Der ukrainische Praesident Wolodymyr Selenskyj auf einem Bildschirm im Bundestag
Der ukrainische Präsident Selenskyj spricht im Bundestag: Deutschland solle in Europa Führungsstärke gegen Putins Krieg zeigen. Bildrechte: IMAGO/epd

Russischer Angriffskrieg auf die Ukraine Ukraine (ver-)zweifelt an Deutschland

23. März 2022, 05:00 Uhr

In der Ukraine gilt Deutschland als halbherziger Partner bei der Abwehr des Angriffskrieges der russischen Armee. Dabei war man in Kiew zunächst begeistert vom Kurswechsel in Berlin, vor allem vom "Ja" zu Waffenlieferungen. Doch diese Begeisterung ist inzwischen Zweifeln gewichen, auch in der Bevölkerung.

Mann vor Flagge
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Deutschland ein Freund? Eher nicht.

Polen steht derzeit in der Gunst der Ukrainerinnen und Ukrainer ganz oben. 79 Prozent halten den westlichen Nachbarn einer aktuellen Umfrage des ukrainischen Soziologieinstituts "Rating Group" für ein eindeutig freundliches Land. Ganz anders Deutschland. Das kommt im Ranking nur auf 16 Prozent, weit hinter Großbritannien oder den USA, die von 53 und 52 Prozent als zweifellos freundlich wahrgenommen werden.

Das ist deutlich, vor allem, wenn man bedenkt, dass sich Deutschland jahrelang als Hauptvermittler im Donbass-Krieg und als wichtigster Verbündeter der Ukraine positionierte. Entsprechend hoch war auch das Ansehen der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in Umfragen in der Ukraine immer wieder zu den beliebtesten ausländischen Politikern gezählt wurde. Auch wenn das von ihr mit ausgehandelte "Minsker Abkommen" von 2015 das Blutvergießen in der Ostukraine nicht beenden konnte, so schätzten die Ukrainerinnen und Ukrainer den Einsatz Merkels.

Doch mit den Jahren änderte sich das, und als Merkel im August 2021 zum letzten Mal als Kanzlerin die Ukraine besuchte, war Ärger zu spüren. Das unveränderte Festhalten Deutschlands an der umstrittenen Gas-Pipeline "Nord Stream 2", aber auch, dass Berlin grundsätzlich weiter auf Russland als Haupt-Energielieferant bei Öl und Gas setzte, ließ die Stimmung gegen Deutschland kippen.

Gerhard Schröder und Wladimir Putin
Männerfreudschaft und gute Geschäfte - das prägt das Bild in der Ukraine vom deutsch-russischen Verhältnis. Bildrechte: imago images/ITAR-TASS

Überraschung Olaf Scholz

Umso überraschender war für viele in der Ukraine die Kehrtwende Deutschlands, als Olaf Scholz als neuer Bundeskanzler noch vor Beginn der russischen Invasion entschied, "Nord Stream 2" auf Eis zu legen. Die SPD galt in Kiew lange vor allem als Partei des russischen Lobbyisten Gerhard Schröder. Als die Bundesregierung dann auch noch ankündigte, direkt Waffen an die Ukraine liefern zu wollen, waren Überraschung und Begeisterung groß. Doch Letztere währte nur kurz.

Stimmung kippt wieder

Inzwischen gilt Deutschland in der Ukraine wieder als das Land, das auf der Bremse steht, das als letztes Land noch überzeugt werden muss, den Maßnahmen der EU gegen Russland zu folgen. Für reichlich Spott in den sozialen Medien sorgte die groß angekündigte Lieferung von Strela-Luftabwehrraketen an die Ukraine: Denn von den 2700 zur Ausfuhr genehmigten Raketen aus NVA-Beständen war Medienberichten zufolge der Großteil schlicht nicht mehr brauchbar. Noch mehr Spott erntete Deutschland allerdings wegen seiner früheren Entscheidung, angesichts der Gefahr einer russischen Invasion lediglich 5000 Helme an die Ukraine zu liefern.

Auch dass der Bundestag nach der per Video-Schalte übertragenen Rede des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zur Tagesordnung überging, ist in der Ukraine nicht unbemerkt geblieben. Viele Menschen in der Ukraine fragen sich inzwischen, ob es den meisten deutschen Politikern überhaupt bewusst ist, wie ernst die Lage in der Ukraine ist, oder ob sie in ihrer eigenen Komfort-Welt leben. Der Hauptkritikpunkt ist aber, dass Deutschland es immer noch nicht schafft, auf Energie aus Russland zu verzichten. "Berlin sponsert das Töten der Ukrainer durch die russische Armee", ist eine beliebte Position unter ukrainischen Internetnutzern.

Ukrainische Kritik auch an deutschen Debatten

Mit Unverständnis reagieren die Ukrainer auch auf einige Debatten in Deutschland außerhalb der Regierungspolitik. Etwa auf die Fixierung vieler Medien auf das Asow-Regiment. Sicher: Viele Asow-Männer haben eine Neonazi-Vergangenheit und auch Kontakte zu Rechtsextremisten aus Deutschland. Und selbstverständlich kann man das kritisieren. Aber erstens ist das Regiment seit seiner Eingliederung in die ukrainische Nationalgarde weniger ideologisch als 2014, und zweitens ist es überhaupt nur maximal 2500 Mann stark – und steht wohl kaum stellvertretend für die ukrainische Armee. Dieser permanente Verweis auf ein sicherlich nicht unproblematisches Regiment, das derzeit das hart umkämpfte Mariupol verteidigt, wird oft als indirekte Hilfe für die Kreml-Propaganda von der angeblich faschistischen Führung in Kiew und dem Krieg als angebliche Entnazifizierungs-Operation wahrgenommen.

Dass die Linkspartei dem Aggressor Russland und seinen vermeintlichen „Sicherheitsinteressen“ oft sehr verständnisvoll gegenübersteht, gleichzeitig aber der angegriffenen Ukraine gegenüber nicht an Kritik spart, empört die Menschen ebenfalls. So hatte die Linksfraktion im Bundestag erst am Montag das zwischenzeitliche Verbot von prorussischen und russlandfreundlichen Parteien in der Ukraine scharf kritisiert, ohne den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine in seiner Pressemitteilung dazu auch nur zu erwähnen.

Menschen demonstrieren gegen Putins Krieg
Demonstrieren für den Frieden, wie hier in Berlin, das kommt in der Ukraine gut an. Doch sonst verzweifelt man oft an der Haltung Deutschlands zu Putins Krieg. Bildrechte: imago images/A. Friedrichs

Die großen Solidaritäts-Demonstrationen in Deutschland und die große Hilfe für die ukrainischen Flüchtlinge kommen in der Ukraine dagegen gut an. Doch als großer Verbündeter wird Berlin in der nächsten Zeit wohl kaum mehr wahrgenommen. Zu groß ist die Sorge, die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands könnten für die deutsche Politik im Zweifel immer noch wichtiger sein als der Frieden in der Ukraine.

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Dieses Thema im Programm: MDR Aktuell TV | 22. März 2022 | 17:45 Uhr

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