Schmutzkampagne gegen die Opposition Dumawahl in Russland: Doppelgänger und Sexualtriebtäter
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15. September 2021, 10:42 Uhr
In Russland wird ab Freitag ein neues Parlament gewählt. Oppositionelle haben es wie immer schwer. Oft werden sie erst gar nicht zur Wahl zugelassen. Und wenn sie es auf den Wahlzettel schaffen, müssen sie gegen schmutzige Tricks der Machthaber kämpfen.
Wenn in Russland eine wichtige Wahl ansteht, so gilt Ella Pamfilowa als die Frau, die im Kreml für schmutzige Angelegenheiten zuständig ist. Sie leitet die Zentrale Wahlkommission, die für den Ablauf der Urnengänge zuständig ist. Und so groß die Zweifel der Öffentlichkeit und der Opposition an Fairness und Rechtmäßigkeit der Wahlen jedes Mal sein mögen, Pamfilowa lässt diese Kritik seit Jahren souverän an sich abprallen. Doch diesmal platzte selbst der obersten Wahlwächterin des Kremls in aller Öffentlichkeit der Kragen.
Stimmenklau durch Doppelgänger mit gleichem Namen
Eine "Blamage" und eine "Schweinerei" sei das, was kurz vor den kommenden Dumawahlen in Russlands zweitgrößter Metropole Sankt Petersburg vor sich gehe, sagte sie. Dort haben die Petersburger buchstäblich die Qual der Wahl, zumindest wenn sie zu den Anhängern des aussichtsreichsten oppositionellen Kandidaten Boris Wischnewski gehören. Vor Jahren schon hat sich der liberale Politiker von der Jabloko-Partei als Mitglied des Petersburger Stadtrates einen Namen gemacht und kandiert nun sowohl für die Duma, als auch erneut für das Stadtparlament. Beide Wahlen finden zeitgleich am 19. September statt. Wischnewski ist ein stattlicher Mann mit Halbglatze und markantem Bart, der eigentlich schwer zu verwechseln ist. Dennoch befinden sich auf den Wahlzetteln gleich zwei andere Kandidaten, die nicht nur ebenfalls Boris Wischnewski heißen, sondern dem gestandenen Oppositionspolitiker mit Haarschnitt und Bart-Stil zum Verwechseln ähnlich sehen.
Für den Oppositionellen Wischnewski ist das nichts weiter als Betrug, denn wie russische Journalisten herausgefunden haben, hatten die beiden Konkurrenten vorsorglich ihre Namen offiziell ändern lassen. Einer von ihnen war bisher als Wiktor Bykow Lokalpolitiker der Kremlpartei Einiges Russland, die jedoch nun offiziell beteuert, dass Bykow als unabhängiger Bewerber ins Rennen gehe. Der zweite Namensvetter und Konkurrent um das Direktmandat hieß bis vor wenigen Monaten noch Alexej Schmeljow und war Mitglied der vom Kreml unterstützen Marionetten-Partei "Die Grünen".
Wahl-Trick aus den Neunzigern wiederbelebt
Diese Art von Trickserei ist in der russischen Politik nicht neu. Tatsächlich stammt diese bewährte Taktik noch aus der Anfangszeit der russischen Demokratie in den 1990er-Jahren, als Wahlen mit harten Bandagen ausgefochten wurden. Die Idee dahinter: Doppelgänger sollen bekannte Kandidaten schwächen, indem sie wenigstens ein paar Prozent ihrer Stimmen einheimsen, während ein anderer Kandidat das Rennen macht. Diese Taktik schien lange Zeit vergessen, schließlich hatte der Kreml das Wahlgeschehen in den vergangenen Jahren sukzessive unter seine Kontrolle gebracht. Nicht genehme Kandidaten wurden oft schon beim Anmeldeverfahren ausgesiebt, indem etwa die für die Wahlteilnahme nötigen Unterschriften für ungültig erklärt worden waren. Anderen Oppositionellen wie Alexej Nawalny wurde über Jahre die Registrierung einer Partei verweigert, bis er und seine Bewegung im Frühling als extremistisch eingestuft und damit endgültig von allen Wahlen ausgeschlossen wurden.
Kremlpartei Einiges Russland so schwach wie noch nie
Weil jedoch die Umfragewerte von Einiges Russland vor den anstehenden Parlamentswahlen so tief im Keller sind wie noch nie – selbst staatliche Institute sprechen von einer Zustimmung von unter 30 Prozent – geraten nun offenbar auch Kandidaten ins Visier, die früher als weitgehend ungefährlich galten.
Dabei ist der Doppelgänger-Trick in Sankt Petersburg kein Einzelfall. Die angesehene Moskauer Zeitung Kommersant zählte im Vorfeld der Dumawahl mindestens 15 verdächtige Kandidaten, die als Doppelgänger und Namensvetter bekannte Oppositionelle herausfordern wollten. Besonders oft waren nach Recherchen der Kommersant-Journalisten Kandidaten der Kommunistischen Partei Zielscheibe solcher Tricks. Momentan liegt die Partei in den Umfragen mit 17,5 Prozent auf Platz zwei und gilt als stärkster Konkurrent der Kremlpartei Einiges Russland, die aktuell auf 28,3 Prozent der Stimmen kommt.
Der Trick mit dem Kinderschänder
Das Arsenal der schmutzigen Wahlkampf-Tricks ist damit aber lange nicht erschöpft. Besonders aufsehenerregend waren zwei weitere Vorfälle in den vergangenen Wochen. So hatten die Kommunisten unerwünschte politische Unterstützung von einem kürzlich nach langjähriger Haftstrafe freigekommenen Sexualstraftäter bekommen. Wiktor Mochow hatte Anfang der 2000er-Jahre zwei minderjährige Mädchen entführt und über Jahre festgehalten und vergewaltigt. Dafür wurde er zu 17 Jahre Haft verurteilt. In diesem Sommer hatte er seine Strafe verbüßt und kam auf freien Fuß. Nun tauchte mitten im Wahlkampf ein Video von ihm im Netz auf, in dem er den Kommunistenchef Gennadi Sjuganow als fähigen Anführer lobt und ein T-Shirt mit den Symbolen der Kommunistischen Partei trägt – eine plumpe Inszenierung, wie sich schnell herausstellte. Die Kommunisten vermuten dahinter eine Schmutzkampagne von PR-Spezialisten der Regierungspartei, auch wenn die Urheber des Spots unbekannt blieben.
Einen ähnlichen Angriff musste die populistische LDPR-Partei einstecken, als vor wenigen Wochen im Netz ein gefälschter Wahlspot der Partei auftauchte, der ihr den Kampf für Rechte von Lesben und Schwulen unterstellte – eine Position, die in Russland viele Stimmen kosten kann und kaum zum Wahlprogramm der oft als rechtsaußen bezeichneten Partei LDPR passt . Auch hier blieben die Urheber unbekannt.
Wahlleiterin fordert Änderungen – aber erst für künftige Wahlen
Zumindest was die Doppelgänger angeht, drängt die Wahlleiterin Ella Pamfilowa auf eine Verschärfung des Wahlrechts, wodurch dieser Kniff in Zukunft verhindert werden soll. Allerdings erst bei Wahlen in fernerer Zukunft. Der echte Boris Wischnewski reichte derweil eine Beschwerde ein, mit der er seine Gegner verpflichten wollte, auch die früheren echten Namen in den Wahlunterlagen zu nennen. Die Beschwerde blieb jedoch ohne Erfolg, sodass seine Wähler nun beim Ankreuzen genau aufpassen müssen.
Dieses Thema im Programm: MDR Aktuell TV | 17. September 2021 | 17:45 Uhr