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EnergiekriseGasturbine aus Kanada soll Lieferungen über Nord Stream 1 sichern

11. Juli 2022, 04:56 Uhr

Der Gasbedarf ist in Deutschland im Winter achtmal höher als im Sommer. Die Gasspeicher sollen daher bis November zu 90 Prozent gefüllt sein. Durch gedrosselte Liefermengen über die Pipeline Nord Stream 1 und Wartungsarbeiten ab Montag droht das Ziel in unerreichbare Ferne zu rücken. Nun soll eine reparierte Gasturbine trotz der Russland-Sanktionen aus Kanada geliefert werden und die Energieversorgung in Deutschland absichern.

Eine in Kanada reparierte Gasturbine für die Pipeline Nord Stream 1 kann nach Deutschland geliefert werden. Der kanadische Minister für Bodenschätze, Jonathan Wilkinson, erklärte, sein Land werde dazu eine "zeitlich begrenzte und widerrufbare Erlaubnis" an Siemens Canada geben.

Ohne die nötige Gasversorgung würde die deutsche Wirtschaft sehr leiden und die Deutschen wären möglicherweise nicht in der Lage, im Winter ihre Wohnungen zu heizen. Man wolle dafür sorgen, dass Europa "Zugang zu verlässlicher und erschwinglicher Energie" habe, während es sich langsam von russischem Öl und Gas löse.

Russland will Liefermengen wieder hochfahren, scharfe Kritik in Kanada

Die Gasturbine ist zentral für den Streit zwischen Deutschland und Russland um gedrosselte Gasliefermengen. Der russische Staatskonzern Gazprom liefert derzeit nach Angaben der Bundesnetzagentur lediglich etwa 40 Prozent der Maximalleistung durch Nord Stream 1. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte am Freitag der Agentur Interfax zufolge, wenn die Turbine nach der Reparatur komme, erlaube das eine Zunahme der Umfänge.

Wenn die Turbine nach der Reparatur kommt, dann erlaubt das eine Zunahme der Umfänge. Die Frage ist nur, warum das nicht gleich gemacht wurde.

Dmitri Peskow | Kremlsprecher

Kremlsprecher Dmitri Peskov (Archivbild) Bildrechte: IMAGO/ITAR-TASS

Die Bundesregierung zweifelte die Begründung aus Moskau für die gedrosselten Gaslieferungen an. Wirtschaftsminister Robert Habeck sagte, Russland führe einen Wirtschaftskrieg gegen Deutschland. Zugleich drängte die Regierung darauf, die Turbine wieder einzusetzen, damit sich Russland nicht mehr auf ein technisches Problem berufen könne.

Kanada hatte eine Auslieferung der Turbine bislang mit Verweis auf die Sanktionen gegen Russland begründet. Nun soll die Turbine zunächst an Deutschland gehen statt direkt nach Russland. In Kanada stößt die Auslieferung dennoch weiter auf Kritik. Alexandra Chyczij, Präsidentin des Ukrainisch-Kanadischen Kongresses, sprach von einer "Kapitulation" vor russischen Ultimaten. Kanada setze einen "gefährlichen Präzedenzfall", der das Sanktionsregime gegen Russland schwächen werde, sagte sie der kanadischen Tageszeitung "Globe and Mail".

Sorge um bleibenden Lieferstopp

Die Bundesregierung begrüßte dagegen die Entscheidung aus Kanada. Das Bundeswirtschaftsministerium würdigte einen "guten und konstruktiven Austausch mit der kanadischen Regierung". Kanadas Minister Wilkinson begründete die Ausnahme von den Sanktionen damit, dass der russische Präsident Wladimir Putin versuche, die Alliierten gegen Russlands Angriffskrieg in der Ukraine mit seiner Energiepolitik zu spalten. "Das können wir nicht zulassen", erklärte Wilkinson.

Dennoch bleiben in Deutschland Sorgen vor einem möglichen kompletten Stopp russischer Gaslieferungen. Am Montag beginnen planmäßige Wartungsarbeiten an Nord Stream 1. Bis voraussichtlich 21. Juli wird der Betrieb der Pipeline daher ganz eingestellt. Die jährlichen Wartungen dauern im Schnitt zehn bis 14 Tage und liegen meist im Sommer, wenn die Leitungen weniger ausgelastet sind.

Energieagentur: Europa muss sich auf alles vorbereiten

Habeck warnte bereits, es sei unklar, wie es danach weitergehe. Gasmarkt-Experten zufolge wäre es möglich, dass Nord Stream 1 länger in Revision bliebe. "Eine verlängerte Wartung von Nord Stream 1 würde den Markt weiter verknappen und es erschweren, die Gasspeicher bis zum Winter zu füllen", erklärte Hanns Koenig, Analyst bei Aurora Energy. "Dies ist natürlich im strategischen Interesse Russlands."

Ähnlich äußerte sich der Chef der Internationalen Energieagentur (IEA), Fatih Birol. Es sei nicht auszuschließen, dass die Regierung in Moskau Gründe für weitere Gaslieferreduzierungen vorbringe – selbst ein kompletter Stopp sei nicht ausgeschlossen. Europa solle sich auf alle Möglichkeiten vorbereiten.

Der russische Regierungssprecher Peskow wies solche Vermutungen zurück. Trotz der Sorgen betonen auch europäische Händler, dass Europa Russlands größter Gas-Kunde ist. Diese Einnahmen könne das Land nicht so schnell durch andere Käufer ersetzen.

Gasspeicher derzeit zu über 60 Prozent gefüllt

In Deutschland sind die Gasspeicher nach jüngsten Angaben der Bundesnetzagentur von Freitag zu 63,2 Prozent gefüllt. Um gut über den Winter zu kommen, sollen bis November 90 Prozent erreicht werden. Das ist der Agentur zufolge aber kaum noch realistisch, wenn weiterhin nur eingeschränkte Lieferungen aus Russland kommen.

MDR, dpa, Reuters, AFP (rnm)

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 10. Juli 2022 | 11:00 Uhr

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