Vitali Klitschko hört mit anderen Menschen einem Vortrag zu.
Es sieht düster aus für Vitali Klitschko: Die Präsidentenpartei will nach ihrem haushohen Sieg bei der Parlamentswahl die Macht in der Hauptstadt an sich reißen. Bildrechte: imago images / Ukrinform

Bürgermeister von Kiew Klitschko droht Entmachtung

26. Juli 2019, 12:37 Uhr

Seit 2014 ist Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj möchte aber nach der erfolgreichen Parlamentswahl, bei der seine Partei die absolute Mehrheit bekam, Klitschko entmachten. Für den 48-Jährigen sieht es vorerst düster aus.

Kaum hat seine Partei die vorgezogene Parlamentswahl am 21. Juli gewonnen, greift Präsident Wolodymyr Selenskyj gleich einen der bekanntesten Ukrainer weltweit an. Das Präsidentenbüro hat die Regierung gebeten, den Bürgermeister von Kiew und Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko als Chef der Stadtverwaltung zu entlassen. Doch selbst wenn die neue Regierung der Bitte nicht nachkommen sollte, sind die Tage Klitschkos an der Spitze Kiews gezählt.

Wie genau soll Klitschko abgesetzt werden?

Der Präsident kann dazu eine Besonderheit im ukrainischen Recht nutzen. Eigentlich wird der Kiewer Bürgermeister gewählt. Die eigentliche Macht in der Stadt hat allerdings nicht der Bürgermeister, sondern der Chef der Stadtverwaltung. Dieser wird vom Präsidenten ernannt. Normalerweise wird der gewählte Bürgermeister vom Staatsoberhaupt auch zum Chef der Stadtverwaltung ernannt, formal sind das aber zwei getrennte Funktionen. Selensky kann Klitschko also gewissermaßen jemanden aus seiner Partei vor die Nase setzen. Klitschko als Bürgmeister hätte dann kaum Einfluss auf das Geschehen in der Hauptstadt. Es wäre nicht das erste Mal, dass zwei unterschiedliche Personen die beiden Posten bekleiden.

Warum will Selenskyj Klitschko entmachten?

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, zeigt Siegeszeichen im Hauptquartier seiner Partei.
Nach dem überragenden Sieg seiner Partei "Diener des Volkes" will Präsident Selenskyj, dass Kiew von seinen Leuten regiert wird. Bildrechte: Verfügbar für Kunden mit Rechnungsadresse in Deutschland und Österreich. | Evgeniy Maloletka

Wer Kontrolle über die Hauptstadt hat, hat auch eine Schlüsselrolle in der landesweiten Politik. Selenskyjs Team meint: Die Vertreter der Präsidentenpartei "Diener des Volkes" haben bei der Parlamentswahl vor wenigen Tagen in allen Direktwahlbezirken in Kiew gewonnen, der Präsident habe also den Auftrag der Bevölkerung, seine eigene Politik in der Hauptstadt durchzusetzen. Vitali Klitschko gehört zum "feindlichen" Lager von Ex-Präsident Petro Poroschenko, der die Stichwahl gegen Selenskyj klar verloren hat. Außerdem könnte der umstrittene Oligarch Ihor Kolomojskyj, dem eine enge Verbindung zu Präsident Selenskyj nachgesagt wird, die Finger im Spiel haben. Er soll nämlich große Interessen in der Hauptstadt haben.

Wie reagiert Klitschko darauf?

Seine Pressesprecherin meinte, man sei in Klitschkos Team überhaupt nicht überrascht, weil man mit dieser Entwicklung von Anfang an gerechnet habe. Klitschko selbst gibt sich kampfbereit: "Ich gebe keinesfalls auf. Ich werde alles dafür geben, um für das Recht auf Selbstverwaltung zu kämpfen. Es geht nicht um mich selbst, sondern darum, dass die Kiewer es entscheiden sollen, wer ihre Stadt regiert. Einen anderen Weg gibt es nicht."

Hat Klitschko als Bürgermeister die Erwartungen erfüllt?

Vitali Klitschko wird vor Ort von vielen als PR-Bürgermeister wahrgenommen, weil er gerne schnelle, "kosmetische" Projekte angeht, jedoch so gut wie nichts in Sachen Infrastruktur gemacht hat. So wurde im überfüllten Kiew unter Klitschko keine einzige neue U-Bahn-Station eröffnet. Die grundsätzliche Entwicklung des öffentlichen Nahverkehrs ist eine Katastrophe, außerdem gibt es große Probleme mit Warmwasser, Heizung und Kanalisation. Daher ist Klitschkos Bilanz eher durchwachsen.

Vitali Klitschko und sein Bruder Wladimir stehen auf einer Brücke.
Vitali Klitschko (rechts im Bild) gilt vielen als PR-Bürgermeister, der vor allem medienwirksame Projekte anpackt, an den wahren Problemen Kiews aber nicht arbeitet. Hier ist er mit seinem Bruder Wladimir bei der Eröffnung einer Fußgängerbrücke am Rande des Kiewer Wladimirparks. Bildrechte: imago images / Lundi13

Welche Perspektiven hat Klitschko als Politiker noch?

Laut einer Umfrage der privaten Active Group vom März 2019 war Klitschko mit 17,8 Prozent der aussichtsreichste Kandidat für das Bürgermeisteramt. Allerdings wollten 33,1 Prozent keinesfalls ihre Stimme dem 48-Jährigen geben. Inzwischen, nach dem Wahlsieg der Präsidentenpartei "Diener des Volkes" dürften diese Werte anders aussehen. Seit Monaten kursiert das Gerücht, dass Olexander Tkatschenko, Generaldirektor des Kolomojskyj-Senders 1+1, zum neuen Bürgermeister aufgebaut werden soll. Nach ihm wurde aber bei der letzten Umfrage noch nicht gefragt. Man kann vermuten, dass er als Kandidat von "Diener des Volkes" mit großem Vorsprung gewinnen würde. Das kann sich bis zur Kommunalwahl aber noch ändern, denn die soll erst im Herbst 2020 stattfinden. Auf nationaler Ebene scheint Klitschko aber chancenlos.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 29. September 2017 | 17:45 Uhr

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