Unter der Lupe – die politische Kolumne Die CDU zwischen Nostalgie und Aufbruch
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Mit der Wahl von Friedrich Merz zum Parteivorsitzenden beginnt eine neue Ära für die CDU. Die Basis hofft zugleich auf ein Ende der Krise der Partei – nach dem Scheitern von Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet in diesem Amt und der Niederlage und dem Machtverlust bei der Bundestagswahl.

- Mit knapp 94,6 Prozent wählt der CDU-Parteitag Friedrich Merz zum Parteivorsitzenden.
- Die Wahl ist der endgültige Abschied von der Ära Merkel.
- Merz will nun konservative Positionen stärken, ohne die Wähler, die unter Merkel gewonnen wurden, wieder zu verlieren.
Mit 66 Jahren da fängt das Leben an, sang Udo Jürgens. Für Friedrich Merz heißt das, endlich CDU-Vorsitzender zu sein. Im dritten Anlauf. Durch Corona wirkt es trotzdem wie ein Wahlsieg zweiter Klasse. Keine stehenden Ovationen. Keine Gratulationskur. Nur ein Winken des neuen Primus der Union hinein ins dunkle Kameraloch zu den Delegierten im virtuellen Konferenzsaal. Allerdings mit Tränen in den Augen. Knapp 95 Prozent sind nicht nur ein Vertrauensbeweis, sondern auch eine Bürde.
Abschied der CDU von Merkel und umgekehrt
Mit der Wahl ihres Intimfeindes verabschiedet sich die Partei auch endgültig von der Ära Merkel. Die Ex-Kanzlerin revanchiert sich mit Verzicht auf den Ehrenvorsitz und lehnte wohl auch ein Versöhnungsessen mit Merz ab. Das nennt man konsequent.
Doch so leicht wird man die Schatten der Merkel-Jahre nicht los. Denn die letzten 16 Jahre war die CDU ein Kanzlerinwahlverein.
Merkel selbst war ungern eine Vertreterin der klaren Positionen. Und so hielt es auch die Partei. Man verschanzte sich hinter der Zugkraft der Kanzlerin beim Bürger und genoss selbstzufrieden die Macht. Nun sitzt man auf den Oppositionsbänken, ist aber programmatisch ziemlich nackt. Das zeigte sich schon im Wahlkampf. Selbst der Oldie von der rot-rot-grünen Gefahr aus den 90ern des letzten Jahrhunderts zog als letzter Trumpf nicht.
Wunsch nach Rückkehr zur guten alten Zeit?
Trotzdem wünscht man sich gerade in der ostdeutschen CDU, aber nicht nur da, eine Rückkehr zu den guten alten Zeiten. Als es noch keine Ehe für alle gab, Klimaschutz ein Randthema war, Migration an den deutschen Grenzen endete und Frauen in Amt und Mandat eine verschwindende Minderheit waren. Sie wünschen sich Merz als Reichssiegelbewahrer, der nach Rechtsaußen die Reihen schließt und der Partei wieder das Etikett "konservativ" verpasst.
Ein Zeichen dafür war der typische Reflex auf die geplante Abschaffung des Paragraphen 219a zur Information auf Webseiten von Ärzten zum Schwangerschaftsabbruch. Die Unionsfraktion ist dagegen und lehnt damit etwas ab, was überall im Netz zu lesen ist. Vom Recht auf Selbstbestimmung der Frauen ganz zu schweigen. So bedient man eine bestimmte Klientel in der eigenen Partei, gewinnt aber nicht junge Frauen als Wähler. Es ist nicht mehr als hilflose Nostalgie.
Merz will das Image des "Erzkonservativen" abstreifen
Eine Zeit lang hatte es den Anschein, Merz stehe für diese Rolle rückwärts zur Verfügung. Aber möglicherweise täuschen sich seine Fans. Er versucht gerade, das Bild des Erzkonservativen abzustreifen. Stattdessen fordert er zum Beispiel von seiner Partei, sich Frauen mehr zu öffnen. "Wir müssen weg von diesem Image, dass wir eine Partei von Männern sind", erklärte er in "Die Zeit" und will nun eine junge Frau und Mutter zur stellvertretenden Generalsekretärin machen. Das ist in der CDU schon fast eine Revolution. Überhaupt werden die Führungsgremien weiblicher und auch deutlich jünger.
Statt Fundamentalkritik an der Umweltpolitik macht Merz Sorge, wie Deutschland die Klimaziele erreichen will. Der ehemalige Finanzmanager eines der weltgrößten Vermögensverwalter nimmt nun auch die starke Spaltung zwischen arm und reich wahr und entdeckt sein Herz fürs Soziale, wenn er fordert, "mehr über Chancen und Gerechtigkeit nachzudenken". Was den Konservativen in seiner Partei gefallen wird, ist, dass er an Begriffen wie "Staatsvolk, Staatsgrenzen und Staatsverfassung" im grenzenlosen Europa festhalten will, weil es so nach seiner Meinung "die Mehrheit der Bevölkerung empfindet und lebt". Merz will die Partei zum einen öffnen für Neues und zugleich bestimmte konservative Haltungen bewahren. Zugleich muss er mehr als bisher etwas anbieten, was sich von den anderen Parteien deutlich unterscheidet.
Landtagswahlen werden zur Bewährungsprobe
Die erste Bewährungsprobe für den neuen Parteivorsitzenden sind die anstehenden Landtagswahlen. Immerhin will man im Saarland, in Nordrhein-Westfalen und in Schleswig-Holstein die Macht verteidigen. Riskant wäre es, allein auf Stimmenfang durch mangelnde Professionalität der neuen Regierung, besonders in der Corona-Politik, zu spekulieren. So kurz ist dann das Gedächtnis des Bürgers vielleicht auch nicht. Bis vor zwei Monaten war man noch selbst Regierungspartei und machte keine bessere Figur.
Der Verlockung mancher CDU-Mitglieder, mit populistischen Forderungen deutlich nach rechts zu rücken, um vielleicht AfD-Wähler anzusprechen, hat Merz eine klare Absage erteilt. Das könnte die CDU schließlich Stimmen in der Mitte kosten – zugunsten von SPD, Grünen und FDP. Diese Stimmen hatte Merkel einst zur Union geholt. Genau diese Aufgabe muss Merz bewältigen: die Pole in der Partei – hier die Konservativen, dort die Liberalen – erfolgreich zu verbinden. Aber das Leben als CDU-Vorsitzender fängt auch gerade erst an.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 22. Januar 2022 | 13:30 Uhr
aus Elbflorenz vor 16 Wochen
Jetzt denken wir mal im gesellschaftlichen oder vorpolitischen Rahmen und schauen auf das Denken und den Ansichten der Wahlbürger, weil Merz dies ja auch anspricht :
""Staatsvolk, Staatsgrenzen und Staatsverfassung" im grenzenlosen Europa festhalten will, weil es so nach seiner Meinung "die Mehrheit der Bevölkerung empfindet und lebt"
Der Siegeszug der '68er (durch die Institutionen) war maßgeblich ein Siegeszug durch die Köpfe der Menschen, auch der Köpfe und vor allem der führenden Köpfe in CDU und SPD. Dabei wurde der Kompass dieser ehemaligen Volksparteien um 180 Grad gedreht. Wenn die CDU (bei der SPD glaube ich nicht, dass die jemals wieder die Arbeiterpartei meiner Kindheit werden wird) wieder in die alte Position gedreht wird hin zu Nationalstaat und GG: gerne. Ich habe noch mein altes Parteibuch und bin hin und wieder am Überlegen, wieder einzutreten.
Dreibeiner vor 16 Wochen
Die Jugend hätte übernehmen sollen!
Brinkhaus wird bereuen nicht selbst als vorsitzender angetreten zu sein. Seine frei sprechende und offen wie direkte Art gefielen seit parteiinternem "Putsch"
Realist62 vor 16 Wochen
Und nicht nur die AfD. Auch die SPD, wenn man einen gewissen Tweet von Kevin Kühnert so ansieht,wo er Maaßen zeigt. Nach links hat die CDU schon seit Ende 2018 Wähler verloren. Sollte das 2025 war werden, was die CDU 2021 vorhatte( Halbirrung des letzten BT Wahlergebnisses der AfD) kann die CDU wieder an der SPD vorbeiziehen und Friedrich Merz wäre Bundeskanzler.