Blick auf das frühere Haus der Ministerien in der Leipziger Straße, in dem nun die Berliner Treuhandanstalt eingezogen ist.
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Wiedervereinigung DDR im Schlussverkauf: Die Entstehung der Treuhand

18. Januar 2022, 10:43 Uhr

Deutschland blickt in diesem Herbst zurück auf 30 Jahre Friedliche Revolution. Bei MDR AKTUELL widmen wir uns deshalb einer der umstrittensten Behörden der deutschen Wiedervereinigung: der Treuhand-Anstalt. Viele werfen ihr den Verlust von Millionen Arbeitsplätzen vor, das Plattmachen tausender Betriebe. Dabei hatten die Gründer etwas ganz anderes im Sinn, als das, was später aus der Treuhand geworden ist. Sie wollten das DDR-Volkseigentum tatsächlich dem Volk vermachen.

Die DDR im Februar 1990. Zum ersten Mal fällt in der Öffentlichkeit der Begriff Treuhand. Eine Gruppe ostdeutscher Wissenschaftler schlägt die Gründung einer solchen Behörde vor. Sie soll das Volkseigentum sichern. Zu den Ideengebern gehört auch der inzwischen verstorbene Ingenieur Matthias Artzt:

Eine wichtige Frage, die wir damals schon diskutiert haben, war die Frage des Eigentums. Das Eigentum war zwar formal dem Volk zugeschrieben, aber der Besitz und die Nutzung dieses Eigentums lag in der Hand von Funktionären, die zum überwiegenden Teil verantwortungslos damit umgegangen sind.

Matthias Artzt, Ingenieur und Ideengeber zur Treuhand

DDR-Aktien für das Volk?

Die Wissenschaftler wollen verhindern, dass sich Funktionäre oder Spekulanten das DDR-Vermögen dauerhaft aneignen. Stattdessen sollen die Bürger Anteile erhalten. Das Volk soll endlich bekommen, was ihm auf dem Papier längst zusteht – per Anteilsschein. Der Physiker Gerd Gebhard entwirft die Vorlage.

Das war eher eine grafische Kunst, wo drauf stand: Hiermit werden Sie Eigentümer von einem Sechzehnmillionstel des DDR-Volkseigentums. Nutzen Sie Ihre Chance und Ihnen steht zu, Ihre Wohnung, Ihr Anteil an einem Betrieb, Anteil an landwirtschaftlicher Fläche und so weiter.

Dr. Gerd Gebhard, Physiker und Ideengeber der Treuhand

Der Runde Tisch beschließt das Konzept einstimmig. Am 1. März 1990 legt die Regierung deshalb das Gesetz zur Gründung der Treuhand vor. Doch darin fehlt ein entscheidender Passus. Von einer Verteilung des Eigentums ist keine Rede mehr. Zwei Wochen vor den ersten freien Wahlen in der DDR will die Regierung keine so weitreichende Entscheidung mehr treffen. Die Treuhand soll das Vermögen nur sichern. Das Volk geht leer aus – und ist darüber noch nicht einmal wütend.

Eine Frau schaut durch den Sucher einer Praktica BX20 S Spiegelreflexkamera.
Bildrechte: picture-alliance/ ZB | Matthias Hiekel

Matthias Artzt sagte darüber: "Die Reaktionen, die bei mir angekommen sind aus der Verwandtschaft und aus Freundeskreisen, die sich mit der theoretischen Frage weniger beschäftigt haben, waren eher zurückhaltend."

Ich glaube, wenn man eine Abstimmung gemacht hätte: Wollt ihr das Volkseigentum haben? Da hätte es möglicherweise eine Mehrheit gegeben, eine knappe Mehrheit, dass man sich damit nicht belasten will.

Matthias Artzt, Ingenieur und Ideengeber zur Treuhand

Treuhand soll Volksvermögen verkaufen

Die ersten freien Wahlen gewinnt im März 1990 die CDU unter Führung von Lothar de Maiziere. Die DDR-Bürger erhalten die D-Mark und die schnelle deutsche Einheit. Dass die Umstellung der Währung zu Verwerfungen führen wird, ahnt de Maiziere schon damals. Denn ein Produkt, das bis dahin zehn DDR-Mark gekostet hat, muss sich nun für zehn D-Mark verkaufen lassen.

Es gab ein Papier, das mir von Wirtschaftskreisen zugearbeitet wurde, das sagte: Mit der Einführung der D-Mark werden wir drei Gruppen von Betrieben haben. Ein Drittel wird sofort und auf der Stelle in Konkurs gehen müssen, ein Drittel wird sich einigermaßen am Markt bewähren können und ein Drittel muss mit Umstrukturierungen wieder handlungsfähig gemacht werden.

Lothar de Maiziere, CDU

Die Treuhand wird beauftragt, das Volksvermögen zu verkaufen. Und die Erlöse? Hat es nicht gegeben. Für Personal, Fördergelder, die Sanierung von Umweltschäden zahlt die Treuhand drauf. 1994 beendet sie die Privatisierung der volkseigenen Betriebe mit einem Verlust von mehr als 250 Milliarden D-Mark. Hätte man den Ostdeutschen wirklich Anteilsscheine am Volkseigentum gegeben – es wären daraus Schuldscheine geworden.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 16. September 2019 | 06:16 Uhr

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