rote Tabletten, blaue Augen
Medikamente werden knapp in Russland. Eine Folge von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine . Bildrechte: imago/ITAR-TASS

Krieg gegen die Ukraine Russland: Hamsterkäufe bei Medikamenten

25. März 2022, 15:00 Uhr

Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine schafft dort Leid und Opfer vor allem in der Zivilbevölkerung. Doch der Krieg trifft auch die Menschen in Russland, wenn auch auf ganz andere Weise. Und wie so oft leiden die Schwächsten: chronisch und schwer Kranke etwa. Vielen von ihnen gehen die lebensnotwenigen Medikamente aus. Denn Russlands Gesundheitwesen ist auf Westimporte angewiesen.

Warteschlangen, Angst vor leeren Medikamentenschränken - in Moskauer Apotheken herrscht Aufregung. Viele Russinnen und Russen bevorraten sich jetzt mit Medikamenten. Die Sorge geht um, dass es keinen Nachschub mehr geben wird. Formal berühren die Sanktionen des Westens gegen Putins Angriff auf die Ukraine die russische Pharmabranche nicht. Dennoch bereitet man sich auf schwere Zeiten vor.

Svetlana leidet an einer Schilddrüsenerkrankung. Ein Medikament eines deutschen Herstellers hat ihr bisher geholfen; jetzt kann sie es nirgends mehr bekommen, klagt sie. Sie müsste es jeden Tag nehmen. Doch ein entsprechendes russisches Präparat gebe es nicht. Auch andere ähnliche Medikamente sind aus dem Verkauf verschwunden. "Früher haben die Kundinnen und Kunden eine Packung pro Monat gekauft, und jetzt versenden wir per Internet-Bestellung große Mengen von 20 Kartons", erzählt eine Apothekerin in der russischen Hauptstadt. Die Leute kaufen alles auf, daher das Defizit.

Tabletten von Berlin-Chemie (in Kyrillisch)
Ein Schilddrüsenpräparat von Berlin-Chemie - hier mit kyrillischen Buchstaben. Es wird in Russland zur Mangelware. Bildrechte: IMAGO/ZUMA Wire

Marktanalyst warnt vor Hysterie

Diese Beobachtung bestätigt das Unternehmen DSM Group, das sich auf Analysen im Medikamentenhandel spezialisiert hat. Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, haben die Russinnen und Russen nach den Daten, die DSM für eine russische Tageszeitung erhoben hat, vom 28. Februar bis zum 13. März über 270 Millionen Arzneimittel für 98,6 Milliarden Rubel, umgerechnet etwa 970 Millionen Euro gekauft, fast genauso viel wie im gesamten Januar. Vor allem die Nachfrage nach Antidepressiva, Schlaftabletten, Insulin, Krebs- und Herzmedikamenten, Hormonen und Verhütungsmitteln sei stark gestiegen. DSM-Generaldirektor Sergej Schuljak sprach von einer Hysterie. "Die erste Angst war, dass alles teurer werden könnte, und die zweite Angst war, dass Medikamente, die sie brauchen, in einiger Zeit nicht mehr verfügbar sein würden."

Elena aus dem Moskauer Umland sucht nach Medikamenten für ihre dreijährige Tochter. Letztes Jahr wurde bei dem Mädchen Epilepsie diagnostiziert. Seither bekam sie ein Mittel aus der EU. Jetzt ist es fast unmöglich, dieses Medikament in russischen Apotheken zu finden. Auch Insulinpräparate, Herzmittel oder Medikamente zur Behandlung von Asthma etwa würden fehlen, hört man in Moskaus Apotheken. Und die Preise für Medikamente steigen jeden Tag, derzeit um 20-50 Prozent. Die Pharmaindustrie rechnet mit weiteren Preiserhöhungen.

Schwierige Versorgungslage in Palliativpflege

Auch medizinisches Spezialgerät für Pallitavpatienten etwa kommt in Russland oft aus dem Ausland. "Wir im Hospiz bereiten uns jetzt auf die Krisenplanung vor, wir kaufen eine Reserve an Ausrüstung, Verbrauchsmaterialien, Spezialnahrung, weil wir nicht wissen, was mit den Lieferfristen, mit den Preisen, mit der Verfügbarkeit von Waren passieren wird", sagt Swetlana Nigmatullina vom Hospiz in Ufa am Ural. "Unsere Schützlinge können nicht bis morgen warten, weil der Schmerz nicht warten kann", sagt sie. Vor Versorgungsproblemen steht auch die Stiftung "Haus mit Leuchtturm" in Moskau. Sie hilft jährlich mehr als tausend Familien aus verschiedenen Regionen Russlands mit schwer kranken Kinder und jungen Erwachsenen und unterstützt zwei Hospize in der Hauptstadt und dem Umland. Es sei fast unmöglich geworden, Medikamente zur Behandlung von Epilepsie zu beschaffen, auch die meisten ausländischen Antidepressiva seien für Großbestellungen nicht mehr verfügbar. Patientinnen und Patienten, für die Ärztinnen und Ärzte seit Jahren einen Behandlungsplan aufgestellt hätten, müssten jetzt auf Medikamente mit größeren Nebenwirkungen umstellen. Ähnlich sei die Lage bei Schmerzmitteln.

Mann mit Korb in Regalen
Ein Bild aus besseren Zeiten. Das Lager einer Online-Apotheke im zentralrussischen Iwanowo. Bildrechte: imago images/ITAR-TASS

Probleme gebe es außerdem bei Ersatzteilen für Pflege- und Medizingeräte. In den vergangenen Jahren hätten die Patientinnen und Patienten solche Geräte aus den USA bekommen. Die Stiftung "Haus mit Leuchtturm" versucht nun, mindestens einen Jahresvorrat zu beschaffen. Die Hälfte ihrer Schützlinge benötigt außerdem medizinische Nahrung; auch die wird im Ausland produziert. Das Hospiz versucht, für die Patienten einen Vorrat an Heilmitteln für ein halbes Jahr im Voraus anzulegen. Wie es dann weitergeht - ungewiss. Marktanalyst und DSM-Generaldirektor Sergej Schuljak rechnet zumindest für Arzneimittel damit, dass sich die Situation mit der Zeit stabilisieren wird. Denn die russischen Hersteller seien in der Lage, Generika zu produzieren.

Ein Angebot von

Dieses Thema im Programm: MDR Aktuell TV | 24. März 2022 | 17:45 Uhr

Mehr aus Osteuropa

Hochwasserschäden im polnischen Ort Glucholazy 1 min
Bildrechte: mdr
1 min 26.09.2024 | 10:29 Uhr

In Polen geht das Hochwasser inzwischen langsam zurück. An vielen Orten laufen die Aufräumarbeiten. In der Stadt Glucholazy sind die Schäden immens. Der Bürgermeister schätzt sie auf rund 60 Millionen Euro.

Do 26.09.2024 08:20Uhr 00:27 min

https://www.mdr.de/nachrichten/welt/osteuropa/video-hochwasser-polen-aufraeumen100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Mehr aus der Welt

"Fat-Bear"-Wettbewerb in Alaska, Hundertausende wählen den dicksten Bären des Katmai National Park and Preserve 1 min
QD_FatBear Bildrechte: AP
Schlimmste Dürre seit Beginn der Aufzeichnungen im Amazonas 1 min
Schlimmste Dürre seit Beginn der Aufzeichnungen im Amazonas Bildrechte: Reuters

Nachrichten

Das israelische Luftabwehrsystem feuert, um am Dienstag, dem 1. Oktober 2024, über Hadera, Israel, aus dem Iran abgefeuerte Raketen abzufangen. 1 min
Bildrechte: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ariel Schalit
1 min 02.10.2024 | 12:28 Uhr

Der Iran hat einen Raketenangriff auf Israel gestartet. Das haben das iranische Staatsfernsehen und Israels Militär bestätigt. In Tel Aviv waren Explosionen zu hören. Israel kündigte weitere Angriffe im Nahen Osten an.

Di 01.10.2024 18:22Uhr 00:36 min

https://www.mdr.de/nachrichten/welt/politik/video-iran-angriff-raketen-israel-telaviv-nahost100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video
Duell der Vizepräsidentschaftskandidaten in den USA, sie geben sich im Studio nach der Show die Hand. 1 min
Duell der Vizepräsidentschaftskandidaten in den USA Bildrechte: Reuters
1 min 02.10.2024 | 09:50 Uhr

Im US-Wahlkampf haben die Vizepräsidentschaftskandidaten Tim Walz und J.D. Vance live im TV debattiert. Das Duell wurde als harter, aber sachlicher Schlagabtausch gewertet. Keiner der beiden ging als Sieger hervor.

Mi 02.10.2024 07:16Uhr 00:56 min

https://www.mdr.de/nachrichten/welt/politik/video-walz-vance-vize-kandidaten-wahl100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video
 Wikileaks-Gründer Julian Assange sitzt vor einem Mikrofon 1 min
Wikileaks-Gründer Julian Assange vor dem Europarat Bildrechte: Reuters
1 min 01.10.2024 | 15:12 Uhr

Der im Juni freigelassene Wikileaks-Gründer Julian Assange hat sich erstmals öffentlich geäußert. Im Europarat kritisierte er vor dem Menschenrechtsausschuss die Justiz und den mangelnden Schutz für Journalisten.

Di 01.10.2024 11:48Uhr 01:01 min

https://www.mdr.de/nachrichten/welt/politik/video-wikileaks-julian-assange-europarat-journalist-spionage-usa-100.html

Rechte: AP, Reuters

Video
Rauch steigt über einem südlibanesischen Dorf auf 4 min
Bildrechte: picture alliance/dpa/Marwan Naamani