Proteste im Iran Droht Tausenden Menschen im Iran die Todesstrafe?

Nikta Vahid-Moghtada
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Wegen des gewaltsamen Vorgehens der iranischen Behörden gegen Demonstranten haben die EU-Staaten in dieser Woche Sanktionen gegen 31 weitere Verantwortliche und Organisationen verhängt. Dazu gehören Einreisesperren sowie das Einfrieren von Vermögen der iranischen Verantwortlichen. Betroffen sind unter anderem Kommandeure der Revolutionsgarden und hochrangige Polizeimitglieder. Der Grund: Der brutale Umgang mit den Demonstranten im Iran. Tausenden Menschen könnte dort nun die Todesstrafe drohen.

Auf dem Capitol Hill und der National Mall stehen Porträts von Iranerinnen und Iranern, die nach Angaben der Organisation der iranisch-amerikanischen Gemeinschaften (OIAC) bei den vergangenen Protesten getötet wurden.
Eine Fotoaktion auf dem Capitol Hill in Washington. Der Organisation der iranisch-amerikanischen Gemeinschaften (OIAC) zufolge zeigen die Porträts Iranerinnen und Iraner, die bei den vergangenen Protesten getötet wurden. Bildrechte: dpa

Die Proteste im Iran gehen in die nunmehr neunte Woche. Während im Iran weiter Menschen gegen die jahrelange Unterdrückung durch das Regime auf die Straße gehen, reagiert dieses weiter mit aller Härte. Protestierende, egal welchen Alters, werden verprügelt und beschossen, in Gefängnisse abtransportiert.

Der Gang verletzter Demonstrierender ins Krankenhaus endet nicht selten im Knast – Milizen und Revolutionsgarden fangen die Verletzten in den Notaufnahmen ab. Die Menschen trauen sich nicht mehr, medizinische Hilfe zu suchen. Stattdessen versuchen sie sich selbst zu helfen. In den Sozialen Medien kursieren Videos die zeigen, wie Schusswunden auch ohne ärztliche Hilfe versorgt werden können.

Verblutet, gefoltert in Haft

Ein Beispiel von vielen: Vor etwas mehr als 40 Tagen ist der 27-jährige Khodanoor Leijei, von Repressionskräften angeschossen, im Krankenhaus verblutet. Die Regimekräfte sollen den Ärzten verboten haben, den Verletzten zu behandeln.

Gerade machen Menschenrechtlerinnen und Aktivisten auf die Situation des politischen Gefangenen Hossein Ronaghi aufmerksam. Der Blogger, der sich zuvor regimekritisch geäußert hatte, befindet sich seit Wochen im Hungerstreik, zuvor soll er im Gefängnis gefoltert worden sein.

Viele weitere Aktivistinnen, Journalisten, Ärztinnen, Intellektuelle und häufig auch deren Anwälte sitzen in den Gefängnissen des Landes, allen voran im berüchtigten Evin-Gefängnis, wo vor allem politische Gefangene inhaftiert sind.

Aktivisten und Menschenrechtlerinnen in den USA, Kanada und Europa setzen sich seit Wochen für den Schutz der Demonstrierenden im Iran ein. Schutz bedeutet vor allem auch, dass der Westen seine Augen auf die Gräueltaten des Regimes richtet und darauf reagiert.

Parlament fordert Anklage "Krieg gegen Gott"

Denn: Erste Anklagen gegen Protestierende wurden erhoben und das erste Todesurteil ist gefallen, viele weitere werden folgen. Mehr als 2.000 Prozesse sollen staatlichen Informationen zufolge bereits eröffnet worden sein. Ausschnitte der ersten Prozesse wurden zur Abschreckung im Fernsehen gezeigt. "Eine unabhängige Verteidigung haben die Angeklagten dabei nicht. Menschenrechtsorganisationen sprechen von Schauprozessen mit vorskizziertem Ausgang", schreibt die Iran-Korrespondentin der ARD, Katharina Willinger, in einem Bericht.

Eine unabhängige Verteidigung haben die Angeklagten nicht.

Katharina Willinger Iran-Korrespondentin der ARD

Ein Vorwurf gegen die Demonstrierenden: "Krieg gegen Gott". Eine solche Verurteilung ist im Iran eine der schwersten, die das Strafgesetz vorsieht. Wer als "Mohareb" (etwa: Krieger gegen Gott) verurteilt wird, muss mit Verbannung, Amputation einer Hand und eines Fußes oder gar mit Hinrichtung rechnen. Gerade die Todesstrafe soll, geht es nach einem Großteil des iranischen Parlaments, künftig leichter angewendet werden können: So hatten erst kürzlich 227 von 290 Abgeordneten im Parlament dafür gestimmt, die Protestierenden als "Mohareb" zu verurteilen. Droht den mindestens 15.000 Inhaftierten nun der Tod?

Movassat: Resolution ist Aufforderung an Justiz

Die Entscheidung des Parlaments hat zwar keine bindende Wirkung für die Justiz des Landes, aber beunruhigt viele. Auch der iranischstämmige Linken-Politiker und ehemalige Bundestagsabgeordnete Niema Movassat zeigt sich besorgt. Bei der Abstimmung im Parlament handle es sich zwar um keine Gesetzesverschärfung, sondern "um eine Art Resolution, die die Justiz auffordert, Demonstranten als 'Mohareb' zu verurteilen", sagt Movassat dem MDR. Da die iranische Justiz noch deutlich konservativer sei als das Parlament, werde es dieser Aufforderung als "Wunsch des Volkes" aber gerne nachkommen, ist sich Movassat sicher.

"Daher ist zu befürchten, dass es nicht nur bei einer Resolution bleibt, sondern diese Abstimmung des Parlamentes für tausende Inhaftierte schrecklichste Konsequenzen haben wird. Die ersten Todesurteile wurden ja auch bereits gesprochen", sagt der Linken-Politiker dem MDR.

Mehr als 15.000 Menschen inhaftiert

Auslöser der Proteste im Iran war der Tod der 22 Jahre alten iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini. Die sogenannte Sittenpolizei hatte sie festgenommen, weil sie gegen die Kleidungsvorschriften des Regimes verstoßen haben soll. Amini starb am 16. September in Polizeigewahrsam. Seither wurden nach Angaben von Menschenrechtlern etwa 15.000 Teilnehmer der Demonstrationen festgenommen. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Ihre Zukunft ist nach wie vor ungewiss. Oft wissen Familienmitglieder nicht einmal, ob ihre vermissten Angehörigen noch leben und wenn ja, in welchem Gefängnis sie inhaftiert sind.

MDR, mit Material von dpa, KNA (rnm)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 14. November 2022 | 14:00 Uhr

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