Flaggen von Ungarn und der Europäischen Union (EU)
Das EU-Parlament will Ungarn trotz eingeleiteter Reformen weiter Milliarden-Zahlungen verwehren. Bildrechte: IMAGO / Zoonar

Grundwerte-Debatte Ungarn und EU streiten um Milliarden-Zahlungen

29. Mai 2023, 05:00 Uhr

Ungarn verhandelt mit der Europäischen Kommission, um gesperrte Zahlungen aus dem EU-Haushalt zu erhalten. Es geht um bis zu 28 Milliarden Euro, die wegen Verstößen gegen Rechtsstaatlichkeit und Grundwerte der EU zurückgehalten werden. Aus Budapest heißt es, man sei nun kurz vor einer Einigung. In Brüssel allerdings sieht man das komplett anders. Das EU-Parlament will eine Entschließung verabschieden, damit die EU-Kommission bei ihrem harten Kurs bleibt.

Es geht um 27 sogenannte Super-Meilensteine (Super-Milestones). Die betreffen beispielsweise die Unabhängigkeit der Justiz, Presse- und Meinungsfreiheit, Minderheitenschutz oder das Asylrecht. Ob bereits Teilreformen in einigen Bereichen für eine Freigabe von EU-Geldern genügen, war zwischen EU-Parlament und EU-Kommission lange umstritten. Inzwischen aber ist der Kurs der Behörde klar, die bei Gesprächen mit Parlamentariern zumeist von Handelskommissar Johannes Hahn vertreten wird: "Wenn diese 27 Super-Milestones nicht alle erfüllt sind, dann gibt es nichts. Noch einmal klipp und klar: Der Ball ist momentan wirklich auf der ungarischen Seite."

Erste Reformschritte und weitere Forderungen

Erste Reformschritte werden dabei auch von Victor Orbáns schärfsten Kritikern nicht bestritten. Zum 1. Juni soll beispielsweise eine Justizreform in Kraft treten. Der Nationale Justizrat erhält dabei Kompetenzen zurück, und ungarische Richter dürfen sich wieder an den Europäischen Gerichtshof wenden, um prüfen zu lassen, ob ein Gesetz in Einklang mit EU-Recht steht. Damit hat die Führung in Budapest gleich vier Meilensteile abgeräumt. Mit der Verringerung staatlicher Bevormundung bei Universitätsstiftungen konnte ein weiterer Punkt abgehakt werden.

Doch der EU- Forderungskatalog sei noch lang, sagt die CSU-Europaparlamentarierin Monika Hohlmeier. Die Vorsitzende im Haushaltskontrollausschuss ist vor wenigen Tagen von einer Vorort-Mission zurückgekehrt: "Es gibt einzelne Fortschritte, aber wir haben auch Berichte von Unternehmen, von Nichtregierungsorganisationen bekommen, die uns doch sehr, sehr nachdenklich gemacht haben. Wo wir der Auffassung sind, dass die ungarische Regierung dringend Verbesserungsbedarf hat, im Besonderen im Bereich der diskriminatorischen Maßnahmen unterschiedlicher Art."

Vorwurf der Selbstbereicherung

So ist es beispielsweise kaum vorstellbar, dass die aus Brüsseler Sicht homophoben Kinderschutzgesetze zurückgenommen werden. Denn Zugeständnisse gibt es nur im Rahmen des von Victor Orbán errichteten Regime. Und in dem zählt für Ungarns Ministerpräsidenten vor allem, "sich und seine Freunde zu bereichern", sagt der grüne Europa-Parlamentarier Daniel Freund. Deshalb sei auch sehr wichtig, dass das EU-Parlament kommenden Mittwoch eine Entschließung verabschiedet, in der die EU-Kommission aufgefordert wird, keine Zugeständnisse zu machen.

Man wolle, dass das Geld die Menschen in Ungarn erreiche und nicht in dunklen Kanälen versickere, sagt Freund: "Und da sehe ich keine wirklichen Fortschritte. Und trotzdem fließt noch immer ein Drittel der für Ungarn vorgesehenen EU-Haushaltsmittel. Wie lange will die Kommission da noch warten, um den Druck weiter zu erhöhen? Wir wissen doch wie groß das Korruptionsrisiko ist."

Ungarn spricht von politischem Druck

Der EU-Abgeordnete der ungarischen Regierungspartei Fidesz, Andor Deli, sagt, man erwarte, dass Brüssel die Mittel jetzt freigibt. Er sieht sein Land, das "mehr als andere dafür kämpfte, in Demokratie zu leben", völlig zu Unrecht unter Druck gesetzt: "Es ist leider so, dass ganz gleich, was die ungarische Regierung unternimmt, es nie genug sein wird. Weil es eine vorgefertigte Meinung gibt, die nichts mit der ungarischen Realität zu tun hat."

Deli zufolge ist es offensichtlich, dass immer, wenn in den Gesprächen zwischen der Kommission und Ungarn ein Fortschritt zu erkennen ist, das EU-Parlament aktiv werde und versuche, die Kommission politisch unter Druck zu setzen, ihr zu diktieren, welchen Kurs sie gegenüber Ungarn steuern solle. "Es geht nicht um Rechtsstaatlichkeit oder den Schutz des EU-Haushalts, sondern nur darum die Schikane gegen Ungarn zu legalisieren."

Es ist eine Geschichte voller enttäuschter Hoffnungen auf beiden Seiten. Und die Chancen stehen schlecht, dass sich das schnell ändert. So wollen die EU-Abgeordneten in den kommenden Tagen auch eine Resolution verabschieden, um Ungarn seinen planmäßige EU-Ratsvorsitz im zweiten Halbjahr 2024 zu entziehen. Die EU-Kommission und der Rat der 27 Mitgliedsstaaten müssen dem jedoch nicht folgen, weshalb das Parlament in dem Fall ein Hausverbot für den ungarischen Ministerpräsidenten Orbán in Erwägung zieht. 

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 29. Mai 2023 | 06:15 Uhr

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