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TschechienAmtsenthebung des Präsidenten: Ja, nein, vielleicht?

21. Oktober 2021, 13:56 Uhr

Kurz nach der Parlamentswahl steht Tschechien an einem verfassungsrechtlichen Scheideweg. Miloš Zeman, Präsident der Republik, liegt mit einer schweren Lebererkrankung im Krankenhaus und ist nicht in der Lage, sein Amt zu bekleiden. Das ist aber notwendig für die Bildung einer neuen Regierung nach der Wahl. Einige andere Akteure könnten die Befugnisse von Zeman übernehmen. Erst im November wird wahrscheinlich Klarheit herrschen.

von Helena Truchlá, Prag

Bis vor einigen Monaten war der Verfassungsartikel 66 wahrscheinlich nur Politikwissenschaftlern und Juristen bekannt, heute ist er ein gängiges Gesprächsthema in der tschechischen Öffentlichkeit. Seine Aktivierung, die nach Ansicht von Mitgliedern des Oberhauses des tschechischen Senats unvermeidlich ist, wäre eine offizielle Bestätigung lang gehegter Befürchtungen: Dass der tschechische Präsident Miloš Zeman aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, sein Amt auszuüben. Und er deswegen entmachtet werden soll. 

Zeman ist schwer krank

Der 77-jährige sozialdemokratische Politiker liegt derzeit auf der Intensivstation des Militärischen Universitätskrankenhauses Prag. Nach Angaben von Journalisten leidet er an einer Lebererkrankung, die auch psychische und neurologische Probleme verursacht: von leichter Verwirrung bis zum Koma. 

Genauere Informationen über den ernsten Gesundheitszustand Zemans kamen kurz nach den Parlamentswahlen, nach denen der Präsident der Republik eine wichtige Rolle spielt: Er nimmt den Rücktritt der scheidenden Regierung an und ernennt einen neuen Premierminister. 

Komplizierte Situation nach den Wahlen

Wenn der Präsident nicht in der Lage ist, sein Amt auszuüben, wie von Ärzten am Montag bestätigt, haben die Mitglieder beider Häuser des Parlaments die Möglichkeit, seine Befugnisse auf zwei andere hochrangige Verfassungsbeamte zu übertragen: auf den Regierungschef und den Präsidenten der Unterhauses (Poslanecká sněmovna). Dies ist in der Geschichte der Tschechischen Republik bereits zweimal geschehen.

Alle Macht dem Senatspräsidenten

Der Präsident des Senats wird nach Lage der Dinge die Schlüsselfigur für die weitere Entwicklung sein, denn die Verfassung sieht vor, dass im Falle der Entmachtung des Präsidenten der Vorsitzende des Unterhauses den neuen Regierungschef ernennt. Der Senat wird jetzt von einer Koalition aus konservativ-liberalen Parteien dominiert (einschließlich der ODS Partei), die bisher die Opposition zur Regierung Babiš gebildet haben. Es ist im Moment noch nicht klar, wer zum Präsidenten des Unterhauses gewählt werden könnte. Lediglich Markéta Pekarová Adamová von der liberalen Partei TOP09 hat ihre Kandidatur angekündigt. Die erste Sitzung ist für den 8. November geplant. 

Abstimmung über Entmachtung Zemans

Erst danach wird Artikel 66 möglicherweise aktiviert werden. Beide Kammern müssten ihm zustimmen. Die Vertreter des Senats kündigten schon am Dienstag an, dass die Abstimmung über die Entmachtung Zemans voraussichtlich am 5. November stattfinden wird. In der Zwischenzeit wollen die Gesetzgeber weitere Bulletins über den Gesundheitszustand von Zeman prüfen. Es ist daher zum jetzigen Zeitpunkt ungewiss, ob der Staatsoberhaupt tatsächlich seine Schlüsselkompetenzen verlieren wird. 

Senatspräsident Miloš Vystrčil Bildrechte: IMAGO / Hans Lucas

Wer kann einen neuen Premier ernennen?

Sollte Zeman seines Amtes enthoben werden, könnte der neue Chef oder die neue Chefin des Unterhauses einen neuen Premierminister und dessen Regierung ernennen. Miloš Zeman hatte ursprünglich Babiš versprochen, ihn zum Regierungschef ernennen zu wollen, obwohl dessen Partei bei den Wahlen nur auf dem zweiten Platz landete. Nach Artikel 66 der tschechischen Verfassung ist dies jedoch nicht möglich.

So würde der Chef einer neuen Regierung, aller Wahrscheinlichkleit nach Petr Fiala, dann anstelle von Zeman die Geschäfte des Präsidenten übernehmen. 

Mögliche Szenarien

Und was könnte als nächstes passieren? Sollte sich der Präsident erholen, könnte Artikel 66 erneut zur Anwendung kommen. Im Falle seines Rücktritts oder seines Todes müsste innerhalb von zehn Tagen zu einer Neuwahl des Präsidenten aufgerufen werden. Diese Wahl müsste dann zwingend in den nächsten drei Monaten erfolgen. Zeman könnte sich jedoch auch gegen Artikel 66 vor dem Verfassungsgericht wehren. Das wäre ein Szenario, das es in der Tschechischen Republik noch nie gegeben hat.

In der Zwischenzeit untersuchen Polizei und Geheimdienste das Verhalten von Zemans engsten Vertrauten, die lange verheimlicht haben, wie schlecht es dem Staatschef geht. Sie laufen daher Gefahr, wegen krimineller Handlungen gegen die Republik belangt zu werden.

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | 14. Oktober 2021 | 17:45 Uhr