Mateusz Morawiecki, Jaroslaw Kacsynski, Viktor Orbán
Hier eine Aufnahme von April 2018 bei einer Einweihung eines Denkmals in Budapest: Polnischer Premier Mateusz Morawiecki, der derzeitige polnische Vize-Regierungschef Jarosław Kaczyński und der ungarische Regierungschef Viktor Orbán Bildrechte: imago/EST&OST

Russland-Ukraine-Krieg Polen und Ungarn: Knatsch unter Freunden

18. Mai 2022, 17:19 Uhr

Die polnisch-ungarischen Beziehungen stecken in einer handfesten Krise. Russlands Überfall auf die Ukraine und der Sanktionskurs gegen die Moskauer Regierung haben die Kluft zwischen beiden Ländern merklich vertieft. Nun versucht die Orbán-Regierung mit diplomatischen Mitteln für Entspannung zu sorgen.

Porträt Kornelia Kiss
Bildrechte: Kornelia Kiss/MDR

"Wenn Viktor Orbán nicht sieht, was in Butscha geschah, dann muss man ihn zum Augenarzt schicken." Dass Jaroslaw Kaczynski den ungarischen Ministerpräsidenten einmal so scharf angehen würde, war vor dem Ausbruch des Ukraine-Krieges undenkbar. Denn der Vize-Ministerpräsident Polens und Vorsitzende der polnischen Regierungspartei PiS gilt als langjähriger Freund und enger Verbündeter von Ungarns Regierungschef Viktor Orbán. Wurden in der Vergangenheit Ungarn oder Polen von der EU-Kommission gerügt, konnten die beiden rechtspopulistischen Regierungen aufeinander zählen. Außerdem war die Stärkung der Zusammenarbeit der Visegrád-Staaten eine der wichtigsten außenpolitischen Ziele aller bisherigen Orbán-Regierungen.

Lauwarmes Engagement reicht Warschau nicht

Doch Russlands Krieg gegen die Ukraine hat die polnisch-ungarischen Beziehungen grundsätzlich verändert. Warschau plädiert für ein energisches Auftreten gegen Kremlchef Wladimir Putin, während die Regierung in Budapest versucht, einen ambivalenten Kurs zu fahren.

Wenngleich Ungarn bis zum derzeitigen Streit um das Ölembargo allen EU-Sanktionen zustimmte und die Militäragression Russlands offiziell verurteilte, ist die Kommunikation über den Krieg gegen die Ukraine in Ungarn bis heute zurückhaltend: Die Budapester Regierung hat von Anfang an betont, dass sich Ungarn in den Russland-Ukraine-Konflikt nicht einmischen wolle. Es liefert keine Waffen in die Ukraine und genehmigt auch keine Waffenlieferungen über die eigene Landesgrenze in die Ukraine. Ein Verhalten, das in Polen für Unverständnis sorgt.

Ungarn setzt auf neue Präsidentin

Trotz der offensichtlichen Meinungsunterschiede scheint die ungarische Regierung nun zu versuchen, die Konflikte auf diplomatischer Ebene klären zu wollen. Mithelfen soll hier die neue ungarische Präsidentin Katalin Novák. Die einstige Familienministerin gilt als Vertraute von Orbán. Sätze wie "Wir sind nicht neutral" oder "Wir verurteilen die Aggression Putins" sagte die Staatschefin in ihrer Antrittsrede am 14. Mai 2022. Mit diesen vergleichsweisen klaren Worten sorgte Novák für Aufmerksamkeit in der ungarischen Öffentlichkeit und fügte weiter hinzu: "Wir sagen für immer Nein zu allen Bestrebungen für eine  Wiederherstellung der Sowjetunion". Und um klare Signale zu setzen, hat sie ihre erste Dienstreise – nur drei Tage nach Amtsantritt – am 17. Mai nach Polen geführt.

Worin liegt die neue Kluft?

Jedoch scheint es ziemlich unwahrscheinlich, dass die beiden Visegrád-Staaten ihre Konflikte kurzfristig beilegen werden, meint der EU-Experte und Analyst des Forschungsinstituts Political Capital, Patrik Szicherle: "Um den polnisch-ungarischen Konflikt zu lösen, wäre es entweder notwendig, dass Russland seinen Krieg in der Ukraine beendet, oder dass Ungarn seine Position entscheidend ändert. Keines von beiden ist derzeit wahrscheinlich."

Für die starke Abkühlung der polnisch-ungarischen Beziehungen gibt es nach Ansicht des Expertens mehrere Gründe: In der derzeitigen weltpolitischen Lage sei es für die polnische Regierungspartei unangenehm, enge Beziehungen zu einer bekanntermaßen kremlfreundlichen Regierung zu haben. Zudem stünde Polen jeder Regierung, die mit Sanktionen gegen Russland geizt, kritisch gegenüber, sagt Szicherle.

Osteuropa

Pressekonferenz nach dem Treffen der Staatsoberhäupter der Länder der Visegrad-Gruppe (V4) in Szekszard, Ungarn.
Ein Bild von Oktober 2017 bei einer Pressekonferenz der Visegrád-Gruppe: Polnischer Präsident Andrzej Duda, tschechischer Präsident Milos Zeman, der damalige slowakische Staatschef Andrej Kiska und der damalige ungarische Präsident Janos Ader. Bildrechte: imago/ZUMA Press

Visegrád nie so einheitlich, wie geglaubt

Meinungsunterschiede zwischen Polen, Ungarn, der Slowakei aber auch Tschechien, die die Visegrád-Gruppe stellen, habe es schon immer gegeben, meint Szicherle: "Die Visegrád-Länder wurden vielfach als ein starker, einheitlicher Block beschrieben, auch wenn das nie wirklich gestimmt hat. In der Migrationsfrage waren sie sich zwar einig, in vielen anderen Bereichen sind ihre Interessen jedoch unterschiedlich gewesen."

Unterschiedliche Ansichten gebe es beispielsweise in Fragen einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik – für die ungarische Regierungspartei Fidesz ist sie durchaus ein strategisch sinnvolles Vorhaben. "Viktor Orbán selbst hat mehrmals von der Bedeutung einer europäischen Armee gesprochen, während die polnische Regierunspartei glaubt, dass damit eine Parallelstruktur zur Nato entstünde", sagt Szicherle.

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Ein Bild von Oktober 2017 bei einer Pressekonferenz der Visegrád-Gruppe: Polnischer Präsident Andrzej Duda, tschechischer Präsident Milos Zeman, der damalige slowakische Staatschef Andrej Kiska und der damalige ungarische Präsident Janos Ader. Bildrechte: imago/ZUMA Press

Weiter gemeinsame Sache in EU-Fragen

Unlängst traten selbst auf EU-Ebene die Zwistigkeiten zwischen Polen und Ungarn offen zutage: Als im Europäischen Parlment über die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn debattiert wurde, kam von den Abgeordneten der polnischen Regierungspartei keinerlei Solidaritätsbekundung – ein absolutes Novum.

Dass es aber zu einem offenen Bruch zwischen Warschau und Budapest kommen könnte, glaubt EU-Experte Patrik Szicherle nicht. So schweiße beide Länder das Artikel 7-Verfahren zusammen – also wenn ein Mitgliedsland die EU-Grundwerte verletzt und ihn die EU dafür bestrafen will. Beide Länder seien hier reziprok aufeinander angewiesen. "Meiner Meinung nach würde Polen weiterhin sein Veto einlegen, sollte es zu einem Suspendierungsverfahren gegen Ungarn kommen", sagt Sicherle. Und das geschehe nicht uneigennützig: "Bei einem Verfahren gegen Polen würde es für die Warschauer Regierung schwierig werden, einen anderen Mitgliedstaat als Ungarn zu finden, der sein Veto gegen einen Ausschluss einlegen würde".

Der Artikel 7 ist im EU-Vertrag die Grundlage für Sanktionen gegen einen EU-Mitgliedsstaat. Ein Verfahren nach Artikel 7 kann eingeleitet werden, wenn ein EU-Land die in Artikel 2 festgeschriebenen Grundwerte der EU (Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte) systematisch verletzt. Wegen seiner umstrittenen Justiz-Reform wurde ein solches Verfahren 2017 gegen Polen eingeleitet. 2018 stimmte das EU-Parlament dafür, auch gegen Ungarn ein Artikel-7-Verfahren zu eröffnen. Die endgültige Feststellung der Verletzung der Grundwerte kann jedoch nur einstimmig von den Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat vorgenommen werden.

Eiszeit für Visegrád-Gruppe

Doch gerade herrscht Krieg gegen die Ukraine und Ungarn, das stark vom russischen Erdöl abhängig ist, will im EU-Rat sein Veto gegen das von der EU-Kommission geplante Öl-Embargo gegen Russland einlegen. Das, so glaubt Experte Patrick Szicherle, wird dazu führen, dass die Visegrád-Gruppe für lange Zeit ihre Zusammenarbeit aussetzen wird.

Karte der Visegrad-Staaten
Die vier Visegrád-Staaten: Tschechien, Slowakei, Polen und Ungarn. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 13. Mai 2022 | 18:30 Uhr

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