Containerhafen soll Export stärken Ungarn "liegt" ab sofort an der Adria

26. Juli 2019, 05:00 Uhr

Ungarn hat im italienischen Triest ein Meergrundstück gekauft. Dort soll ein Containerhafen entstehen - den die Logistikbranche des Landes gar nicht braucht.

Schiff in Hafen
Ungarn - endlich wieder ein Land am Meer. Bildrechte: imago/Panthermedia

Ungarn, gut 300 Kilometer vom Mittelmeer entfernt, hat jetzt wieder einen Adria-Hafen. Fast hundert Jahre nach der Unterzeichnung des Vertrages von Trianon, durch den Ungarn zwei Drittel seines damaligen Territoriums, und damit auch seinen Zugang zum Meer, verloren hatte. Wie Ungarns Außenminister Péter Szijjártó bekannt gab, hat die ungarische Regierung im italienischen Triest ein ca. 32 Hektar großes Hafengrundstück erworben, um dort einen Exporthafen für ungarische Firmen einzurichten. Gleichzeitig schlossen die italienische und die ungarische Regierung eine Nutzungsvereinbarung über 60 Jahre ab.

131 Millionen für eine Industriebrache?

Rund 31 Millionen Euro hat die ungarische Regierung dafür ausgegeben, weitere 100 Millionen Euro sollen in Infrastrukturmaßnahmen investiert werden, sagte Szijjártó und nannte den Grundstückserwerb einen der wichtigsten Deals der letzten Jahre. Die Regierung erwartet, dass in Zukunft jährlich rund zwei Millionen Tonnen Güter – etwa 78.000 Container – auf dem neuen Hafen umgesetzt werden. Ungarische Unternehmen sollen Exportgüter innerhalb von 24 Stunden über die Straße oder Schiene auf den Seeweg bringen können.

Gestapelte Container
78.000 Container sollen im ungarischen Adriahafen pro Jahr umgesetzt werden. Bildrechte: imago/Chris Emil JanŸen

Einen "ungarischen" Hafen zu schaffen ist schon länger ein Ziel der Regierung Orbán. Lange Zeit wurde ein Standort im slowenischen Koper favorisiert, es gab bereits Verhandlungen über eine Schienenanbindung. Die allerdings stagnierten, als die letzten Wahlen in Slowenien einen Regierungswechsel mit sich brachten.

Zu klein, um nützlich zu sein?

In den ungarischen Medien ist der Kauf mit Unverständnis aufgenommen worden. Das unabhängige, wöchentlich erscheinende Nachrichtenmagazin HVG, vergleichbar mit dem "Spiegel" in Deutschland, kritisierte, der ungarische Staat habe keinen Hafen, sondern eine Industriebrache erworben, auf der zuvor eine Raffinerie betrieben wurde. Hafenanlagen und Logistikzentrum müssten erst noch teuer gebaut werden. Vor allem aber sei das Gelände für einen Containerhafen völlig ungeeignet, da das Gelände mit rund 300 Metern zu kurz und die Wassertiefe an dieser Stelle mit 13 Metern zu seicht ist, um große Containerschiffe anlegen zu lassen. Es sei also unwahrscheinlich, dass sich im harten Wettbewerb der Häfen viele Reedereien dorthin locken ließen. 

Peter Szijjarto (Auߟenminister Ungarn)
Hat den Deal mit den Italienern perfekt gemacht: Ungarns Außenminister Péter Szijjártó Bildrechte: imago/Enters

Achselzucken in der Logistikbranche

Auch der vermeintliche Hauptnutznießer des Deals, die ungarische Logistikbranche, steht den HVG-Recherchen zufolge dem Projekt eher achselzuckend gegenüber. Schließlich würden ungarische Exportgüter in Containern heute zu genau den Häfen gebracht, in denen die Schiffe in die Zielländer ablegen würden – egal, wo dieser Hafen nun sei. Schließlich ist Ungarn Mitglied der EU.

Zahlen müssen die europäischen Steuerzahler

Das sieht auch Professor Dr. Ulf Brunnbauer, Chef des Leibnitz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg, so. Er sagte dem MDR: "Die ungarischen Exportunternehmen können den Hafen von Triest, so wie er existiert, nutzen. Es braucht keinen Staat, der einen Freihafen gründet." Solche Manöver, so Brunnbauer, stammten aus einer Zeit, als es in Europa noch keinen Freihandel gegeben habe.

Der Osteuropaexperte kritisiert außerdem, dass der Bau des ungarischen Adriahafens zu einem großen Teil mit EU-Geldern finanziert wird. Der europäische Steuerzahler habe also letztlich für das Ganze aufzukommen.  

Ulf Brunnbauer
Dr. Ulf Brunnbauer, Chef des Leibnitz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg Bildrechte: neverflash.com

Steckt hinter der Aktion China?

Brunnbauer hält es für durchaus möglich, dass auch chinesisches Geld in den ungarischen Adriahafen fließen wird. Denn China treibe sein Wirtschaftsprojekt "Neue Seidenstraße" seit Jahren massiv voran. In diesem Zusammenhang investiere es auch systematisch Mittelmeerhäfen. So sei der griechische Hafen Piräus bereits zur Hälfte in chinesischem Besitz. Und auch in den kroatischen Adriahafen Rijeka wollten die Chinesen einsteigen. Ungarn soll eine der wichtigsten Drehscheiben des ambitionierten chinesischen Projektes werden.

Rolle rückwärts

Vor dem ersten Weltkrieg hatte Ungarn als Teil des Habsburgerreiches tatsächlich noch einen Zugang zur Adria. Ein großer Abschnitt der kroatischen Küste gehörte damals zu Ungarn. Aus diesen Territorien wurde mit dem Friedensvertrag von Trianon gemeinsam mit Serbien und weiteren Gebieten ein eigenständiger Staat: Das spätere Jugoslawien. Mit dem aktuellen Hafenprojekt versucht die ungarische Regierung aus Sicht von Brunnbauer, die Gebietsverluste von damals symbolisch rückgängig zu machen. Deshalb, so der Osteuropaexperte, hebe man offiziell die nationalpolitische Bedeutung des Ganzen stärker hervor, als die ökonomische Sinnhaftigkeit.  

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL TV | 26. Juli 2019 | 17:45 Uhr

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