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Ukraine-KriegWarum Russlands Soldatenmütter schweigen

26. Mai 2022, 17:17 Uhr

Einst waren die russischen Soldatenmütter eine laute Stimme gegen den Krieg. Und so hatte manch westlicher Beobachter darauf gehofft, dass sie durch ihr Engagement helfen, den Ukrainekrieg zu beenden. Fehlanzeige.

von Maxim Kireev, Ostblogger Russland

Für Marina* begann der russische Krieg gegen die Ukraine mit einer ganz persönlichen Enttäuschung. Seit knapp zwei Jahrzehnten engagiert sich die Russin für die Rechte von Soldaten in Russland, berät Eltern und spricht mit Militärs. Sie kennt die Probleme, mit denen Russlands Armee zu kämpfen hat, sei es Gewalt in der Kaserne, Korruption oder Kriegseinsatz wider Willen. In ihrer Laufbahn hat sie Hunderten, wenn nicht gar Tausenden jungen Russen und ihren Familien helfen können - mit Rat oder handfester juristischer Unterstützung. 

Soldatenmüttersind seit Jahren wichtiger Bestandteil der russischen Opposition. Bereits 1989 gründete sich "die Union der Komitees der Soldatenmütter", um auf Missstände in der damaligen Sowjet-Armee aufmerksam zu machen. Besonders während des ersten Tschtschenien-Kriegs galten sie als starke kritische Stimme. In Folge einer kritischen Äußerung von Ella Poljakowa, einer Soldatenmutter aus St. Petersubrg, wonach Angehörige von Gefallenen vom russischen Staat nur spärlich mit Informationen versorgt würden, stufte der Kreml die Organisation 2014 als "ausländischer Agent" ein. Zwar wurde diese Registrierung ein Jahr später wieder aufgehoben, der Einfluss der Soldatenmütter ist durch die zunehmenden Einschränkungen der Freiheitsrechte in Russland dennoch gering.

Auch nachdem russischen Einmarsch in die Ukraine wollte Marina helfen: "Ich dachte am Anfang, ich rede mit den Eltern und erkläre ihnen die Situation, dass nun Krieg ist und sie werden von sich aus losfahren, vielleicht sogar an die russisch-ukrainische Grenze, um etwas zu unternehmen", erinnert sich die Menschenrechtlerin an die ersten Kriegstage. "Das war meine persönliche Illusion, nichts davon ist eingetreten." 

Soldatenmütter erreichen viele verzweifelte Anfragen

Junger russischer Soldat im Kriegseinsatz Bildrechte: IMAGO / ITAR-TASS

Marina leitet eine der Organisationen in Russland, die gemeinhin als Vereine von Soldatenmüttern bekannt sind und im ganzen Land zahlreich existieren. Nicht alle davon sind jedoch so aktiv wie Marinas Regionalabteilung. Seit einigen Wochen ist sie damit beschäftigt, einen Wust von Anfragen verzweifelter Mütter zu bearbeiten.

"In den ersten Kriegstagen hatten viele Mütter Angst, weil sie plötzlich den Kontakt zu ihren Söhnen in der Armee verloren hatten. Später kamen Hilferufe von Müttern, deren wehrpflichtige Kinder gezwungen wurden, Wehrverträge zu unterzeichnen. Heute kommen viele hinzu, die bereits wieder auf russischem Territorium sind und verhindern wollen, dass sie wieder in die Ukraine müssen", beschreibt Marina. Sie gibt Tipps, wie Mütter an Infos kommen können, wo sie sich über Rechte ihrer Kinder informieren und Hilfe suchen können. "Auch sorgen wir dafür, dass sich Eltern untereinander vernetzen, wenn sie es wollen." 

Große Hoffnungen, kleine Möglichkeiten

Die Erwartungen an Menschen wie Marina und die Vereine von Soldatenmüttern waren in den vergangenen Wochen groß. Nicht nur russische Kriegsgegner, auch Millionen Menschen in der Ukraine, gar weltweit, hofften, die russischen Soldatenmütter könnten sich einmal mehr als laute Stimme gegen den Krieg positionieren. Kurz nach Kriegsbeginn forderte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auch sie auf, gegen den Krieg auf die Straße zu gehen. Der Verband der "Mütter mobilisierter Soldaten" aus der Ukraine hatte sich eigens in einem Appel an den russischen Verband der Soldatenmütter gewandt. "Wir, die Mutter ukrainischer Soldaten, wenden uns an euch Mütter russischer Soldaten. Lasst uns alles unternehmen, um den Krieg und das sinnlose Blutvergießen zu stoppen." Eine offizielle Reaktion der russischen Soldatenmütter blieb aus.

Denn in Folge des repressiven Auftretens des russischen Staates gegen Kriegs-Kritiker sind auch die Handlungsmöglichkeiten der Soldatenmütter immer weniger geworden. Auch Marina will ihren echten Namen nicht verraten, wenn sie sich in der Presse gegen den Krieg in der Ukraine ausspricht. "Diese Selbstzensur ist leider die Voraussetzung, dass wir überhaupt irgendwie weiterarbeiten und helfen können." Sie lässt lediglich wissen, dass ihr Verein nicht zu dem russlandweiten Verein gehört, der unter dem Namen "Komitee der Soldatenmütter" bekannt ist. "Dieser Verband ist zwar der größte, wurde aber in den vergangenen Jahren immer handzahmer gegenüber der Regierung", sagt Marina. Geldmangel hat das "Komitee der Soldatenmütter" vielfach dazu gezwungen, auf staatliche Finanzierung zurückzugreifen. Viele hätten sich dadurch verpflichtet gefühlt, ihre öffentliche Kritik herunterzufahren.

Russischer Staat erschwert Arbeit der Soldatenmütter

Ein Frau wird bei einer Anti-Kriegs-Demonstration in Moskau festgenommen. Dass Kritik an der russischen Invasion in der Ukraine kaum noch möglich ist, bekommen tagtäglich auch die Soldatenmütter zu spüren. Bildrechte: IMAGO / SNA

Auch auf Seiten des Militärs ist die Bereitschaft Kritik zu ertragen deutlich zurückgegangen. "Früher hatten wir Vorträge und Treffen mit Vize-Verteidigungsministern gehabt, um über Probleme in der Armee zu sprechen, das will heute keiner mehr", sagt Aktivistin Marina. Viele kritische Menschen und Aktive hätten sich deshalb aus den Strukturen der Soldatenmütter verabschiedet. Zudem hat der Geheimdienst das Sammeln und Verbreiten zahlreicher Informationen über die Armee, etwa über die Truppenmoral oder Gesetzesverstöße verboten. "Deshalb können wir zum Beispiel keine juristischen Dienstleistungen anbieten, sondern nur noch beraten", sagt Marina. 

So auch im Fall von Tatjana Efremenko: Ihr Sohn starb mutmaßlich vor wenigen Wochen auf dem Raketenkreuzer Moskwa, als dieser von der Ukraine versenkt wurde. Offiziell gilt er als vermisst. "Ich habe bei den Soldatenmüttern angerufen, dort sagte man mir aber, dass sie sich nicht mit solchen Fällen befassen und gaben mir Nummern, die ich ergebnislos abtelefoniert habe", berichtet die Mutter von ihrer bislang vergeblichen Suche nach dem Sohn. Ihr nächster Plan ist, nach Sewastopol zu fahren und selber in den Krankenhäusern und in Leichenhallen zu suchen. Andere Mütter, wie etwa Natalja, die mit Unterstützung der Soldatenmütter aus St. Petersburg ihren wehrpflichtigen Sohn aus der Ukraine zurückholen konnte, wollen die Sache am Ende lieber nicht an die große Glocke hängen. "Ich weiß, dass mein Sohn wieder in Russland ist und warte, dass er gesund wieder heimkommt", erklärt sie mit der Bitte, nicht ihren vollen Namen zu veröffentlichen.

Diese Passivität in der Bevölkerung ist für die Menschenrechtlerin Marina einer der wichtigsten Gründe, warum die Soldatenmütter bislang nicht als Stimme gegen den Krieg in Erscheinung getreten sind. "Auch früher, als während der beiden Tschetschenien-Kriege Eltern von Soldaten gegen den Krieg auf die Straße gegangen sind, wurden sie nicht von den Vereinen organisiert, sondern unterstützt", sagt die Russin. Heute fehlte diese Initiative. "Die Gesellschaft hat sich nicht zum besseren verändert. Nach der Annexion der Krim wurde klar, dass viele Menschen bereit sind dem Mythos von der starken und unfehlbaren Armee zu glauben und jetzt, ist es einfach zu spät, schnell etwas zu ändern."

* Name von der Redaktion geändert

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Dieses Thema im Programm:MDR Aktuell Fernsehen | 20. Mai 2022 | 21:45 Uhr