Europäische Grundsatzrede Scholz: EU muss wirtschaftlich unabhängiger werden

"Es braucht europäische Antworten auf die Zeitenwende", fordert Bundeskanzler Scholz. Während eines Besuchs der Karls-Universität in Prag hält der SPD-Politiker eine Grundsatzrede zur europäischen Politik und deren Zukunft. Zwischen Unabhängigkeit und Zusammenarbeit.

Bundeskanzler Olaf Scholz will Europa künftig unabhängiger von Rohstoffen aus dem Ausland machen. Das könne vor allem beim Recycling von Handy- und Batterieteilen umgesetzt werden. "Wir brauchen einen 'game plan', so etwas wie eine Strategie 'Made in Europe 2030'", sagte Scholz bei einer Rede an der Karls-Universität in Prag am Montag. Ein Großteil des Lithiums, Kobalts, Magnesiums oder Nickels, auf das die Betriebe angewiesen seien, sei längst in Europa. "In jedem Handy, in jeder Autobatterie stecken wertvolle Rohstoffe."

Dieses Potenzial müsse stärker genutzt werden, sagte Scholz. Man brauche gemeinsame Standards für eine echte europäische Kreislaufwirtschaft. "Ein strategisches Update unseres Binnenmarkts", sagte der Bundeskanzler. Gleichzeitig betonte er, dass wirtschaftliche Unabhängigkeit nicht Autarkie bedeute. Europa habe von offenen Märkten und Handel profitiert und werde weiterhin davon profitieren, so der SPD-Politiker.

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Engerer Austausch mit Nicht-EU-Ländern

In Bezug auf wirtschaftliche Beziehungen unterstützt Scholz die Idee des französischen Präsidenten, Emmanuel Macron. Macron fordert eine neue europäische politische Gemeinschaft, die einen engeren Austausch mit Partnern außerhalb der EU ermöglichen soll. Derzeit fehle ein Forum, bei dem die Staats- und Regierungschefs der EU mit Partnerstaaten ein- oder zweimal jährlich zentrale Themen besprechen könnten, sagte Scholz. Er betonte, dass es sich bei einem solchen Zusammenschluss nicht um eine Alternative zur anstehenden EU-Erweiterung handeln soll.

Die französische Idee sieht vor, die Zusammenarbeit mit Partnern verbessern, die in absehbarer Zeit nicht in die EU aufgenommen werden oder dies gar nicht wollen. Konkret nannte er die Ukraine, die jüngst offiziell EU-Beitrittskandidat wurde, nach derzeitigen EU-Regeln aber wohl frühestens im nächsten Jahrzehnt Mitglied werden kann.

Parlament auf EU-Erweiterung abstimmen

Generell hat sich Olaf Scholz für eine geänderte Zusammensetzung des EU-Parlaments ausgesprochen. Wenn man das Parlament nicht aufblähen wolle, brauche es eine "neue Balance, was seine Zusammensetzung angeht". Es sei für alle ein Gewinn, wenn die EU in Richtung Osten weiter wächst. Jedoch müsse die festgelegte Abgeordnetenzahl weiterhin berücksichtigt werden, um im Parlament kein Ungleichgewicht entstehen zu lassen.

Weiter spricht sich Scholz für Mehrheitsentscheidungen im EU-Ministerrat aus, ebenso wie in der Außenpolitik und steuerrechtlichen Bereichen. Ein Festhalten am Prinzip der Einstimmigkeit funktioniere nur, solange der Handlungsdruck gering ist. Spätestens angesichts des Kriegs gegen die Ukraine aber, sei das nicht mehr der Fall.

Gemeinsames Luftverteidigungssystem

Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine will Scholz mit europäischen Nachbarn ein neues Luftverteidigungssystem aufbauen. Deutschland werde in den kommenden Jahren stark in die Luftverteidigung investieren – und zwar so, dass sich europäische Nachbarn von Beginn an beteiligen könnten. Die Forderung nach einem Raketenschutzschild für Deutschland wurde laut, weil Russland mit dem Angriff auf die Ukraine die Bedrohungslage in Europa verändert hat. Details nannte der Kanzler noch nicht. Als wahrscheinliche Option gilt bei der Bundeswehr die Anschaffung des israelischen Systems Arrow 3.

Vorausschauende Asylpolitik

Scholz sagte darüber hinaus, er wolle sich auch für mehr legale Einwanderungswege in die EU sowie ein "faires und krisenfestes Asylsystem" einsetzen. Das betreffe auch einen wirksamen Schutz der EU-Außengrenzen. Europa brauche Zuwanderung, unterstrich der Kanzler mit Verweis auf Personalengpässe an Flughäfen und in Krankenhäusern sowie den Fachkräftemangel in der Wirtschaft. Dazu brauche es eine vorausschauende Herangehensweise mit mehr Kooperationsbereitschaft durch Drittstaaten.

AFP, dpa, KNA (amu)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 29. August 2022 | 11:30 Uhr

15 Kommentare

Anni22 am 30.08.2022

Kreislaufwirtschaft ist für viele Rohstoffe reine Fiktion. Wie viel Prozent können denn im realen Leben wieder verwendet werden?! Natürlich muss soviel wie geht recycelt werden, aber das kostet dann auch eine Menge Energie und ist auch nur begrenzt machbar. Kaum ein Produkt besteht aus 100 % recycelten Material. Bleibt doch einfachmal realistisch.

dimehl am 30.08.2022

Ist das dann der Umgang miteiandner in der zukünftigen EU ?
Die BRD hat sehr viele Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. In den Bundesländern kümmert man sich um sie:
Beispiel aus dem Freistaat Sachsen:
"Die Stadt Dresden plant einen Schulstandort ausschließlich für ukrainische Flüchtlingskinder. Das hat Bildungsbürgermeister Jan Donhauser im Bildungsausschuss des Stadtrates erklärt. Nach seinen Angaben soll das Schulgebäude am Höckendorfer Weg dafür genutzt werden. Bislang ist die Schule aus DDR-Zeiten ein Ausweichstandort, wenn an anderen Schulen gebaut wird."
Den Ministerpräsidenten eben dieses Freistaates Sachsen, Hrn. M. Kretschmer, putzt der Botschafter der Ukraine in der BRD, Hr. Melnyk, öffentlich herunter, weist ihn zurecht und lädt ihn aus:
"Ukraine-Botschafter Melnyk lädt Kretschmer aus: "Sie sind unerwünscht"" (mdr)
"Es sei für alle ein Gewinn, wenn die EU in Richtung Osten weiter wächst." Gewinn für alle ? Für wen denn ?

kleinerfrontkaempfer am 30.08.2022

Die Länder der EU kommen beim Alltagsgeschäft (mit allen Krisen, nationalen Besonderheiten) schon nicht mehr hinterher. Und nun soll da strategisch noch eins draufgesetzt werden.
Wer will kann ja mal alte Verlautbarungen dieser EU hernehmen und mit dem Alltag vergleichen. z.B. von 2000 Lissabon =>
MODERNISIERUNG DES EUROPÄISCHEN GESELLSCHAFTSMODELLS DURCH INVESTITIONEN IN DIE MENSCHEN UND AUFBAU EINES AKTIVEN WOHLFAHRTSSTAATES.

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