EU-Fahne auf den Fahnen von Russland und der Ukraine
Die Ukraine-Krise tangiert auch scheinbar weit entfernte Länder wie Serbien. Die Serben sind traditionell Russland sehr verbunden, doch gleichzeitig wollen sie auch in die EU. Bislang konnten sie ein gewisses Gleichgewicht halten. Doch in der Ukraine-Krise fällt das nicht leicht. Während sich die Regierung diplomatisch gibt, stellt sich die Presse auf die Setie Russlands. Bildrechte: IMAGO / Christian Ohde

Zwischen den Stühlen Sind die Serben Putin-Versteher? – Der Balkan im Ukraine-Konflikt

08. Februar 2022, 13:50 Uhr

Die Ukraine-Krise und das Tauziehen zwischen Russland und der NATO werden auch auf dem Balkan aufmerksam verfolgt – und bereiten Spitzenpolitikern schlaflose Nächte. Denn auf dem Balkan konkurrieren russische und westliche Einflüsse miteinander. Bislang gelang es meist, ein politisches Gleichgewicht zwischen Ost und West herzustellen. Doch in einer immer stärker polarisierten Welt wird das für die kleinen Staaten des Westbalkans immer schwieriger.

Serbien zum Beispiel konnte jahrelang, nicht gerade schnell, aber immerhin beständig, Fortschritte in Richtung EU-Mitgliedschaft machen und gleichzeitig Waffen und Erdgas zum bevorzugten Preis vom "brüderlichen" Russland kaufen. Die Serben durften Wladimir Putin feiern und lieben, und als er Belgrad besuchte, schmiss man gleich eine Militärparade zu seinem Ehren und Zehntausende Serben jubelten ihm zu. Der serbischen Regierung gönnte man es im Westen, sich um das Embargo gegen Moskau zu drücken, als die EU es wegen der Krim-Annexion verhängte.

All das wurde in Brüssel, Washington oder Berlin nicht gerade gern gesehen, aber man zeigte Verständnis und setzte den EU-Beitrittskandidaten nicht wirklich unter Druck, seine Sicherheits- und Außenpolitik den Richtlinien der EU anzupassen, wie es sich eigentlich gehört hätte.

Die Serben sind "Putin-Versteher"

Doch das dürfte sich ändern, falls russische Soldaten ukrainisches Territorium betreten, denn dann würde man gegen Russland Sanktionen verhängen, die wie eine Atombombe einschlagen würden, warnte US-Präsident Joe Biden. In diesem Fall wäre die Kluft zwischen dem Westen und Russland für lange Zeit so groß, dass die EU nicht länger Verständnis für den serbischen "Mittelweg" zwischen Ost und West hätte: Wer Clubmitglied werden möchte, kann nicht gleichzeitig für einen anderen Club spielen.

Die Regierung des von russischen Energielieferungen abhängigen Serbien ist sich dessen bewusst. Die regierenden Parteien wissen auch sehr wohl, dass serbische Wähler die orthodoxen Russen lieben und Putin der Lieblingspolitiker der Serben ist, denn "die Russen sind unsere Freunde und die NATO hat uns bombardiert" – so eine weitverbreitete Einstellung, denn die NATO-Bombardements, die Serbien zum Einlenken im Kosovo-Krieg 1999 bringen sollten, sind bis heute ein Trauma. Serbische Sanktionen gegen Russland oder gar gegen Putin persönlich, was Biden in Aussicht stellte, würden bei den Wählern nicht gut ankommen.

Serbien kann nur hoffen, dass der Konflikt nicht weiter eskaliert und Brüssel und Washington beginnen, darauf zu bestehen, dass EU-Beitrittskandidat Serbien seine Russlandpolitik an die der EU anpasst und die Liebe des Volkes zu Putin dämpft.

Kommentatoren geben Russland Recht

Das serbische Außenministerium gab sich im Konflikt bislang diplomatisch und verkündete, dass sich Serbien für eine friedliche Lösung in der Ukraine einsetze, und dass sich eine Eskalation des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine "negativ auf die serbische Außenpolitik auswirken würde", denn sowohl die Russen, als auch die Ukrainer seien befreundete und brüderliche slawische Völker.

Die meisten serbischen Medien und außenpolitischen Kommentatoren stellen sich jedoch auf die Seite Russlands: Eine weitere Osterweiterung der NATO könne Putin nicht tolerieren, heißt es, vor allem keine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine oder Georgiens, deshalb auch der enorme russische Truppenaufmarsch in Schussweite zur Ukraine. Selbstverteidigung sei das, heißt es in den Kommentaren, schießen wollten die Russen nicht, das habe Präsident Putin selbst versichert, doch der Westen wolle nicht zuhören.

Albanien und Nordmazedonien für den Westen

Im Gegensatz zu Serbien haben sich die NATO-Mitglieder Albanien und Nordmazedonien sofort auf die Seite der Ukraine und der westlichen Verbündeten und gegen Russland gestellt. Auch das Kosovo, das Serbien als Bestandteil des eigenen Staatsterritoriums betrachtet und dessen Sitz in der UNO es mit Unterstützung der UN-Veto-Macht Russland blockiert, bekannte sich klar zur westlichen Russlandpolitik.

Bosnien und Herzegowina innerlich zerstritten

In Bosnien und Herzegowina ist alles, wie immer, kompliziert. Offiziell kann es sich zum Konflikt nicht äußern weil alle drei "konstitutiven" Völker des Landes – Serben, Kroaten und Bosniaken – in Sachen Sicherheit und Außenpolitik in gesamtbosnischen Institutionen ein Vetorecht haben, und die bosnischen Serben eben, vielleicht noch mehr als die Serben in Serbien, Putin und die Russen lieben. Außerdem haben die USA gegen den starken Mann der bosnischen Serben, Milorad Dodik, Wirtschaftssanktionen verhängt, weil er die gesamtbosnischen Institutionen (meistens) ignoriert und fortwährend mit einer Sezession der serbischen Entität Republika Srpska droht. Einer offiziellen Kritik Russlands, oder gar irgendwelchen Sanktionen, würden die bosnischen Serben nicht zustimmen.

Montenegro steckt den Kopf in den Sand

Obwohl NATO-Mitglied, tut Montenegro immer noch so, als ob es den Ukraine-Konflikt nicht geben würde. In Montenegro herrscht eine tiefgreifende Regierungskrise, die das Land lähmt. Auch dort ist die Gesellschaft hinsichtlich Russland und Putin gespalten: Die montenegrinischen Serben (mehr als 30 Prozent der Bevölkerung) befürworten grundsätzlich alles, was der Kreml macht, die Montenegriner dagegen nicht.

Kroatiens Präsident beschimpft die Ukraine

Man würde davon ausgehen, dass im EU- und NATO-Mitglied Kroatien alles klar ist hinsichtlich der Ukraine-Krise – ist es aber nicht. Staatspräsident Zoran Milanović bezeichnete die Ukraine als ein "korrumpiertes" Land, das keinen Platz in der NATO haben sollte, und versicherte als "Oberbefehlshaber" der kroatischen Streitkräfte, dass kroatische Soldaten an diesem Konflikt unter keinen Umständen teilnehmen würden. Ministerpräsident Andrej Plenković musste sich danach für den Staatspräsidenten entschuldigen und schob den Ausrutscher auf dessen Diabetes.

Sollte sich die Krise zwischen dem Westen und Russland weiter zuspitzen, könnte das die Sicherheitslage auf dem Balkan beeinträchtigen: Denn es ist ein kleiner Nebenschauplatz, der den Großmächten nicht weh tut und wo Russland nicht nur ein Standbein hat, auf dem man die Konfrontation weiter zuspitzen könnte.

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