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Der ungarische Aussenminister Péter Szijjártó spricht bei einem Festakt zur Feier des Vertragsabschlusses mit CATL im vergangenen September in Debrecen. Bildrechte: IMAGO/Xinhua

UmweltschutzUngarn: Proteste gegen Batteriehersteller CATL

09. März 2023, 05:00 Uhr

Im ungarischen Debrecen wird heftig über die Ansiedlung einer Batterie-Fabrik gestritten. Im geplanten Werk des chinesischen Herstellers CATL, sollen Akkus für E-Autos produziert werden, unter anderem für Mercedes-Benz. Doch die Anwohner wehren sich. Sie fürchten Umweltschäden und den enormen Wasserverbrauch der Fabrik und das in einer Region, die ohnehin schon unter Dürre leidet. Sie wollen nicht den Preis für die Profite und die saubere E-Mobilität anderer zahlen.

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Der Ton ist unversöhnlich geworden in der Debatte um den Bau einer riesigen Batteriefabrik im ostungarischen Debrecen. Seit Wochen protestieren Anrainer gegen den bereits beschlossenen Bau, zwei öffentliche Anhörungen, bei denen Vertreter der Kommunalverwaltung und des Investors anwesend waren, verliefen – gelinde gesagt – turbulent, einige der empörten Teilnehmer vergriffen sich lokaler Medien zufolge zum Teil deutlich im Ton.

Die Bagger rollen schon: Hier soll die Megafabrik des chinesischen Batterieherstellers CATL entstehen. Bildrechte: IMAGO/Xinhua

Die Regierung stellt sich gegen den Protest und so behauptete der ungarische Außenminister Péter Szijjártó, dessen Ministerium die chinesische Investition angeworben hatte, die Fabrik-Gegner würden "den Interessen anderer Länder dienen" und "gegen den Umweltschutz und gegen die volkswirtschaftlichen Interessen kämpfen." Regierungsnahe Medien nannten die Demonstranten gar "falsche Debrecener".

Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes A 21 kommt da zu einem anderen Ergebnis: Demzufolge lehnen 64 Prozent der Debrecener den Bau einer Fabrik ab, nur 19 Prozent sprachen sich dafür aus.

Eine gigantische Batteriefabrik

Konkret geht es darum, dass der chinesische Batteriehersteller CATL (Contemporary Amperex Technology Co. Limited) in Debrecen auf 221 Hektar Land eine gigantische Fabrik erreichten will, in der Akkus für E-Autos hergestellt werden sollen. In das Werk, das 9.000 Beschäftigte und eine Kapazität von 100 Gigawattstunden (GWh) haben soll, will CATL 7.5 Milliarden Euro investieren. Es ist nicht das einzige Produktionsstätte dieser Art, das die chinesische Firma in Europa betreibt: Im Januar hatte CATL ein ganz ähnliches, wenn auch viel kleineres Werk in Thüringen in Betrieb genommen.

Während sich die Regierung über die "größte Investition aller Zeiten" in Ungarn freut, die Ansiedlung massiv mit Subventionen fördert und die wirtschaftlichen Vorteile sieht, sorgen sich die Menschen vor Ort um die Umwelt- und Lärmbelastungen, den Verlust von fruchtbarem Ackerland und vor allem den enormen Energie- und Wasserverbrauch der geplanten Fabrik. Sie fühlen sich mit ihren Sorgen alleine gelassen und sind wütend darüber, dass der Bau der Fabrik über ihre Köpfe hinweg einfach beschlossen wurde. Ein kommunalen Bürgerentscheid, den die Oppositionsparteien gefordert hatte, wurde von der Kommunalverwaltung abgelehnt. Die Opposition will gegen die Entscheidung Berufung einlegen.

Ungarn will Akku-Großmacht werden

Der Streit um das Debrecener Werk findet vor dem Hintergrund einer größeren Debatte um die Herstellung von Akkumulatoren in Ungarn statt, wo es schon einige – wenn auch viel kleinere – solcher Werke gibt. Die Regierung von Viktor Orbán sieht darin vor allem ein Geschäft der Zukunft. Schließlich hat die EU gerade aus Gründen des Klimaschutzes das Verbrenner-Aus beschlossen, die Autos der Zukunft werden also mit Batterien fahren müssen.

Will Ungarn zur Akku-Großmacht machen: Ministerpräsident Viktor Orbán. Bildrechte: IMAGO/Xinhua

"Wenn wir schnell genug sind, können wir durch die technischen Veränderungen alles gewinnen", sagte Ministerpräsident Orbán im Sommer bei seiner alljährlichen programmatischen Rede im rumänischen Băile Tuşnad, "Wir werden der drittgrößte Akku-Produzent der Welt – nicht nur prozentual, sondern in absoluten Zahlen", so Orbán. Zu diesem Zweck hat die Regierung sogar eine "nationale Strategie für Akkumulator-Wirtschaft 2030" beschlossen. Denn wo Batteriefabriken sind, da gibt es Arbeit, so die Logik.  

Umweltaktivisten und Anwohner dagegen sehen die Pläne der Regierung mit großer Skepsis, denn die Herstellung von Batterien ist nicht nur energieintensiv, sondern verbraucht jede Menge Wasser und das in einem Land, dass auch wegen des Klimawandels zunehmend mit Trockenheit zu kämpfen hat: Seen trocknen aus, die Ernte vertrocknet. Laut dem Staatlichen Meteorologischen Dienst (OMSZ) war 2022 das Jahr einer "historischen Dürre". Besonders betroffen war die ungarische Tiefebene, in der auch Debrecen liegt. Dazu kommt, dass die Stadt weder an einem See noch an einem Fluss liegt – Wasser ist also eine Ressource, die gut verwaltet werden muss.

Genug Wasser für alle?

Ungarn hatte im vergangenen Jahr mit einer beonders schweren Dürre zu kämpfen. Bildrechte: IMAGO / Panthermedia

Dabei half es der Debatte nicht, dass es einige Verwirrung darum gibt, wie viel Wasser die Fabrik in Debrecen tatsächlich benötigt. Ein Gutachten, dass den Wasserverbrauch der Fabrik auf bis zu 60.000 Kubikmeter pro Tag bezifferte, verschwand ungarischen Medienberichten zufolge nach zwei Tagen wieder von der Homepage der Kommunalverwaltung wegen Missverständlichkeit, wie es hieß. In der sogenannten Umwelt-Betriebsgenehmigung wird der Wasserverbrauch mit maximal 6.232 Kubikmeter pro Tag angegeben – immer noch mehr als 6,2 Millionen Liter - allerdings ist dort auch nur von einer Kapazität von 40 GWh anstatt der von der Regierung angekündigten 100 GWh die Rede. Gleichzeitig hat die Stadtverwaltung von Debrecen beschlossen, die Wasserversorgung für das Industriegebiet, in dem die Fabrik entstehen soll, massiv auszubauen.

Die Umweltorganisation WWF kommt daher zu einer ernüchternden Feststellung: "Wir haben die verfügbaren amtlichen Dokumente bezüglich der Fabrik in Debrecen geprüft, und daraus kann geschlossen werden, dass die Wassernutzung der gesamten Anlage (…) nicht geprüft wurde, da der Bau der Fabrik in mehreren Phasen genehmigt ist", sagte Dalma Dedák, Expertin für Umweltpolitik des WWF Ungarn bei einer Experten-Anhörung des zuständigen Ausschusses für nachhaltige Entwicklung im Budapester Parlament. Das hätte die Abgeordneten aller Parteien zumindest stutzig machen müssen - wenn sie denn da gewesen wären. Doch die Abgeordneten der regierenden Fidesz hatten nicht teilgenommen. Auch die eingeladenen Vertreter von Energie- und Außenministerium waren nicht erschienen.

Angst vor Umweltgiften und Fachkräftemangel

Die Menschen fürchten außerdem, dass Giftstoffe aus der Produktion in die Umwelt gelangen könnten. Schließlich gab es bereits in anderen, wesentlich kleineren Batteriefabriken im Land immer wieder Fälle in denen Schadstoffe in die Umwelt und ins Grundwasser gelangt sind. Vor allem eine Fabrik des Elektronikherstellers Samsung in Göd geriet in die Schlagzeilen, weil trotz der Auflagen Arbeiter gefährdet und Schadstoffe ins Grundwasser gelangt waren.

Auch die 9.000 in Aussicht gestellten Arbeitsplätze überzeugen viele Menschen in Debrecen nicht, denn in Ungarn herrscht bereits jetzt ein eklatanter Fachkräftemangel. Auch in Debrecen, wo auch BMW ein großes Werk betreibt. Deshalb, vermuten viele Menschen hier, werden die meisten Beschäftigten der geplanten Fabrik aus dem Ausland angeworbene Arbeitskräfte sein.

Gesucht: Eine ergebnisoffene und ehrliche Debatte

Klar ist: Die Antriebswende funktioniert nicht ohne Akkus für E-Autos. Bildrechte: IMAGO / Elmar Gubisch

Dass für eine klimaverträgliche Zukunft leistungsfähige Akkus gebraucht werden und folglich auch irgendwo gebaut werden müssen, bestreitet niemand. Vor allem kritisieren Umweltverbände wie der WWF oder Greenpeace, dass die Debatte nicht ehrlich und auf Basis der Tatsachen geführt werde. In einer Stellungnahme des WWF hieß es daher: "Es ist ein gravierendes Problem, dass die gesetzlich vorgeschriebene Umweltprüfung der strategisch wichtigen Industrie, die viele natürliche Ressourcen benötigt, nicht durchgeführt und in vielen Fällen die Umweltverträglichkeitsprüfung einzelner Fabrikbauten höchstwahrscheinlich nach der 'Salamitaktik' scheibchenweise aufgeteilt wurde. Daher konnten sich weder die ungarische Gesellschaft noch die Anwohner ein genaues Bild von den Auswirkungen des neuen Wirtschaftszweiges auf das Leben der Ungarn und den Zustand unserer natürlichen Ressourcen machen". 

Derweil klingen die Wortmeldungen der Debrecener Bürger zunehmend verzweifelt: "Das sind nicht unsere Akkumulatoren und nicht unsere Fabriken", sagte eine Rednerin auf der Demo am vergangenen Samstag. "Uns und unseren Kindern bleiben nur die Umweltverschmutzung, die vergiftete Luft, die auf vergiftetem Boden angebauten Lebensmittel, das vergiftete Wasser, der unerträgliche Lärm (…) und die vielen Kredite, die wir aufgenommen haben, um die Infrastruktur in den Gewerbegebieten auszubauen." Sie fordern vor allem: ein Recht auf Mitsprache.

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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 23. Juli 2022 | 07:15 Uhr