
Ungarn Zebras, Zecken und Milliarden: Fidesz-Luxus in der Kritik
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07. Mai 2025, 08:08 Uhr
Der wachsende Reichtum von Familie und Freunden des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán hat der ungarischen Regierungspartei Fidesz bislang nicht geschadet. Das könnte sich nun ändern, weil die wirtschaftliche Lage im Land schlechter wird. Der zur Schau gestellte Reichtum irritiert immer mehr Ungarn, die neuerdings eine politische Alternative zur Fidesz haben. Die sieht sich deshalb gezwungen, die Missstände in den eigenen Reihen anzuprangern und ein paar symbolische Gesten zu machen.
Aufregung um ein paar Zebras
Ein paar Zebras auf einem Bauernhof wären wohl zu wenig für eine Haussafari – und auch zu wenig, um zum wichtigen politischen Thema des Landes zu werden. In Ungarn ist die Situation jedoch anders, denn die Tiere weiden auf einem Grundstück, das der Jagdgesellschaft von Lőrinc Mészáros gehört, einem Jugendfreund von "Landesvater" Viktor Orbán. Und dieses liegt direkt neben dem ehemaligen Anwesen von Erzherzog Joseph Habsburg (1776-1846), das Orbáns Vater gekauft und zu einer Residenz ausgebaut hat. Im öffentlichen Diskurs wird Hatvanpuszta, das Anwesen etwa 40 km von der ungarischen Hauptstadt entfernt, als die Hazienda von Viktor Orbán behandelt.
Der Premierminister selbst hat offiziell kaum Vermögen. Er gibt jedes Jahr eine obligatorische Vermögenserklärung ab, laut derer er weder über große Ersparnisse noch über besonders wertvolle Immobilien verfügt. Ganz anders sieht das aber bei seinen Familienangehörigen aus, sagt Katalin Erdélyi, Journalistin beim Investigativportal Átlátszó.
Orbáns Familie und Freunde bereichern sich
"Laut seiner Vermögenserklärung ist Viktor Orbán extrem arm, er hat praktisch nichts. Aber alle seine Verwandten, sein Vater, seine Frau, seine Kinder, seine Brüder, sein Neffe – sie sind alle reich, sehr reich", sagt die Journalistin, die seit Jahren über die Bereicherung von Orbáns Umfeld berichtet.
Auch dem Ministerpräsidenten nahestehende Geschäftsleute haben große Vermögen angehäuft – nicht zuletzt deshalb, weil öffentliche Aufträge oft an ihre Firmen gehen. Die Vermögen sind nicht nur für ungarische Verhältnisse herausragend. Forbes schätzt das Vermögen von Lőrinc Mászáros beispielsweise auf 1.200 Milliarden Forint (umgerechnet knapp drei Milliarden Euro). "Lőrinc Mészáros, ein Jugendfreund von Viktor Orbán und Gasinstallateur vom Land, ist in nur wenigen Jahren zum reichsten Mann Ungarns geworden. Man muss sich vergegenwärtigen, dass er doppelt so viel Geld hat wie die Sängerin Taylor Swift oder der Fußballspieler Cristiano Ronaldo", sagt Erdélyi.
Viele Ungarn sind überzeugt, dass Orbán die Luxusanwesen seiner Familienmitglieder und Freunde persönlich nutzt und sie gewissermaßen als Strohmänner einsetzt, um auf dem Papier mittellos zu bleiben – beweisen kann man das allerdings nicht. Dennoch wird der Verdacht systemischer Korruption in Ungarn häufig mit dem außerordentlichen Reichtum der Orbán nahestehenden Personen illustriert. Außerdem galt Ungarn gemäß dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International 2024 das dritte Jahr in Folge als korruptestes Mitgliedsland der Europäischen Union. Die Korruptionssituation war einer der Gründe für das Einfrieren der EU-Mittel für Ungarn.
Auch einigen amtierenden Regierungspolitikern attestiert Erdélyi schwer zu erklärenden Reichtum: "Der Bau- und Verkehrminister János Lázár hat zum Beispiel ein Schloss, das er als Jagdhaus bezeichnet. Er hat auch das gesamte Land und die Wälder drum herum aufgekauft." Ein weiteres Beispiel: "Die aktuelle Ehefrau von Kabinettminister Antal Rogán zeigt sich in Kleidern, Schuhen und Handtaschen im Wert von 30-100 Millionen Forint (72.000-240.000 Euro – Anm. der Red.), aber die Erklärung dafür ist, dass die Ehefrau die Kleider nur geliehen hat und ähnlicher Unsinn. Immer wird irgendwie erklärt, woher sie ihr Vermögen haben."
Reiche Politiker lassen viele Ungarn kalt
Es handelt sich um kein neues Phänomen – Journalisten berichten schon seit Jahren darüber. Trotzdem hat Orbáns Fidesz-Partei bei der Parlamentswahl 2022 zum vierten Mal in Folge eine große Mehrheit gewonnen. Warum sich die ungarischen Wähler nicht mehr für den außerordentlichen Reichtum des Umfelds des Premierministers interessieren, ist für Analysten schon lange ein Thema.
Das Forschungsinstitut Republikon hat vor ein paar Jahren eine Umfrage über die Einstellung der Wähler zur Korruption durchgeführt. Ihr Vorsitzender, der Ökonom und ehemalige Staatssekretär Gábor Horn, ist zur Schlussfolgerung gekommen, dass die ungarischen Wähler sich in erster Linie um ihre eigenen Probleme in ihrem engsten Lebensumfeld kümmern. Es gehe nicht darum, dass die Wähler Korruption nicht verstünden oder darüber nicht empört wären, für ihre Wahlentscheidung sei das aber nicht ausschlaggebend. Sie würden vielmehr danach entscheiden, wer ihnen ein besseres Leben verspricht.
"Der ungarischen Gesellschaft fehlt die längerfristige Sichtweise. Man denkt kurzfristig, weil das Leben den Menschen so kurzfristig zu lösende Fragen stellt: Ob sie bis zum Ende des Monats über die Runden kommen, ob sie mit der Familie endlich in Urlaub fahren können", meint Horn. Die Oppositionswähler seien zwar viel kritischer gegenüber der Korruption, aber auch für sie sei das nicht das wichtigste Problem.
Woher diese Einstellung kommt, bleibt Horn bis zu einem gewissen Grad ein Geheimnis. In anderen Ländern Mittel- und Osteuropas sei es eher untypisch, dass Politiker oder ihnen nahestehende Personen einen derartigen Reichtum anhäuften und die Gesellschaft dies akzeptieren würde. "Die ungarische Öffentlichkeit ist in der Frage der Korruption apathisch. Ihre traurige Erkenntnis über die Politik ist, dass alle Politiker stehlen, und wenn neue Politker kommen, werden sie das Gleiche tun", sagt Horn.
Schlechte Wirtschaftslage ändert Spielregeln
Allerdings hat sich die Wirtschaftslage in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert, die Inflation, die zeitweise die höchste in der EU war, setzt ungarischen Haushalten zu. Dies könnte die Unzufriedenheit der Wähler verstärken und die Themen Korruption und Bereicherung wieder relevant für die Entscheidungen an der Wahlurne machen – umso mehr, als es inzwischen eine markante politische Alternative gibt: Péter Magyar gründete im vergangenen Jahr seine Tisza-Partei, die in mehreren Meinungsumfragen bereits vor der Regierungspartei liegt.
Die Tisza-Partei thematisiert die Bereicherung von Mitgliedern des Orbán-Clans und Fidesz-nahen Unternehmern regelmäßig. Die Zebras, über die in der Presse schon früher berichtet wurde, wurden von Magyar wieder in den öffentlichen Diskurs gebracht. Der Oppositionspolitiker versuchte, mit den Zebras zu veranschaulichen, welche Art von Luxusanlage in Hatvanpuszta gebaut wurde. Mit Erfolg, denn die Zebrafarm ist schnell zu einem Mem in der ungarischen Öffentlichkeit geworden.
Fidesz-Leute wollen Wähler besänftigen
Die PR-Leute der Regierungspartei haben darauf reagiert. Die Fidesz will nun zeigen, dass sie hart gegen extravaganten Luxus vorgeht. János Lázár, der als besonders einflussreicher Minister gilt, hat auf einem Straßenforum Ende März eine harte Botschaft an regierungsnahe Unternehmer gesendet: Einige von ihnen hätten die von der Fidesz geschaffenen Möglichkeiten "missbraucht" und würden nun "wie Zecken" weggefegt, um das Vertrauen der Wähler zu erhalten. Lázár kritisierte diejenigen, die ein Leben in Luxus führen: "Ich persönlich habe die Nase voll vom Luxus, dem Fliegen, den Jachten und all den Dingen, die einige Leute in diesem Land mit den geschaffenen Möglichkeiten machen. Wir von der Fidesz erwarten, dass sie damit so schnell wie möglich aufhören." Der Appel ließe sich wie folgt übersetzen: Bereichert euch ruhig weiter, stellt euren Reichtum aber gefälligst nicht mehr so stark zur Schau, weil es Ottonormalerverbraucher reizt. Welche Unternehmer er konkret meint, hat Lázar übrigens nicht klargemacht. Sicher ist, dass er Orbán für die Lage nicht verantwortlich machen wollte, denn, so Lázár, der Ministerpräsident "lebt immer noch genauso wie vor 25 Jahren".
"Ich glaube, die Fidesz hat begonnen, sich intensiv mit diesem Thema zu beschäftigen, weil sie spürt, dass das auch für ihre eigenen Anhänger inakzeptabel ist, und nun versuchen sie, Gesten zu machen", sagt Ökonom Gabor Horn. Das sei auch darauf zurückzuführen, dass die Fidesz mit Péter Magyar nun einen aussichtsreicheren Konkurrenten hat als zuvor. Die Kernwählerschaft der Fidesz sei im Moment ähnlich groß wie die von Magyar, und so werde die Wahl 2026 von den unentschlossenen Wählern entschieden. Was für sie unannehmbar ist, sei es ein Zebra oder sonst etwas, könnte der Regierungspartei eine Wahlniederlage bescheren.
MDR (baz)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 10. Mai 2025 | 07:17 Uhr