Geheimdienstexperte Warum die Pager-Explosionen im Libanon für eine Bedrohungslage in Ungarn sorgen
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19. September 2024, 14:18 Uhr
Tausende Pager explodierten am Dienstag fast gleichzeitig im Libanon, einen Tag später nochmal hunderte Funkgeräte. Mehr als 3.000 Menschen wurden verletzt, mindestens 32 Menschen starben. Zielpersonen des Angriffs waren Mitglieder der Hisbollah-Miliz. Die macht Israel für den Angriff verantwortlich. Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom erklärt, wie wahrscheinlich das ist und welche Konsequenzen jetzt zu erwarten sind.
Die Hisbollah macht Israel für die Explosionen ihrer Kommunikationsgeräte im Libanon verantwortlich und kündigt Vergeltung an. Was denken Sie, war es der israelische Geheimdienst?
Ja, laut seriösen amerikanischen Quellen ist es gesichert, dass der israelische Nachrichtendienst für diese Attacke verantwortlich war. Die amerikanischen Zeitungen können sich auch darauf berufen, dass Israel offensichtlich die Regierung in Washington vorab über dieses Massen-Attentat unterrichtet hat.
Bei einer pro-iranischen Schiitenmiliz könnte man ja auch Feinde in der Region annehmen, zum Beispiel Saudi-Arabien.
Saudi-Arabien hat bei seinem Nachrichtendienst nicht die technischen Möglichkeiten dazu. Außerdem gibt es ja seit geraumer Zeit Annäherungsprozesse zwischen dem Iran und Saudi-Arabien. Da liegt es überhaupt nicht in saudischem Interesse, sondern die einzig logischen Täter sind die Israelis.
Und das deshalb, weil Netanjahu einen Befreiungsschlag versucht. Der steht ja nachhaltig unter Druck. Einmal wegen der Unverhältnismäßigkeit der Kriegsführung im Gazastreifen, wegen der Verschleppung des Geisel-Abkommens und vor allem wegen der Ablehnung der Zwei-Staaten-Lösung, die ja alle Länder weltweit von ihm einfordern. Und da will er sich als erfolgreicher Kriegsherr gerieren und verschärft die Lage, weil wir mit einer weiteren Eskalation seitens der Hisbollah und Racheakten seitens des Irans rechnen müssen.
Was sagt Ihnen der Verlauf der Geschehnisse über die Logistik? Also eine Lieferung Pager aus Taiwan abzufangen und dann hunderte solcher Geräte mit Sprengstoff zu manipulieren?
Der taiwanesische Hersteller bestreitet nachhaltig, dass er der Lieferant gewesen ist und verweist auf sein Lizenzunternehmen in Ungarn. Das ist natürlich eine nachrichtendienstliche Meisterleistung, in Ungarn so viele Pager an sich zu bringen und sie in relativ kurzer Zeit zu manipulieren. Dazu braucht man ja eine Vielzahl von Technikern, weil das ja in ganz kurzer Zeit geschehen muss.
Es gibt historisch eigentlich nur einen analogen Vorgang aus dem September 2010, als die iranischen Uran-Zentrifugen mit dem Stuxnet-Virus infiziert worden sind. Da wurden die entsprechenden Steuerungsunterlagen vom israelischen Nachrichtendienst zusammen mit der National Security Agency der Amerikaner in einer NATO-Liegenschaft in Luxemburg manipuliert, bevor sie in den Iran verschifft wurden.
Ich gehe mal analog von dem Luxemburger Modell davon aus, dass es auf dem Boden Ungarns geschehen ist. Der Mossad hat ja in allen osteuropäischen Staaten Residenturen, das heißt, er dürfte auch in der israelischen Botschaft in Budapest gut vertreten sein.
Kann man so weit gehen, zu sagen, Ungarn trifft eine Mitschuld?
Ungarn trifft sicherlich eine Mitschuld. Und ich gehe mal davon aus, dass damit für diese Firma, aber auch für Ungarn, eine Bedrohungslage durch Racheakte der Hisbollah besteht. Die Amerikaner haben es ja nach diesem Mordanschlag auf den Pasdaran-Kommandeur geschafft, dass der Iran von massiven Vergeltungs-Anschlägen Abstand genommen hat. Die Amerikaner haben auch ihre Flugzeugträgergruppe aus Nahost wieder zurückgezogen.
Aber jetzt hat sich die Situation so nachhaltig verschärft, dass ich davon ausgehe, dass der Iran eine Menge weitreichender, moderner Raketen an die Hisbollah liefern wird und zum Beispiel die israelische Hafenstadt Haifa nachhaltig bedroht ist. Ausschließen kann man auch nicht, dass auch diplomatische Vertretungen Israels weltweit ins Visier von Rachegedanken der Hisbollah geraten.
Halten Sie es für ausgeschlossen, dass das Statement durch die Explosionen so stark war, dass die Hisbollah Israel nicht weiter angreift?
Das halte ich für ausgeschlossen. Die Hisbollah hat schon Vergeltung angekündigt, und sie wird Vergeltung üben. Das kann auch dazu führen, dass Israel dann wieder wie 2006 mit Bodentruppen in den Libanon einrücken muss. Aber auch 2006 hat sich gezeigt, dass die eigentlich professionellste Armee des Mittleren Ostens große Schwierigkeiten hatte, gegen die Hisbollah anzutreten, weil die mit Kommando-Aktionen unterstützt von nordkoreanischen Geheimdienstlern den israelischen Streitkräften doch das Leben schwer gemacht haben.
Zur Person Erich Schmidt-Eenboom Erich Schmidt-Eenboom ist Autor und Friedensforscher. In den 90er Jahren wurde er selbst vom Bundesnachrichtendienst überwacht. Er hat zahlreicher Bücher über Spionage, Geheimdienste und Sicherheitspolitik geschrieben und ist Vorsitzender des Forschungsinstituts für Friedenspolitik.
MDR (saf)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 19. September 2024 | 08:17 Uhr