Straßenszene - Fußgänger laufen an einem Wahlplakat in Bukarest vorbei, das Klaus Iohannis zeigt
Auf dem Wahlplakat wirbt Amtsinhaber Klaus Iohannis für ein "normales Rumänien" - sein Slogan in diesem Wahlkampf. Bildrechte: MDR/Annett Müller-Heinze

Rumänien Präsidentschaftskandidaten auf Werbetour

10. November 2019, 06:00 Uhr

Bei der rumänischen Präsidentschaftswahl geht Amtsinhaber Klaus Iohannis als Favorit ins Rennen. Dass am heutigen Sonntag der endgültige Wahlsieger bereits entschieden wird, ist so gut wie ausgeschlossen. Ein ungewöhnlicher Wahlkampf ginge damit in die Verlängerung - zwei Wochen lang bis zur Stichwahl.

Im Wohnblock von Vasile Tabarna riecht es nach Schweinefleisch und gedünstetem Weißkohl. Von außen wirkt der Zehngeschosser vor allem trist und grau, wäre da nicht ein riesiges Werbebanner, das sich über fünf Etagen erstreckt. Für die Werbebranche ist die rumänische Hauptstadt Bukarest ein Paradies. Sie darf seit Jahren selbst an Investruinen oder Häuserblocks aus der Ceausescu-Ära plakatieren, wie an dem von Tabarna.

Dass an seinem Wohnblock ein Werbeplakat wuchert, hält der Rentner für "puren Kapitalismus, von dem die Wohnblock-Gemeinschaft aber profitiert". Gut 200 Euro im Monat zahlt die Werbefirma für die riesige Fläche, erzählt Tabarna, der das Geld für die rund 60 Hausbewohner verwaltet und in Reparaturarbeiten steckt, die alle finanzieren müssen: Mal blockiert der Fahrstuhl, mal platzt ein Rohr. Im gut 40 Jahre altem Wohnblock klemmt fast jeden Monat etwas. "Wir sind arm", sagt Tabarna schulterzuckend über die Werbung, "also schauen wir, wie wir ein bisschen Geld verdienen".

Werbung für ein "glückliches Rumänien"

Die Werbung ist direkt vor den Fenstern aufgespannt - von Etage fünf bis zehn. Sie versperrt den Blick nach draußen, sie nimmt das Tageslicht. Wer das Plakat direkt vor seiner Nase hat, bekommt Extra-Geld von der Werbefirma. Wie viel, will niemand hinter den Wohnungstüren verraten. Gewöhnlich wird für Schokolade geworben, auch schon mal für Wettbüros, erzählt Tabarna. Jetzt hat die Politik die großflächigen Werbebanner eingenommen. Am Zehngeschosser wirbt ein Präsidentschaftskandidat für ein "glückliches Rumänien". Was sich Tabarna wohl unter einem glücklichen Rumänien vorstellt? Auf die Frage sagt der Rentner: "Jetzt wirds politisch".

Wahlplakat an Wohn-Hochhaus in Bukarest
Der Präsidentschaftskandidat Dan Barna wirbt an einem Wohnhaus für ein "glückliches Rumänien". Bildrechte: MDR/Annett Müller-Heinze

Rentner will zur Abstimmung gehen

Ein Bukarester Mieteigentümer in einem Wohnblock.
Vasile Tabarna im Flur seines Zehngeschossers. Bildrechte: Annett Müller-Heinze

Der 65-Jährige beklagt weniger, dass er nach 45 Arbeitsjahren mit einer Monatsrente von 380 Euro auskommen muss, sondern "die vielen Seilschaften in der Politik und die Korruption, die sich durch den Alltag frisst". Auch die Präsidentschaftswahl wird daran wenig ändern und weder das Land noch ihn sehr viel glücklicher machen, sagt Tabarna. Am Wahlsonntag will der Rentner für den rumäniendeutschen Amtsinhaber Klaus Iohannis stimmen, weil der "Deutsche auf dem internationalen Parkett wie ein Staatsmann wirkt". Seine Kontrahenten dagegen seien "alle nur Einfaltspinsel", meint Tabarna.

14 Kandidaten sind im Rennen

Rentner Tabarna ist mit seiner Sympathie für den amtierenden Präsidenten nicht allein. Klaus Iohannis gilt als klarer Favorit der 14 Kandidaten, die am Sonntag im ersten Wahlgang antreten. Umfragen sehen den Siebenbürger Sachsen bei durchschnittlich 40 Prozent der Wählerstimmen, seine Kontrahenten wirken dagegen mit zwölf bis gut 20 Prozent nahezu abgeschlagen. Dennoch gilt als ausgeschlossen, dass die Wahl bereits am Sonntag entschieden wird. Der Wahlsieger bräuchte mehr als die Hälfte aller Stimmen der gut 18 Millionen Wahlberechtigten. Wahlforscher trauen das bei dieser Abstimmung keinem einzigen Kandidaten zu.

Wer sind die aussichtsreichsten Bewerber?

Am heutigen Sonntag wird damit wohl erst einmal entschieden, wer in zwei Wochen in die Stichwahl kommen wird. Gute Chancen hat hier der 44-jährige Parlamentsabgeordnete Dan Barna. Seine erst drei Jahre alte Oppositionspartei "Union rettet Rumänien" kann vor allem bei einer städtischen Bevölkerung punkten, die zum Mittelstand gehört aber auch bei Studenten. Zuletzt sorgte Barnas frühere Beratertätigkeit für Schlagzeilen. Er soll rumänischen Medienberichten zufolge Start-Ups mit EU-Fördermitteln auf den Weg gebracht haben, die schnell wieder Pleite gegangen sind. Auch soll er bei den EU-Projekten die eigene Familie und Freunde bevorzugt haben. Chancen auf die Stichwahl hat auch der frühere EU-Parlamentarier Mircea Diaconu. Der 69-Jährige punktet mit seiner Bekanntheit als Schauspieler in Film und Fernsehen - vor allem bei einem älteren Publikum hat er eine große Fangemeinde.

Iohannis sucht sich Dancila als Gegnerin

Amtsinhaber Klaus Iohannis hat sich aber in seinem Wahlkampf auf einen ganz andere Kontrahentin eingeschossen: auf die Ex-Regierungschefin Viorica Dancila, die zugleich die sozialdemokratische PSD anführt. Beide Politiker übertreffen sich in diesen Tagen mit feindseligen Äußerungen. Iohannis erklärte unlängst, die Rumänen könnten sich nur durch die Wahl "von der PSD befreien" könnten, die die Entwicklung des Landes gelähmt habe. Die Ex-Ministerpräsidentin verglich dagegen Iohannis "mit einem Diktator", der seine Regierung und sein Parlament haben wolle. Eine Anspielung auf die Niederlage, die die Ex-Premierministerin kürzlich einstecken musste. Ihr Kabinett wurde im Oktober von der Opposition per Misstrauensvotum gestürzt. Seit Anfang der Woche stellt nun die Partei von Iohannis, die liberal-konservative PNL, eine fragile Minderheitsregierung.

Wahlplakat an Wohn-Hochhaus in Bukarest mit Viorica Dancila
Auch Ex-Regierungschefin Viorica Dancila ist auf großflächigen Werbebannern an Wohnhäusern in Bukarest zu sehen. Bildrechte: MDR/Annett Müller-Heinze

Experte: Als Einzelkämpfer außergewöhnlich geschlagen

Politikwissenschaftler Cristian Pirvulescu, Bukarest
Bukarester Politikexperte Cristian Pirvulescu Bildrechte: MDR/Annett Müller-Heinze

Die Amtszeit von Iohannis war vor allem von einem erbitterten Kampf mit der PSD um den Rechtsstaat geprägt. Die einstige Regierungspartei nutzte Eilerlässe und ihre Mehrheit im Parlament, um Änderungen im Strafrecht durchzusetzen - zugunsten von korrupten Politikern. Stoppen konnte sie dabei lediglich noch der Präsident. Iohannis habe sich "als Einzelkämpfer auf weiter Flur außergewöhnlich gut geschlagen", meint der Bukarester Politikexperte Cristian Pirvulescu. So ließ der Staatschef - wenn möglich - Gesetzesänderungen vom Verfassungsgericht prüfen. Ein Teil stellte sich als verfassungswidrig heraus und ging ans Parlament zurück.

Iohannis' ungewöhnlichster Auftritt aber war Mitte Januar 2017, als er sich überraschend an einer Regierungssitzung beteiligte, um die Öffentlichkeit für zwei umstrittene Eilerlässe zu sensibilisieren, die den Antikorruptionskampf im Land deutlich geschwächt hätten. Es folgten die größten Straßenproteste Rumäniens seit der 1989er-Revolution, so dass die regierende Koalition aus PDS und ALDE ihren Vorstoß zurücknehmen musste. Als der Strippenzieher des Regierungsbündnisses - der umstrittene PSD-Parteichef Liviu Dragnea - im Mai diesen Jahres wegen Amtsmissbrauch ins Gefängnis wanderte, jubelten auf Facebook viele Demonstranten von damals.

Entlassung von Kövesi war Niederlage

Wer jetzt gerade Bilanz von Iohannis’ Amtszeit zieht, schaut ganz genau auf sein jahrelanges Duell mit der jüngst gestürzten Regierung. Politikanalyst Pirvulescu lobt den Staatschef für seinen beharrlichen Widerstand: "Ohne Klaus Iohannis wäre der Rechtsstaat in Rumänien jetzt zerstört." Der Bukarester Rechtsexperte Ioan Stanomir meint dagegen, der Präsident hätte mehr tun können. In der Tat trieb die PSD zwischenzeitlich den obersten Mann im Staat stark in die Defensive.

Besonders deutlich war das bei der Absetzung der Chefermittlerin Laura-Codruta Kövesi zu spüren, die der Regierung schon lange ein Dorn im Auge war, weil ihre DNA-Behörde unerlässlich gegen korrupte Parteimitglieder ermittelte. Viele Anhänger eines rigorosen Anti-Korruptionskampfes hatten gehofft, dass der Präsident kraft seines Amtes die Entlassung verhindern könnte. Das Verfassungsgericht sah das anders, Iohannis musste sich beugen. Bei Widerstand drohte ihm die Regierungspartei PSD mit einem Amtsenthebungsverfahren. Dass Iohannis hier nachgegeben und eine Niederlage hingenommen hat, empfindet Rechtsexperte Stanomir als Verrat an der Sache. "Wir brauchen einen Präsidenten, der keine Angst hat, in die Schlacht zu ziehen, wenn es um die Verteidigung des Anti-Korruptionskampfes geht", meint Stanomir.

Hohe Erwartungen an Präsidentenamt

Von ihrem Präsidenten erwarten die Rumänen Vieles, auch weil sie ihn direkt wählen können. Für die einen soll er die moralische Instanz im durchtriebenen Bukarester Politikbetrieb sein, für die anderen der Staatsmann, der die außenpolitischen Interessen des Landes weltweit vertritt. Manche wünschen sich vom Präsidenten auch, dass der den Bau der Autobahnen im Land vorantreibt oder die Renten erhöht - Dinge, über die nur die Regierung zusammen mit dem Parlament entscheiden kann.

PSD-Chefin Viorica Dancila verweist in diesen Tagen gern auf ihre bisherige Regierungsarbeit. Ihre Partei hat den Mindestlohn verdoppelt, die Beamtengehälter und Renten stark erhöht. Das könnte der 55-Jährigen bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag Stimmen bringen. Doch steht Dancila auch für peinlich verbale Patzer in der Kritik, regierungskritische Medien werfen ihr Unerfahrenheit und Bildungsdefizite vor. Im Sommer 2018 vergaß sie bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem estnischen Regierungschef Jüri Rates dessen Namen. Als sie auf Regierungsreise in Montenegros Hauptstadt Podgorica war, verwechselte sie es mit Pristina - der Hauptstadt des Kosovo. Bis 2017 vertrat sie ihr Land als EU-Parlamentarierin in Straßburg. In einem der Interviews, die sie in der Funktion gab, war sie sich sicher, dass der Iran und Pakistan EU-Mitgliedsstaaten seien.

Rededuell zwischen Kontrahenten gefordert

Die Medienschelte ist Dancila bei solchen Patzern sicher. Doch auch Iohannis steht in diesen Tagen stark in der Kritik. Nicht weil seine Werbeplakate ganze Häuser verdecken. Vielmehr wetterte das Nachrichtenportal G4 Media, dass Iohannis durchs Land toure, um seine Wahlsprüche aufzusagen, die Konfrontation mit Journalisten aber scheue - ob im Fernsehen, im Radio oder der Presse. Schon 2014 hatte der Rumäniendeutsche, der gern schweigt statt spricht, lange mit einem Rededuell gehadert, ihm letztlich noch zugestimmt. Sollte die Wahl am Sonntag keine Entscheidung bringen, geht auch der Wahlkampf noch einmal in die Verlängerung. Fest steht: Wer in die Stichwahl zieht, wird um ein TV-Duell mit dem Kontrahenten nicht umhinkommen.

Straßenszene - Fußgänger laufen an einem Wahlplakat in Bukarest vorbei, das Klaus Iohannis zeigt
Ein Werbeplakat, das den amtierenden Präsidenten Iohannis zeigt. Das Wohnhaus, an dem es hängt, wird gerade saniert. Bildrechte: MDR/Annett Müller-Heinze

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 04. November 2019 | 18:45 Uhr

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