Diplomatie Russland und die Ukraine wollen politische Gefangene austauschen

03. September 2019, 05:00 Uhr

In Russland und der Ukraine wird über einen bevorstehenden Austausch politischer Gefangener spekuliert. Am vergangenen Freitag hatten sich bereits dutzende Journalisten auf dem Kiewer Flugplatz versammelt. Umsonst, wie sich dann herausstellte.

Bereits in der Nacht zum 30. August hatte die Rada-Abgeordnete Anna Islamowa in ihrem Facebook-Account geschrieben, dass der Austausch der Gefangenen in vollem Gange ist. Die Nachricht wurde von anderen Politikern und den russischen wie ukrainischen Medien sofort aufgegriffen und verbreitet. Doch schon ein paar Stunden später dementierte das ukrainische Präsidialbüro ebenfalls auf Facebook die Meldungen. "Der Prozess der gegenseitigen Freilassung gefangener Personen geht weiter. Die Information über seinen Abschluss entspricht nicht der Realität. Nicht zum ersten Mal beobachten wir ein Informationschaos, ausgelöst durch Verbreitung unbestätigter Informationen aus zahlreichen 'Quellen'. Wir appellieren an alle, sich die Folgen solcher Desinformationen zu vergegenwärtigen: Das ist ein Spiel mit den Emotionen der Gesellschaft", hieß es.

Journalisten warten am Flughafen Kiew-Schuljany
Umsonst auf freigelassene Gefangene aus Russland gewartet: Journalisten in der Nacht zum 30. August auf dem Kiewer Flughafen. Bildrechte: imago images / ITAR-TASS

Und tatsächlich hatte die Nachricht über den Gefangenenaustausch für großen Wirbel in der Ukraine gesorgt. Zahlreiche Journalisten hatten sich am 30. August am Kiewer Flughafen versammelt, um die vermeintlich freigelassenen Ukrainer zu begrüßen. Eine Reporterin des Internetsenders Nasch.Maksi-TV berichtete während einer Liveschalte vom Gespräch mit dem Vater eines Gefangenen, der sehr enttäuscht gewesen sein soll, als er davon erfuhr, dass die Nachricht von der Freilassung eine Falschmeldung war. Er habe alles stehen und liegen lassen, um so schnell wie möglich nach Kiew zu kommen und nun wisse er nicht, wo er hin solle. Solche Reaktionen der Öffentlichkeit, der Medien und Angehöriger zeigen deutlich, welchen Stellenwert die Rückkehr ukrainischer Gefangener aus Russland im politischen und gesellschaftlichen Diskurs des Landes hat.

Austausch für Selenskyj von höchster Priorität

Für Wolodimir Selenskyi hat ein Austausch der Gefangenen seit Beginn seiner Präsidentschaft höchste Priorität. Als Zeichen seiner Solidarität mit ihnen trug er Gummiarmbänder in ukrainischen Landesfarben mit den Namen der Seeleute, die von Russland in der Kertschstraße festgenommen wurden. Der Austausch steht ganz oben auf der Liste seiner politischen Agenda. Ein erfolgreicher Vollzug dürfte als großer Erfolg für Selenskyi gewertet werden und seine Position innerhalb der Ukraine weiter stärken.

Verhärtete Fronten unter Poroschenko

Auch unter Präsident Petro Poroschenko hatte es mehrere Austausche von Gefangenen zwischen Russland beziehungsweise den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk und der Ukraine gegeben. Etwa am 25. Mai 2016, als die ukrainische Pilotin Nadija Sawtschenko prominent gegen die mutmaßlichen russischen Militärgeheimdienstler Aleksandr Aleksandrow und Ewgenij Erofeew ausgetauscht wurde. Der letzte größere Austausch fand im Dezember 2017 statt. Damals hatte die Ukraine 306 gefangene Separatisten an die Volksrepubliken ausgeliefert und im Gegenzug 74 Gefangene bekommen.

Doch seitdem gab es in dieser Frage keine Bewegung mehr. Russland weigerte sich insbesondere, den ukrainischen Regisseur Oleg Senzow frei zu lassen, der unter fadenscheinigen Beschuldigungen des Terrorismus angeklagt und zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde. Petro Poroschenko dagegen verschärfte im letzten Jahr seiner Präsidentschaft die Rhetorik gegenüber Russland und war zu keinen Zugeständnissen bereit. Für eine weitere Verhärtung der Positionen und Verschlechterung russisch-ukrainischer Beziehungen sorgte die Gefangennahme von 24 ukrainischen Seeleuten Ende November 2018 in der Straße von Kertsch. Damals rechtfertigte die russische Seite die Maßnahme damit, dass mehrere ukrainische Schiffe russische Hoheitsgewässer vor der Halbinsel Krim verletzt hätten. Die Ukraine bestritt dies und beschuldigte Russland ihrerseits, illegal den Schiffsverkehr zu den ukrainischen Häfen im Asowschen Meer zu behindern.

Schlüsselfaktor: Selenskyj

Die Situation veränderte sich mit der Wahl Selenskyjs zum Präsidenten der Ukraine. Dieser positionierte sich von Beginn an als ein Präsident des Friedens. Statt kompromissloser Konfrontation, setzt er eher auf die Veränderung der Situation durch kleine Schritte der Entspannung. So bestand eine seiner ersten Amtshandlungen darin, ukrainische Truppen aus Stanyzja Luhanska von der Frontlinie abzuziehen und damit einer der Forderungen der Minsker Verträge von 2016 zu erfüllen. Am 11. Juli 2019 gab es ein erstes Telefonat zwischen Selenskyj und seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin. Der Gefangenenaustausch zählte zu den wichtigsten Themen des 20-minütigen Gesprächs, das von Putins Sprecher Dmtrij Peskow als pragmatisch bezeichnet wurde. Dieses Gespräch war offenbar der Auftakt der neuen Phase der Verhandlungen zum Gefangenenaustausch.

Was verspricht sich der Kreml vom Austausch?

Während die Position der Ukraine klar scheint, stellt sich die Frage, warum Russland ausgerechnet jetzt zu einem Austausch und zur Aufgabe seiner harten Position etwa in Bezug auf Senzow und die Seeleute bereit sein könnte. In einem Gespräch mit der Onlinezeitung Meduza.io hebt der russische Politologe Andrej Kortunow hervor, dass die Entscheidung über einen Austausch seiner Meinung nach in Moskau und nicht in Kiew getroffen wurde. Und dass der Zeitpunkt dafür alles andere als zufällig gewählt worden sei und mit dem Beginn der neuen Wahlperiode in der Ukraine zusammenhängen würde. Nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen sei es klar, mit wem man in der Ukraine reden kann und muss. Andererseits würde sich in naher Zukunft ein weiteres Treffen im Normandie-Format zum Krieg in der Ostukraine abzeichnen, für das Russland eine positive Ausgangslage bereiten wolle.

Und Kortunow ergänzt: "Die aktuellen Beziehungen mit der Ukraine sind abnormal und nicht im Interesse Russland. Vielen muss klar geworden sein, dass die Situation geändert werden muss und es keinen Grund mehr gibt zu warten. Man hat abwarten wollen, bis ein anderer Präsident an die Macht kommt - es gibt einen neuen Präsidenten. Man hat die Parlamentswahlen abwarten wollen - diese sind durchgeführt worden. Das heißt, es ist an der Zeit, dass endlich etwas passiert, anstatt weiter zu warten, dass "gute Kräfte" die Oberhand gewinnen und die Situation wieder so wird wie 2013, vor dem Maidan." Das werde nicht passieren", so der russische Politologe Kortunow.

(den)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 29. August 2019 | 10:55 Uhr

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