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In den russischen Rüstungsbetrieben wird die Produktion hochgefahren. Bildrechte: IMAGO/ITAR-TASS

UkrainekriegBei Russlands Waffenherstellern wird im Akkord gearbeitet

07. Dezember 2022, 11:08 Uhr

Russland gehen offenbar die Waffen aus. Rüstungsbetriebe arbeiten deshalb rund um die Uhr, während der Kreml zusätzlich Milliarden investiert. Experten zweifeln jedoch an der langfristigen Wirkung dieser Anstrengungen.

von Maxim Kireev, Ostblogger Russland

Seit Russlands Überfall auf die Ukraine im Februar hütet der Kreml kaum ein Geheimnis so sehr, wie den Zustand seiner Rüstungsindustrie. Informationen über die Auslastung, den Produktionsumfang und über Probleme lassen sich oft nur indirekt ableiten, wie etwa aus einer Meldung, die Russlands Föderaler Dienst für Strafvollzug FSIN auf seinem Profil im sozialen Netzwerk "VKontakte" verbreiten ließ. Etwa 250 Strafgefangene, die zu Zwangsarbeit verurteilt worden sind, schreibt die Behörde, sollen ihre Arbeitsstunden demnächst in der Fabrik Uralwagonzawod ableisten. Das Werk im mittleren Ural nördlich von Jekaterinburg ist der einzige Hersteller von Panzern in Russland. Erst vor wenigen Wochen hatte der Vize-Chef des Sicherheitsrates und Ex-Präsident Dmitrij Medwedew die Waffenschmiede in Begleitung von Journalisten besucht, während die Kameras der staatlichen Sender einige Panzer-Karosserien in den Produktionshallen einfangen konnten.

Waffenschmieden arbeiten rund um die Uhr

Montage eines T-72B3-Kampfpanzers im Werk Uralwagonzawod. Bildrechte: imago images/ITAR-TASS

Tatsächlich können derzeit weder westliche noch unabhängige russische Militärexperten das Ausmaß der Produktion in der russischen Rüstungsbranche einschätzen. Gleichwohl mehren sich Hinweise, dass die Produktion alles andere als stillsteht. Ende September meldete etwa die Stadtverwaltung der Stadt Nischni Tagil, dem Standort des Panzerherstellers Uralwagonzawod, eine Verlängerung der Öffnungszeiten von lokalen Kindergärten auf 14 Stunden am Tag. Die Kitas hätten nun sogar samstags geöffnet, weil das Werk zusätzliche Aufträge erhalten habe und die Schichten für die Eltern auf zwölf Stunden verlängert wurden, berichtete das Portal Tagil-City. 

Noch deutlicher wurden etwa die Arbeitszeiten in der Fabrik Motowilicha unweit der Millionenstadt Perm ausgeweitet, wo Mehrfachraketenwerfer vom Typ Tornado, die Russland massenweise in der Ukraine einsetzt, hergestellt werden. Diese können unter anderem auch Lenk-Raketen mit bis zu 120 Kilometern Reichweite abfeuern. Der Betrieb arbeite mittlerweile im Drei-Schicht-System ohne Pause, heißt es in offiziellen Mitteilungen des Herstellers. Bemerkenswert ist dies auch, weil die Fabrik vor drei Jahren durch einen Auftrag für 20 Tornado-Systeme vom Staat vor dem Konkurs gerettet werden musste. Vor wenigen Wochen prahlte der staatliche Rostec-Konzern, heutiger Eigentümer des Betriebs, dass die Produktionszahlen "um ein Vielfaches gestiegen" seien und "seit über zehn Jahren" nicht mehr so hoch lagen. 

Waffenhersteller stellen Mitarbeiter ein

Auch Kurganmasch, ein weiterer Betrieb, der noch vor wenigen Jahren russischen Medienberichten zufolge Konkurs angemeldet hatte, scheint derzeit auf Hochtouren zu arbeiten. Kurganmasch war zuständig für die Produktion von Schützenpanzern. Anfang November erklärte der Gouverneur des Oblast Kurgan, dass der Betrieb mindestens 500 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt hat. Wenige Tage später weilte der Vize des Sicherheitsrats, Dmitrij Medwedew, zu Besuch im Werk. Zwar wurden dabei keine Produktionszahlen genannt, gleichwohl bekamen Medwedew und später auch die russischen Fernsehzuschauer eine Werkshalle mit mindestens zwei Dutzend neuer Schützenpanzer in fortgeschrittenem Produktionsstadium zu sehen. Frühere Berichte legen nahe, dass die jährliche Produktionskapazität in Friedenzeiten etwa 100 Stück betrug. So unterzeichnete das Verteidigungsministerium 2015 einen Vertrag mit Kurganmasch zur Lieferung "von einigen Hundert Schützenpanzern" mit einer Laufzeit von drei Jahren.

Ein Blick in die Wirtschaftsstatistik verrät viel

Der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew (2. v.r.), besucht den Maschinenbaubetrieb Uralwagonzawod in Nischni Tagil. Bildrechte: IMAGO/SNA

Dass die Produktion tatsächlich gestiegen ist, lässt sich auch aus der aktuellen russischen Wirtschaftsstatistik ablesen. Zwar werden dort Waffen nicht gesondert aufgeführt. Auch lassen sich keine Informationen zu den Stückzahlen von Panzern und Raketenwerfern ableiten. Gleichwohl fallen in der Oktober-Statistik einige Ausreißer auf. Insgesamt ist das verarbeitende Gewerbe im Vergleich zum Oktober 2021 um fast acht Prozent geschrumpft. Gleichzeitig ist jedoch die Produktion von metallischen Erzeugnissen im Oktober gegenüber dem September um zehn Prozent gestiegen. Im Vergleich zum Oktober 2021 lag die Produktion um 16 Prozent höher. Unter der Rubrik "metallische Erzeugnisse" werden in Russland neben allerlei ziviler Produktion wie Baumaterial, Container und Werkzeugen auch Waffen subsumiert. Die offizielle Statistik umfasst hier etwa die Produktion von Schusswaffen, Artillerie, Munition und sogar Raketen. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist die Produktion im zivilen Bereich zurückgegangen, sodass das Plus bei Waffen deutlich höher ausfallen dürfte, als für die Rubrik insgesamt. 

Ein weiteres "Waffen-Versteck" in der russischen Statistik birgt der Bereich "andere Transportmittel". Dieser ist allein von September zu Oktober um 25 Prozent gestiegen. Auf der einen Seite umfasst diese Kategorie den zivilen Schiffs- und Flugzeugbau, der in den vergangenen Monaten deutlich zurückgegangen ist, auf der anderen Seite fallen in diese Rubrik auch Panzer, Truppentransporter und sogar Drohnen, wie der russischen "Lancet", die zuletzt auch laut ukrainischen Berichten deutlich häufiger auf russischer Seite zum Einsatz gekommen sind.

Russland erhöht seine Militärausgaben

Um diese Produktion hochzufahren, hat Russland seine Militärausgaben in den vergangenen Monaten deutlich erhöht. So sind allein die offiziellen Rüstungsausgaben von ursprünglich geplanten 58 Milliarden Euro im Frühjahr auf 77 Milliarden im September gestiegen. Russische Militärexperten wie Pavel Luzin, der an der Tufts University in den USA forscht, verweisen darauf, dass die Ausgaben seitdem für geheim erklärt wurden. "Bei dem Tempo der Ausgaben-Steigerungen dürfte der Rüstungsetat mittlerweile bei etwa 90 Milliarden liegen" meint Luzin. Auch für das kommende Jahr plant Russland, seine Ausgaben von ursprünglich angesetzten 57 Milliarden auf 82 Milliarden Euro auszuweiten. 

Militärexperten zweifeln am langfristigen Erfolg der Aufrüstung

Gleichwohl haben Experten wie Luzin Zweifel, dass diese zusätzlichen Ausgaben einen langfristigen Effekt haben werden. Zum einen dürften Russland schon bald die Komponenten für moderne Waffen ausgehen, die vor dem Krieg gehortet werden konnten. Militärblogger klagten bereits, dass neue Panzer ohne Wärme- und Nachtsichtkameras auskommen müssten. Der Mangel an Elektronik dürfte zu einer Vereinfachung der Systeme führen. Zum anderen sind die aktuellen Produktionssteigerungen bislang kaum dazu geeignet, die riesigen Verluste an Technik insbesondere aus den ersten Monaten des Krieges auszugleichen. 

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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 17. November 2022 | 11:08 Uhr