Schwarzweiß Bild vom zerstörten Brabag-Werk in Zeitz
Vor seiner Zerstörung wurde in dem Zeitzer Hydrierwerk (Bild) der Braunkohle-Benzin AG Benzin synthetisiert. In Leuna wandelte die I.G.-Farben Kohle in Benzin um. Bildrechte: imago/Leemage

"Rüstungsschmiede Mitteldeutschland" | Teil 4 Wie Kohle-Benzin die Luftwaffe am Himmel hielt

07. Mai 2020, 05:00 Uhr

Vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Die Angriffe der Allierten zielten unter anderem auf die mitteldeutschen Chemiewerke. Darunter auch die I.G.-Farben-Werke in Leuna. Denn die Firma stellte künstlich her, was für die Kriegswirtschaft nicht in ausreichender Menge importiert werden konnte: Benzin für die Luftwaffe, Kautschuk für Autoreifen und synthetische Fasern.

Flieger sein, heißt Sieger sein. Diese Zeilen stammen aus einem Loblied auf die deutsche Luftwaffe. Doch deren Flugzeuge hätten kaum abheben können ohne Chemie aus Leuna. Denn dort sei in einem besonderen Verfahren Benzin hergestellt worden, sagt der Militärhistoriker Jens Wehner. Dabei handele es sich im Prinzip um das Kohle-Verflüssigungsverfahren. "Ganz salopp gesagt: Man hat aus normaler Kohle, wie man sie kennt, durch relativ komplexe Umwandlungsprozesse Benzin erzeugt."

Späte Umsetzung einer unrentablen Idee

Die Idee dazu stammte aus den 1920er-Jahren. Schon damals hatte die I.G.-Farben in Leuna ein sogenanntes Hydrierwerk gebaut, um Braunkohle zu verflüssigen. Den Rohstoff gab es in der Region reichlich. Trotzdem forcierte der Chemiekonzern die Benzinherstellung erst mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Denn das I.G.-Verfahren zur Herstellung von Benzin aus Kohle sei drei Mal so teuer gewesen wie die Benzinherstellung aus Erdöl, sagt der Historiker Rainer Karlsch:

Aus militärstrategischen Gründen war es wichtig, mehr Benzin zu produzieren als man aufgrund der einheimischen Erdölvorkommen herstellen konnte.

Rainer Karlsch, Historiker

Und auch das importierte Erdöl habe nicht ausgereicht, um einen längeren Krieg überhaupt durchführen zu können, so Karlsch.

Hydrierwerke als Rückgrat der Treibstoffversorgung

Hitlers Regierung schloss mit der I.G.-Farben 1933 einen Vertrag. Die Firma verpflichtete sich, die bislang unrentablen Hydrieranlagen in Leuna auszubauen. Im Gegenzug erhielt sie für das Benzin eine ordentliche Vergütung. Außerdem wurde die Braunkohle-Benzin AG gegründet. Sie errichtete weitere Hydrierwerke in Böhlen, Magdeburg und Zeitz.

Die mitteldeutschen Hydrierwerke waren das Rückgrat der deutschen Treibstoffversorgung. Ohne die Produktion von Synthese-Benzin, insbesondere auch von Flugbenzin, hätte die Wehrmacht keinen längeren Krieg führen können.

Rainer Karlsch, Historiker

Die Nationalsozialisten ließen nicht nur besonderes Benzin herstellen. Im mitteldeutschen Chemiedreieck wurden weitere Ersatzprodukte entwickelt. Synthetische Fasern sollten Baumwolle ersetzen, in Buna wurde künstlicher Kautschuk gefertigt – für die Autoreifen der Wehrmacht. Zuständig für die Umstellung auf die Kriegswirtschaft war Hermann Göring:

Wir wussten, dass wir keinen Treibstoff haben. Also haben wir die Fabriken gebaut, die uns den Treibstoff geben werden. Wir wussten, dass wir keinen Kautschuk bekommen können. Also haben wir die Fabriken gebaut. Und heute sind wir im Besitz jedenfalls all jener Mittel, die wir brauchen, um den Gegner zu besiegen.

Hermann Göring, Nationalsozialistischer Politiker/Oberbefehlshaber der Luftwaffe von 1935-1945

Die I.G.-Farben im Fokus der Allierten

Im Kriegsverlauf wurde die Produktion ausgeweitet. Die I.G.-Farben baute auch in Auschwitz ein Werk, in dem KZ-Häftlinge die Produktion von Buna-Kautschuk und Kohle-Benzin aufrecht erhalten mussten. Doch den Alliierten blieb nicht verborgen, wie wichtig gerade die Benzinproduktion für die Deutschen war. Im Mai 1944 griffen britische und amerikanische Bomber die Hydrierwerke in Leuna an. Dadurch sei die Produktion sehr stark zurückgegangen, in manchen Monaten um bis zu 90 Prozent, sagt Jens Wehner:

Das waren mit die wirksamsten und effektivsten Bombenangriffe, die es im Zweiten Weltkrieg auf deutsche Industrieanlagen gegeben hat.

Laut Rainer Karlsch seien diese Luftschläge kriegsentscheidend gewesen: "Rüstungsminister Speer wusste das und hat in mehreren Denkschriften an Hitler dargelegt, dass der Krieg in Kürze verloren sein wird, weil die Wehrmacht und insbesondere die Luftwaffe nicht mehr ausreichend versorgt werden können."

Mit immensem Aufwand versuchte die I.G.-Farben, das Leuna-Werk nach der Bombardierung wieder aufzubauen. Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter sollten die Hydrieranlagen flicken helfen. Das gelang teilweise. Bis April 1945 konnte in geringeren Mengen noch Benzin aus Kohle hergestellt werden. Dann wurde Leuna von der US-Armee besetzt.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 08. Mai 2020 | 05:00 Uhr

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