Andrang an Tankstelle in Ungarn
Lange Schlangen an Ungarns Tankstellen (hier am 6.12.): Der von Orban eingeführte Preisdeckel sorgte landesweit für Benzinmangel. Bildrechte: IMAGO / Xinhua

Inflation Warum die Preisbremse auf Benzin in Ungarn gescheitert ist

17. Dezember 2022, 12:46 Uhr

In Ungarn greift der Staat stark in das Marktgeschehen ein, um den Preis bestimmter Produkte trotz hoher Inflation dauerhaft niedrig zu halten. Beim Kraftstoff führte der Preisdeckel zu Versorgungsproblemen und musste wieder abgeschafft werden. Für Lebensmittel wurde der Preisdeckel hingegen bis Ende April verlängert. Zu einer Mangellage bei Lebensmitteln führte das bislang nicht, doch könnten die Preisbremsen die Inflation befeuern.

Porträt Kornelia Kiss
Bildrechte: Kornelia Kiss/MDR

Am späten Abend des 6. Dezember war es soweit: Ungarns Kanzleramtsminister Gergely Gulyás kündigte bei einer außerordentlichen Regierungspressekonferenz an, dass die Benzinpreisbremse mit sofortiger Wirkung abgeschafft wird. Der Grund dafür war die zunehmende Kraftstoffknappheit: Geschlossene Tankstellen und Schlangen vor den Zapfsäulen für Benzin und Diesel gehörten in der Woche vor der Entscheidung landesweit zum Alltag. 

Seit der Einführung Mitte November vorigen Jahres musste die Regierung den Benzinpreisdeckel bereits mehrmals nachbessern. Seit Ende Mai durften nur noch Fahrzeuge mit ungarischen Kennzeichen zu einem ermäßigten Preis tanken, und im Juli schränkte die Regierung die Liste der Begünstigten auf Privatpersonen ein. Nun gilt der ermäßigte Preis von 480 Forint (1,20 Euro) für Benzin und Diesel nicht mehr: Benzin kostet im Moment 625 Forint (1,54 Euro), Diesel 688 Forint (1,70 Euro). Dies entspricht einem Preisanstieg von 30 beziehungsweise 40 Prozent.

Ungarn braucht Benzin-Importe

Bei der Pressekonferenz erklärte der Vorstandsvorsitzende des ungarischen Ölkonzerns MOL, Zsolt Hernádi, dass Ungarn auf den Import von Diesel und Benzin angewiesen sei, um seinen Kraftstoff-Bedarf zu decken. Dieser Import sei aber nicht möglich, solange der Kraftstoffpreis gedeckelt wird. Hernádi warnte daher bereits seit Monaten davor, dass Preisbeschränkungen zu Engpässen führen könnten.

Druschba-Trasse
Billiges Öl aus Russland, in Ungarn raffiniert: Die Steintafel erinnert an den Start der Druschba-Pipeline, die heute noch die MOL-Raffinerie im ungarischen Százhalombatta mit Erdöl versorgt. Bildrechte: IMAGO / Xinhua

Trotzdem begründete die Regierung Ungarns die Versorgungsprobleme und die daraus resultierende Abschaffung des Preisdeckels mit dem von der EU eingeführten Ölembargo gegen Russland. Das war allerdings erst tags zuvor am 5. Dezember überhaupt in Kraft getreten. Zudem ist Ungarn von dem Embargo ausgenommen. Das Land hat damit weiterhin die Möglichkeit, durch die Erdölleitung "Freundschaft" billiges Öl aus Russland zu kaufen, das dann von MOL in Ungarn raffiniert wird. 

Doch der ungarische MOL-Konzern konnte den heimischen Kraftstoffbedarf nicht alleine decken. Auch ohne Importknappheit wäre die Firma überfordert gewesen: Die MOL-Ölraffinerie in Százhalombatta musste ihre Kapazitäten im November aufgrund von Reparaturarbeiten zurückfahren.

Der Preisdeckel machte den Import unrentabel

Vor der Einführung des Benzinpreisdeckels machte der Import etwa 30 Prozent der Kraftstoffversorgung Ungarns aus. Und es waren vor allem unabhängige, von kleineren Firmen betriebene Tankstellen - etwa 20 bis 25 Prozent der 2.000 Tankstellen in Ungarn -, die importierten Kraftstoff verkauften. Doch das lohnte sich wegen der Preisbremse nicht mehr – der Einkaufspreis lag über dem Verkaufspreis. "Niemand würde versuchen, mit Verlust zu importieren. Niemandem sollte zugemutet werden, bei jedem Liter Benzin 200 Forint (0,49 Euro) zu verlieren", sagt Gábor Egri, Vorsitzender des Verbandes Unabhängiger Tankstellen.

Tankstelle in Ungarn
Kein Sprit mehr: "Unsere Treibstoffversorgung ist derzeit unterbrochen", heißt es auf dem Schild. Bildrechte: IMAGO / Xinhua

MOL konnte die unabhängigen Tankstellen in den vergangenen drei Wochen gar nicht mehr mit Kraftstoff beliefern. Nun können sich die Tankstellen wieder an Importeure wenden: "Die Lage normalisiert sich langsam. Es gibt immer noch Tankstellen, denen das Benzin ausgeht. Unsere Erwartung ist, dass bis Mitte Januar die Ordnung wiederhergestellt sein wird", sagte Gábor Egri, Vorsitzender des Verbandes Unabhängiger Tankstellen, im MDR-Gespräch.

Regierung verlängert Preisdeckel für Lebensmittel

Gergely Gulyas
Muss immer ran, wenn es schlechte Nachrichten zu verkünden gibt: Orbáns Kanzleramtsminister Gergely Gulyás Bildrechte: imago/Pacific Press Agency

Trotz des Scheiterns der Benzinpreisbremse bleiben die Lebensmittelpreisbremsen in Ungarn weiterhin in Kraft: Sie wurden von der Regierung bis April 2023 verlängert. Der Preis für Kristallzucker, Weizenmehl, Sonnenblumenöl, Hähnchenbrust und –rücken, Schweinskeulen und Milch mit 2,8 Prozent Fettgehalt ist bereits seit dem 1. Februar gedeckelt. Einzelhändler müssen sie zu Preisen abgeben, zu denen sie die Produkte am 15. Oktober 2021 im Angebot hatten. Die Liste der betroffenen Produkte wurde sogar erweitert: im November kamen Eier und Kartoffeln dazu.

Diese Preisdeckel hat die Regierung damit begründet, dass sie der Bevölkerung helfen und auch die Inflation bremsen würden. Allerdings war die ungarische Inflation im November eine der höchsten in der EU: Insgesamt 22,5 Prozent, bei Lebensmitteln sogar 43,8 Prozent. 

Experten fürchten: Preisdeckel lassen die Inflation weiter steigen

Doch die Preisdeckel für Lebensmittel könnten die Inflation sogar befeuern, statt sie zu mindern, befürchtet der Ökonom und ehemalige Agrarstaatssekretär György Raskó im Gespräch mit der MDR-Osteuroparedaktion. Denn die Preisobergrenze beschert den Supermarktketten Verluste, die sie dann einfach auf andere Waren umlegen, deren Preise ansonsten nicht erhöht worden wären. "Die Schwächung der ungarischen Währung hat beim Preisanstieg bei Lebensmitteln eine Rolle gespielt, aber die Preisobergrenze hat sicherlich zum Anstieg der Lebensmittelpreise beigetragen", erklärt der Ökonom. Außerdem begünstige der Lebensmittelpreisdeckel, so wie auch die Benzinpreisbremse, nicht nur diejenigen, die dies tatsächlich brauchen. Laut György Raskó, wäre die gezielte Förderung der Bedürftige eine bessere Lösung gewesen: "Es hätte den Staat und vor allem die Wirtschaft weniger gekostet, wenn die Regierung diese Methode angewandt hätte."

Kein echter Mangel sondern Hamsterkäufe

György Raskó befürchtet aber – anders als bei Benzin und Diesel – keine größeren Probleme bei der Lebensmittelversorgung. Grund für den relativen Mangel, die man zurzeit in bestimmten Geschäften sehen kann – vor allem Zucker ist mancherorts schwer zu bekommen – sei eher psychologisch bedingt: Die Menschen kaufen große Vorräte an Produkten, die unter den Preisstopp fallen – oft in unangemessener Weise. "Die Verlängerung des Preisstopps für Lebensmittel um vier Monate wird keine Knappheit verursachen. Es ist auch wahrscheinlich, dass die Kaufbereitschaft in der näheren Zukunft abnehmen wird. Die Leute werden nun bis März oder April abwarten", meint György Raskó.

Allerdings sei es möglich, dass die im Inland produzierten Lebensmittel aus den Regalen der Geschäfte verschwinden und durch importierte Produkte ersetzt werden müssen. Denn auch die Kosten der Hersteller steigen rasant. "Wenn die Lebensmittelhersteller ihre Kosten aufgrund eines Preisstopps im Inland nicht decken können, verkaufen sie ihre Produkte im Ausland", warnt der Ökonom.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 10. Dezember 2022 | 07:15 Uhr

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