Ungarn: Neuer Mediengigant auf Orbán-Kurs
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Dem ungarischen Premier Viktor Orbán ist es gelungen, nahezu alle regierungsrelevanten Medien in die Hand eines Vertrauten zu legen. Medienexperten sehen die zentrale Steuerung äußerst kritisch. Denn das neue Medienunternehmen gefährde einmal mehr die Medienvielfalt in dem osteuropäischen Land.

In Ungarn bündelt seit kurzem eine große Stiftung zahlreiche Medien, die als regierungsnah gelten. Unter dem Dach der "Zentralen Europäischen Presse- und Medienstiftung" - kurz KESMA genannt - ("Közép-Európai Sajtó és Média Alapítvány") sind zahlreiche Fernsehsender, sämtliche Lokalblätter des Landes, Magazine, Radiosender bis hin zu Presseagenturen sowie Druckereien vereint. Leiter ist der ungarnweit bekannte Medienunternehmer und Zeitungsverleger Gábor Liszkay, der als treuer Unterstützer von Premier Viktor Orbán gilt und der in den vergangenen Jahren bereits viele Medienunternehmen führte, die dem Regierungschef wichtig waren.
Normalerweise hätte der Zusammenschluss der zahlreichen Titel von den ungarischen Kartellbehörden genehmigt werden müssen. Doch Regierungschef Orbán nahm die Stiftung von einer derartigen Überprüfung mit der Begründung aus, sie sei von "volkswirtschaftlich strategischer Bedeutung".
Zentrale Steuerung möglich
Die Medienvielfalt in Ungarn sieht die Medienwissenschaftlerin Krisztina Rozgonyi durch die Gründung des neuen Mediengiganten KESMA stärker in Gefahr als je zuvor. So würden die Medien durch die Stiftung jetzt zentral gesteuert. "Da gibt es ganz andere Möglichkeiten, wie man Medieninhalte, Medienproduktion und Medienoutput kontrollieren kann", sagt Rozgonyi. Denn die Stiftung kontrolliert nicht nur Presseerzeugnisse sowie Fernseh- und Radiosender, sondern auch zahlreiche Druckereien und Zusteller.
Jahrelanger massiver Umbau
"Ungarn ist zu einem Symbol für eine illiberale Medienregulierung geworden", sagt Rozgonyi über die Medienlandschaft ihres Heimatlandes. So ließ Ministerpräsident Viktor Orbán in den vergangenen Jahren den öffentlich-rechtlichen Rundfunk massiv umbauen und einen umstrittenen Medienrat schaffen, der als Aufsichtsbehörde dient. Damit werde die Pressefreiheit Schritt für Schritt eingeschränkt. "Die Entwicklung Ungarns wird in der medienpolitischen Diskussion als 'worst case' angesehen, doch liegt dieser 'worst case' mitten in der EU", meint Rozgonyi, die an der Universität Wien lehrt.
Presse nur noch "teilweise frei"
Mit ihrer Kritik ist Wissenschaftlerin Rozgonyi nicht allein. So bewertet die in Washington ansässige Nichtregierungsorganisation "Freedom House" die Presse in Ungarn nur noch als "teilweise frei". Auch die international agierende Nichtregierungsorganisation "Reporter ohne Grenzen" attestiert dem Land "erkennbare Probleme". Sie listet Ungarn in ihrer Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 73. Zum Vergleich: Seit dem Amtsantritt von Premierminister Victor Orbán im Jahr 2010 ist das Land von Rang 23 auf 73 abgerutscht.
Auch das "Centre for Media Pluralism and Media Freedom" (CMPF), das jedes Jahr im Auftrag der EU-Kommission den Media Pluralism Monitor herausgibt, stellt Ungarn ein schlechtes Zeugnis aus. Im jüngsten Bericht heißt es, dass der Pluralismus auf dem Medienmarkt zurückgedrängt werde: "Das wird einerseits durch rechtliche und regulatorische Änderungen erreicht, andererseits durch direkte und indirekte Einflussnahme seitens der Regierung auf Medien und Journalisten."
Onlinemedien überleben nur dank Spenden
Doch wie ist es um die unabhängigen Medien in Ungarn bestellt, die in einem zunehmend schwieriger werdenden Umfeld ums Überleben kämpfen? Medien-Expertin Rozgonyi sagt, Ungarn habe weiterhin "fantastisch arbeitende investigative Journalisten und Journalistengruppen" und nennt als Beispiele die Online-Medien "direkt 36", "Átlátszó" oder "444.hu". Viele unabhängige Medien finanzieren sich über Spenden. Ein schwieriger Überlebenskampf, den beispielsweise das ungarische Nachrichtenportal "Zoom" vor wenigen Tagen verlor. Aus Kostengründen musste es kurz vor Weihnachten seine Arbeit einstellen.
Einfluss staatlicher Werbung
Als wichtige Geldquelle für die Medien bleibt häufig somit die Werbung durch Ministerien und andere staatliche Stellen, aber auch staatseigene Unternehmen. Im Bericht des von der EU mitfinanzierten Medienforschungszentrum CMPF heißt es, die ungarische Regierung nutze die Marktmacht staatlicher Werbung "um regierungsfreundliche Medien zu belohnen und regierungsferne Medien auszuhungern".
Fernsehen hat größte Reichweite
Hinzu kommt, dass die unabhängigen Onlinemedien nur einen sehr begrenzten Einfluss auf die öffentliche Meinung haben. Viele Ungarn konsumieren ihre Nachrichten über das Fernsehen. Allen voran, so moniert das CMPF in seinem Bericht, seien die öffentlich-rechtlichen Sender seit ihrer Umstrukturierung im Jahr 2010 in ihrer Berichterstattung deutlich regierungsfreundlich geworden.
Agentur stellt gratis Nachrichten bereit
Die Umstrukturierung, mit der auch die Entlassung von über tausend Journalisten einherging, wurde seinerzeit damit begründet, dass die Sender effizienter werden müssten. Doch mussten vor allem Journalisten gehen, die als regierungskritisch galten, argumentieren Beobachter.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk besitzt seit der Umstrukturierung auch die staatliche Nachrichtenagentur MTI, die alle Medien gratis mit Nachrichten versorgt. Gerade für kleinere Medien sei das ein attraktives Angebot, das aber die Medienvielfalt weiter untergrabe, meint Wissenschaftlerin Rozgonyi: "Wenn Sie in Ungarn auf dem Land unterwegs sind und zur vollen Stunde die Sender wechseln, hören sie fast überall dieselben Nachrichten."
Opposition klagt über Fernsehberichte
In Ungarn forderten vor Weihnachten tausende Demonstranten mit Protesten nicht nur die Abschaffung eines umstrittenen Arbeitsgesetzes, sondern auch einen unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Oppositionspolitiker hatten vor wenigen Tagen im Rundfunkgebäude in Budapest verlangt, die Kernforderungen der Protestbewegung live im Fernsehen verlesen zu dürfen. Über die Demonstrationen war nur wenig berichtet worden. Die Oppositionspolitiker kamen mit ihrer Forderung nicht weit. Sie scheiterten bereits am Wachdienst des Rundfunksenders.
Neues Arbeitsgesetz Damit können ungarische Arbeitgeber von ihren Angestellten bis zu 400 Überstunden pro Jahr verlangen und die Gehaltszahlungen bis zu drei Jahre hinauszögern. Die Verabschiedung des Gesetzes im Dezember hatte in Ungarn die heftigsten Straßenproteste seit Jahren ausgelöst.
Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im: Radio | 22.12.2018 | 02:30 Uhr