Meter lang, 30 Meter breit und ausgestattet mit zwei Reaktoren, die zusammen 70 MW Strom liefern - so liegt die "Akademik Lomonossow" im Hafen von Murmansk. Fast zehn Jahre lang wurde das schwimmende Atomkraftwerk in Europas nördlichster Großstadt und wichtigstem Stützpunkt der russischen Atomflotte gebaut. Nun bricht es mit einem Schlepper viele Tausend Kilometer in die Region Tschukotka in den äußersten Osten von Russland auf. Dort soll es an ein speziell errichtetes Dock im Hafen der Stadt Pewek andocken. Zunächst wird das Kraftwerk Wärme, später auch Strom für die Region liefern, wenn das bisher kleinste Atomkraftwerk Russlands in Bilibino, das die Region bislang versorgt, nach fast 40 Jahren Dienst 2021 vom Netz geht.

Hoffnung für Region und Atombranche

Die "Akademik Lomonossow" soll der dahinsiechenden Siedlung Pewek neues Leben einhauchen. In den 1930er-Jahren wurde sie als Hafenstadt gegründet, um die reichen Zinnvorkommen der Region Tschukotka, dem nordöstlichen Zipfel Russlands, der an den US-Bundestaat Alaska grenzt, zu erschließen. Später fanden Geologen dort Gold- und Silbervorkommen, stießen auf Öl und Gas. Mit der Wirtschaftskrise nach dem Ende der Sowjetära, schrumpfte die Einwohnerzahl jedoch von etwa 13.000 in den 1980er-Jahren auf mittlerweile knapp 5000. Nun schöpft die Region wieder Hoffnung. Im vergangenen Jahr kaufte der kasachische Bergbaukonzern KAZ Minerals eines der größten unerschlossenen Kupfervorkommen für etwa 850 Millionen Euro. Neue Stromkapazitäten kommen da gerade recht.

Eine Delegation des russischen Energieministeriums besichtigt das schwimmende AKW während der Bauphase. Bildrechte: MDR/Rosatom

Auch für Rosatom ist das schwimmende Kraftwerk ein Meilenstein. "Noch können wir zwar nicht von wirtschaftlichem Gewinn für unseren Konzern sprechen", sagt Kirill Toropow, Direktor des schwimmenden Kraftwerks in Murmansk. "Wir leisten dennoch Pionierarbeit und sind die ersten, die eine solche Technologie unter realen Bedingungen testen werden". Gerade für Russland mit seinen riesigen Entfernungen und entlegenen Rohstoffvorkommen sei ein solches mobiles Kraftwerk sinnvoll. So wurde die "Akademik Lomonossow" etwa in einer Schiffswerft in Sankt-Petersburg gebaut. Es musste keine teure Kraftwerksinfrastruktur Tausende Kilometer entfernt von der Zivilisation gebaut werden, abgesehen von dem Dock, an dem die nukleare Plattform anlegen wird.

Arbeiter der Schiffswerft in St. Petersburg bei der Verabschiedung der "Akademik Lomonossow" auf ihren Weg nach Murmansk. Bildrechte: MDR/Rosatom

Mindestens sechs solcher Plattformen bräuchte es, um die Entwicklungs- und Baukosten zu decken, heißt es bei Rosatom. Deshalb will man sich nicht alleine auf den russischen Markt verlassen. Kunden in Asien oder Lateinamerika mit ähnlichen Problemen wie Russland, könnten solche Anlagen für Stromerzeugung nutzen oder als Entsalzungsanlagen. "Um diese Anlage auf dem Weltmarkt zu verkaufen, müssen wir sie jedoch in Russland testen", erklärt Toropow.

Schwimmendes AKW zu teuer und zu unsicher

Den Stolz auf die neue Technologie teilen in Russland und anderswo längst nicht alle. Zwar sind die Kosten des Projekts nicht öffentlich bekannt, jedoch wurden sie von Experten und Wirtschaftsvertetern als zu teuer kritisiert. So seien die Baukosten für die Kapazität von 1KW Strom in einem schwimmenden Kraftwerk sieben Mal so hoch, verglichen mit herkömmlichen Energiequellen, erklärte der damalige Wirtschaftsminister German Gref vor dem Start des Projekts im Jahr 2007. Umweltschützer wie Greenpeace kritisieren ihrerseits etwa, dass das schwimmende Kraftwerk anfälliger sei gegenüber terroristischen Angriffen. Zugleich sei die "Akademik Lomonossow" extremen Bedingungen der arktischen See ausgesetzt und könnte mit Eis oder anderen Schiffen kollidieren. Auch bei Bauarbeiten sei es bereits zu einem Brand gekommen. Die norwegische Organisation Bellona dagegen kritisiert die russischen Pläne, solche Kraftwerke an Länder zu verkaufen, die keinerlei Erfahrung mit Atomkraftwerken haben.

Die "Akademik Lomonossow" wird von St. Petersburg nach Murmansk geschleppt. Bildrechte: MDR/Rosatom

Ingenieure sehen keinen Grund zur Sorge

Für Wladimir Iriminku, Chefingenieur für Umweltfragen, ist diese Kritik kein Grund zur Sorge. "Wir haben unsere Technik nach dem Fukushima-Unfall nachbessern müssen. Selbst wenn die Plattform mit einem Schiff kollidiert oder umkippt und an Land gespült wird, wird sie es aushalten", beteuert er. Zusätzlich wird die Plattform durch eine 600 Meter lange Mauer vor Wellen geschützt. Internationale Kommissionen hätten das neue Kraftwerk unter die Lupe genommen, genauso wie einheimische Aufsichtsbehörden. Iriminku ist sich jedenfalls sicher, dass die Atomkraft mittelfristig eine große Zukunft hat. "Für mich ist das ganze Projekt wie der Flug mit einer Rakete ins Weltall. Ich bin stolz dabei zu sein", sagt der Umweltingenieur. Bald wird er einer von 131 Mitarbeitern sein, die das Kraftwerk in Pewek während einer Einsatzschicht am laufen halten.

Das Kontrollzentrum des schwimmenden AKWs "Akademik Lomonosow". Bildrechte: MDR/Rosatom

Dass es nicht bei einem schwimmenden AKW bleiben soll, scheint derzeit gesichert. Allein schon weil nach 12 Jahren die erste Wartung ansteht, und die Plattform zurück nach Murmansk verfrachtet und nicht mehr in Betrieb sein kann. Dafür braucht es eine Ersatzplattform. Diese soll bereits zum neuen Typ schwimmender AKW gehören, die gerade entwickelt werden. Sie sollen kleiner, ihre Leistung aber noch höher sein, als die der "Akademik Lomonossow". Die Kapazität der neuen Plattform soll dann dank neuer Reaktoren von 70 auf 100 MW steigen. Auch kostenmäßig sollen sie es künftig mit Dieselkraftwerken aufnehmen können und dem Projekt so zum Durchbruch auf dem Weltmarkt verhelfen.

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 02. August 2019 | 17:45 Uhr

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