Faktencheck Macht ein schneller Kohleausstieg den Netzausbau überflüssig?
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Umweltministerin Anja Siegesmund warnte bei MDR AKTUELL vor Übereifer beim Netzausbau: "Die Netzinfrastruktur ist bundesweit nicht an ihrer Auslastungsgrenze. Deswegen ist es eigentlich die Pflicht des Bundes, auch hier vor Ort zu erklären, warum nicht Alternativen wie beispielsweise ein beschleunigter Kohleausstieg mindestens genauso im Vordergrund stehen wie die Diskussion um den beschleunigten Netzausbau." Könnte ein schneller Kohleausstieg manche Leitung vielleicht überflüssig machen?
Thüringen ist das Land der Burgen, Berge und Stromtrassen. Das planen zumindest die großen Netzbetreiber. Nahezu jede wichtige Trasse soll das Bundesland dereinst queren. Bei Anwohnern sorgt das für Ärger. So hoffen vor allem die Grünen, dass ein schneller Kohleausstieg manche Leitung überflüssig macht.
Pläne für Kohleausstieg noch unausgereift
Die Energieökonomin Claudia Kemfert nährt diese Hoffnung: "Die Thüringer Argumentation ist durchaus nachvollziehbar. In Thüringen wurde eine große Stromtrasse schon gebaut. Die hat auch zu einer Entlastung beigetragen. Jetzt geht es auch darum, dass man einen Kohleausstieg so schnell wie möglich umsetzt. Hierfür sind bisher wenige Szenarien angefertigt worden, was ein schneller Kohleausstieg für Auswirkungen auf die Netze hätte."
Das privat finanzierte Ökoinstitut sieht das ähnlich. In einer Studie schreibt es, ein schneller Kohleausstieg sei in den Ausbauplänen fürs Stromnetz nicht berücksichtigt. Womöglich würde manche Trasse obsolet. Allerdings schreibt das Institut auch: Dafür würden andere Trassen nötig.
6.000 Kilometer Übertragungsleitungen fehlen
Für den Magdeburger Energieprofessor Martin Wolter steht fest, in Summe gebe es zu wenig Leitungen. "Wir haben in Deutschland ein sehr starkes Nord-Süd-Gefälle. Im Norden haben wir zu viel Energie und im Süden zu wenig. Wenn ich jetzt im Süden ein Kohlekraftwerk abschalte, dann verschärfe ich das Problem dadurch. Ich brauche eigentlich noch mehr Leitungen, welche den Strom aus dem Norden in den Süden bringen."
Laut Netzentwicklungsplan fehlen in Deutschland knapp 6.000 Kilometer Übertragungsleitungen. Wolter hält die Berechnungen für realistisch. Auch Stefan Mischinger von der Deutschen Energie-Agentur sagt, der Ausbau müsse viel schneller gehen. Ein Indiz dafür: Immer häufiger müssen Kraftwerke mangels Netzkapazität gedrosselt werden.
Später Netzausbau kostet viel Geld
Das kostet laut Mischinger viel Geld: "Da müssen Betreiber entschädigt werden. Damit wären wir bei Kosten für das Netzengpass-Management. Die haben sich im letzten Jahr auf 1,4 Milliarden Euro belaufen. Da kann man schon sagen, wenn der Netzausbau früher gekommen wäre, hätten wir jetzt weniger Kosten aus der Engpassvermeidung. Die Höhe der Kosten ist auch ein Indikator dafür, dass es schneller voran gehen muss."
Dass ein schneller Ausstieg aus der Kohle am Leitungsbedarf viel ändert, glaubt Mischinger nicht. Denn die Energiewende passiere auf zwei Ebenen. Einmal regional mit kleinen Anlagen vor Ort, aber eben auch überregional mit großen Windparks vor allem in Nord- und Ostdeutschland. Deren Energie müsse transportiert werden.
Deutschland braucht definitiv neue Leitungen
Professor Wolter pflichtet dem bei: "Wir werden nicht pauschal sagen können, das Netz wird durch den Ausstieg aus der Kernenergie oder der Kohle generell entlastet. Sondern wir werden eine völlig neue Belastungssituation sehen. Strecken, die jetzt hoch belastet sind, werden vielleicht weniger stark belastet. Dafür werden dann andere Strecken, die im Augenblick noch nicht so hoch belastet sind, noch stärker belastet."
Man könne manche bestehende Trasse sicher noch verstärken, sagt Wolter. Doch unterm Strich komme Deutschland um neue Leitungen nicht herum.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 28. August 2018 | 05:00 Uhr
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