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Auch für die Putin-Liebe der Serben sind die Medien im Land mitverantwortlich, meint MDR-Ostblogger Andrej Ivanji. Auf dieser Titelseite aus dem Jahr 2018 wird der russische Präsident als "Garant des Friedens" gefeiert. Bildrechte: IMAGO / ITAR-TASS

Tag der PressefreiheitPutin-Liebe und Fake-Wohlstand: Wie Medien in Serbien alternative Fakten schaffen

04. Mai 2022, 06:06 Uhr

Auch wenn es in Serbien noch kritische Medien gibt – ihre Reichweite ist begrenzt und die einflussreichsten Medien werden vom Staat kontrolliert – oder wenden oft eine Art Selbstzensur an, um die lukrativen Anzeigenaufträge von Staatsunternehmen nicht zu verlieren. Die Folge: eine gleichgeschaltete Medienlandschaft, die eine Scheinrealität schafft, in der Präsident Vučić und die Regierung nur positiv wegkommen und Russland ein Garant des Friedens ist. Das glaubt zumindest der MDR-Ostblogger Andrej Ivanji, der mit der Medienlandschaft seines Landes hart ins Gericht geht.

von Andrej Ivanji, Belgrad

Egal, ob man Berichte der Nichtregierungsorganisationen "Freedom House" und "Reporter ohne Grenzen", des Europäischen Parlaments oder der Europäischen Kommission zugrunde legt, man kommt stets zu dem Schluss: Serbien ist eine defekte Demokratie, eine hybride oder Scheindemokratie – oder im besten Falle, wenn man wohlwollend sein möchte, eine Demokratie mit Kinderkrankheiten.

Will heißen: Es gibt zwar Wahlen, aber sie sind nicht fair, denn Regimeparteien werden protegiert; es gibt zwar eine Opposition, aber sie wird durch den Missbrauch staatlicher Ressourcen unterdrückt; es gibt zwar staatliche Institutionen, aber sie sind dem Willen eines einzigen Mannes, des Staatspräsidenten Aleksandar Vučić, untergeordnet. Und es gibt zwar kritische Medien, aber sie sind nur ein winziger Tropfen im Meer gleichgeschalteter Medien.

In der Praxis funktioniert das so: Wenn eine unabhängige Zeitung beispielsweise eine Korruptionsaffäre aufdeckt, überschütten regierungsfreundliche Medien diese Information mit Gegendarstellungen und erfinden einen vermeintlichen Skandal auf Seiten der Opposition, um vom eigentlichen Aufregerthema abzulenken. Sie tun das so lange, bis die ursprünglich aufgedeckte Korruptionsaffäre in diesem Meer alternativer Fakten untergeht und niemanden mehr beeindruckt.

Gleichgeschaltete Medien schaffen Scheinwirklichkeit

Wenn Medien kontrolliert werden, wird die Wahrheit kontrolliert, Wähler können sich nicht frei eine Meinung bilden, also nicht wirklich in ihrem eigenen Interesse wählen, und Politiker an der Macht können ungestraft machen, was sie wollen. Die in staatlich kontrollierten Medien präsentierten alternativen Fakten, eine eigens zu Propagandazwecken geschaffene Scheinwirklichkeit, beginnt realer zu wirken, als das wahre Leben.

Regierungskritischer Journalismus ist in Serbein ein hartes Stück Brot mit wenig Ansehen und wenig Geld. Im Bild: ein Fotoreporter, der während der Migrationskrise 2015 von der serbisch-ungarischen Grenze berichtete. Bildrechte: imago/ZUMA Press

Diese Manipulation funktioniert. Genauso wie die Deutschen glauben konnten, dass die Juden an allem schuld seien, glauben heute viele Russen, dass der russische Angriffskrieg in der Ukraine berechtigt sei. Es ist nur eine Frage der Medienkontrolle. Und da kommen wir zurück nach Serbien: Wenn regierungsfreundliche Medien einen aggressiven Autokraten wie Vučić lang genug und geschickt glorifizieren, beginnen die Serben ihn als ihren Erlöser zu lieben. Wenn gleichgeschaltete Medien über einen Andersdenkenden rund um die Uhr herfallen, dann beginnen ihn die serbischen Medienkonsumenten zu hassen. Wenn man derart "vorprogrammiert" zu den Urnen geht, dann ist das nicht gerade ein Fest der Demokratie.

Regierung kontrolliert Medienlandschaft

Rund 70 Prozent der Serben informieren sich über TV-Sender. Gleichzeitig sind 100 Prozent der Radio- und Fernsehsender mit nationaler Frequenz regimetreu. Ein Regime, das in seiner Natur autokratisch sei, könne nur bestehen bleiben, wenn die Kontrolle total sei, schreibt das unabhängige Faktencheck-Portal "Istinomer" in einem Bericht über die Lage der Medien in Serbien.

Da Serbien keine offene Diktatur ist, kann auch die Medienkontrolle nicht absolut sein, dafür wird aber die Reichweite kritischer Medien, soweit es nur geht, reduziert. Die Folgen sieht man überall. Zum Beispiel: Minister die nachweisbar ihre Dissertationen gefälscht haben oder in Waffenschmuggel, Cannabis-Anbau, Korruption, illegalen Bau, Veruntreuung usw. involviert waren oder die Herkunft ihres Eigentums nicht nachweisen können, werden wiedergewählt. Wenn eine Regierung mit solchen Ministern die Medienlandschaft kontrolliert, kommen Politiker nicht unter Druck.

Die Putin-Liebe der Serben

Auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine tut der Popularität von Wladimir Putin in Serbien keinen Abbruch. Dieses Graffito bezeichnet den russischen Präsidenten als "Bruder" des serbischen Volkes. Bildrechte: IMAGO / SNA

Ein anderes Beispiel: Die meisten serbischen Wähler finden es hervorragend, dass Serbien wie verrückt mit russischen und chinesischen Waffen aufrüstet, weil ihnen in den Medien erzählt wird, dass Serbien bedroht sei, und Russen und Chinesen die besten Freunde der Serben seien.

Oder auch: Die meisten Serben sind davon überzeugt, dass Russland der größte Geber in Serbien sei, obwohl kein einziger Rubel von Russland nach Serbien geflossen ist. Der mit Abstand größte Geber ist natürlich die Europäische Union.

Und dann die Russland- und Putin-Liebe der Serben. Seit einem Jahrzehnt schüren gleichgeschaltete Medien des EU-Beitrittskandidaten Serbien eine prorussische beziehungsweise antiwestliche Stimmung. Die Folge: Die meisten Serben, wenn sie mit den Gräueltaten der russischen Truppen in der Ukraine konfrontiert werden, lehnen das als "amerikanische Propaganda" ab.

Goldenes Zeitalter in Serbien – frei erfunden

"Serbische Medien greifen ihre Konsumenten regelrecht an. Diese gewalttätige mediale Manipulation schürt eine Stimmung, in der man den Machthabern Glauben schenkt. Informationen sind so gestaltet, dass sie uns überzeugen sollen, dass wir in Serbien in einem goldenen Zeitalter leben", sagt der Verleger Zoran Hamović. Das klappt, obwohl gut ein Viertel der Bevölkerung an der Armutsgrenze lebt! Die Bürger trauen eher den Wohlstandsbeteuerungen, die ihnen das Fernsehen serviert, als ihren eigenen Augen beim Blick ins Portemonnaie.

In Serbien sind offiziell mehr als 2.500 Medien registriert, doch ihr Marktwert sei sehr bescheiden, steht in einer Studie der Belgrader Wirtschaftsuniversität. Der Werbemarkt sei klein, so dass die meisten Medien, marktwirtschaftlich betrachtet, nicht existenzfähig seien.

Nur die "Braven" bekommen Anzeigen

Was in der Studie nicht steht: Der Werbemarkt wird von der Regierung kontrolliert, so dass nur regierungsfreundliche Medien an Anzeigen kommen. Kritische Medien bekommen so gut wie nichts vom Kuchen ab.

Die verheerenden Folgen dieser Medienkontrolle spürt man in allen Teilen der serbischen Gesellschaft – vor allem aber in der Überzeugung vieler Serben, dass sie in einem freien, demokratischen Land leben. Sie glauben das, weil es ihnen im Fernsehen nachdrücklich nahegelegt wird.

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 03. Mai 2022 | 19:30 Uhr