Tschechien Christin und Europäerin aus Budweis

01. Mai 2019, 10:24 Uhr

Helena Faberová ist 83 und in Budweis zu Hause. Was Krieg bedeutet und wie er sich auf Familien niederschlägt, hat sie als Kind noch erlebt. Die EU ist für sie vor allem Hoffnung auf ein friedliches Miteinander.

Aus der Küche klingt Musik in das Wohnzimmer mit den dicken Teppichen. Helena Faberová zeigt auf eine Wand voller Fotos: "Enkel habe ich sechs", sagt sie: "Urenkel vier. Und das hier ist die Hochzeit meiner Enkelin im letzten Herbst. Das hier ist es, worum es geht: Die Familie ist meine Priorität." Und die Familie könne nur dann gut leben, wenn etwas wie die Europäische Union existiere, die versuche, kriegerische Konflikte zu verhindern.

Deutsch-tschechische Familiengeschichte

Helena Faberová ist 83 Jahre alt, und hier in ihrem Reihenhaus in Budweis ganz im Süden Tschechiens hat sie vieles selbst erlebt, was jüngere Generationen heute aus Geschichtsbüchern lernen: Ihre Mutter, erzählt sie, stamme aus einer tschechisch-deutschen Familie, ihr Vater sei Tscheche gewesen: "Als ich zehn Jahre alt war, habe ich gesehen, wie einige unserer Verwandten aus Tschechien vertrieben wurden."

Ich habe mir mit meiner kindlichen Naivität gesagt: Die sind doch nett! Die sprechen zwar kein Tschechisch, sondern Deutsch - aber warum müssen sie gehen?

Helena Faberová

"Klar, der zu Ende gegangene Krieg, die vielen schrecklichen Dinge - aber da konnten doch diese Leute nichts dafür!", fügt Faberová an.

Ein Leben lang an Europa mitgebaut

Wie eng der europäische Gedanke der Versöhnung mit jedem einzelnen Menschen zu tun hat - das habe sie damals als Kind verstanden, sagt Helena Faberová. Ihr Leben lang hat sie an Europa mitgebaut, von ihrem Haus hier in Budweis aus. Während des Kommunismus war sie in der Untergrundkirche aktiv, weil in Tschechien die offizielle katholische Kirche einen schweren Stand hatte.

Gottesdienste im Wohnzimmer

Trotz drohender Gefängnisstrafen feierte sie im Wohnzimmer Gottesdienste mit Priestern, die vom Regime mit Berufsverbot belegt waren – ein kleines Stückchen Freiheit in der Unterdrückung.

Das kommunistische Regime spielte ihr gegenüber seine Macht aus: Sie durfte nicht studieren und sie durfte nicht ins Ausland reisen.

Hey, ich bin doch kein Politiker und keine gefährliche Person! Warum kann ich nicht über die Grenze?

Helena Faberová

Es sei nicht im Interesse der Republik, dass sie ins Ausland fahre, habe man ihr damals gesagt. Wer in ihr eine Gefahr gesehen habe, wisse sie nicht.

Europa der offenen Grenzen

Das Europa der offenen Grenzen, das wird an ihrem Beispiel deutlich, kann wohl erst wirklich schätzen, wer auch das Gegenteil erlebt hat. Seit der politischen Wende, als sie wieder reisen durfte, ist Helena Faberová in der Ackermann-Gemeinde aktiv, einem christlichen Verband, der sich für die deutsch-tschechische Versöhnung einsetzt. Dass die Nachbarn miteinander gut auskämen, sei ein wichtiger Schritt zu einer gesamteuropäischen Union:

Ich glaube, in den internationalen Beziehungen ist es genauso wie zwischen den Menschen.

Helena Faberová

Man müsse grundlegende Werte haben, die nationale Egoismen, Nationalismus und die anderen negativen Elemente unterdrücken, sagt Faberová: "Aus meiner Sicht sind das die christlichen Werte, aber das heißt natürlich nicht, dass kein guter Europäer sein kann, wer kein Christ ist."

Für Helena Faberová ist die EU wegen ihrer eigenen Geschichte nicht nur eine Frage der hohen Politik, sondern ein ureigenes Anliegen. Ihre Enkel und Urenkel, sagt sie, sollen die Erfahrung von Krieg und Unfreiheit nicht machen – und dafür sei die Europäische Union immer noch die beste Voraussetzung.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 23. April 2019 | 09:00 Uhr