Ein Mann hält sich seine Hand ans Ohr
Zwischen Soundeffekten und Musik ist die gesprochene Sprache in Filmen oft schwer zu verstehen. Bildrechte: Colourbox.de

Redakteur | 02.06.2022 Was steckt hinter der Tonspur "klare Sprache" bei ARD und ZDF?

02. Juni 2022, 18:50 Uhr

Seit 1. Juni gibt es eine echte Innovation für Fernseh-Zuschauer. Viele öffentlich-rechtliche Kanäle bieten eine zusätzliche Tonspur an. Auf dieser ist die gesprochene Sprache deutlich lauter zu hören als bisher.

Das Hörempfinden ist sehr individuell. Den abendlichen Streit zu Hause, ob das Fernsehgerät nun gerade zu laut oder zu leise ist, den kennt wohl jeder. Denn besonders der Ton von Filmen wird von uns sehr unterschiedlich wahrgenommen. Damit ein Film richtig auf uns wirkt, muss auch wirklich alles zusammenpassen.

Dazu gehören auch die Umgebungsgeräusche einer Szene und die Musik, die zum Spannungsaufbau beiträgt, wenn der Dieb ums Haus schleicht. Wenn der dann über die Gießkanne fällt, darf das nicht geräuschlos passieren. Und wenn sich zwei Schauspieler an einer Straßenkreuzung unterhalten, wäre es auch absurd unnatürlich, wenn wir nur die beiden hören würden und keine Autos. Ein Film braucht Atmosphäre.

Wie laut muss die Sprache sein?

Anders als ein Live-Reporter der Tagesthemen steht ein Schauspieler gewöhnlich nicht mit dem Mikrofon vor der Nase am Set. Meistens schwebt das Mikrofon unsichtbar für die Kameras über den Köpfen, der Ton wird dann "geangelt" oder er wird über kleine unsichtbare Ansteckmikrofone aufgenommen.

Leider stößt die Aufnahmetechnik hier oft an Grenzen, weil die weiter vom Mund entfernten Mikrofone eben nicht nur die Sprache aufnehmen, sondern auch die Umgebungsgeräusche. Im Ergebnis ist der Schauspieler oft nicht wirklich gut zu verstehen. Deshalb wird im Studio der Text noch einmal aufgenommen und wie bei der Synchronisierung einer Fremdsprache hinterher dazugemischt. Das gilt auch für viele Originalgeräusche. Der Schritt auf dem Kies stammt oft nicht vom Einbrecher, sondern vom "Foley artist", dem Geräuschemacher, weil der Originalschritt nach allem Möglichen klingen würde, aber nicht nach einem Schritt auf Kies.

Auch die umfallende Gießkanne klingt in der Aufnahme vielleicht eher wie ein Pappeimer. Am Ende wird ein Toningenieur den Originalton, die Extra-Geräusche, die Musik und die Sprache so zusammenmixen, dass bei unserer 5.1-Surround-Anlage die Gießkanne durchs Wohnzimmer fliegt. Und auch hier ist viel individuelles Hörempfinden dabei. Würde Oma Hilde an den Reglern sitzen, käme sicher eine ganz andere Mischung heraus.

Der nächste Punkt ist die verwendete Lautsprechertechnik beim Konsumenten. Ein Kinofilm wird für eine ganz andere Lautsprechertechnik abgemischt als ein Fernsehfilm. Im Vergleich zu den Surroundsystemen in den Kinos haben unsere Flachbildfernseher schon ihrer Bauart wegen ganz schlechte Karten. Besonders bei tiefen Frequenzen. Wenn dann noch ein fürs Kino optimierter Film im Fernsehen läuft, kommt unter Umständen für Oma Hildes Ohren ein Mulm-Mix aus den kleinen "Plärrwürfeln", auch Lautsprecher genannt. Im Ergebnis versteht sie von den Filmdialogen nur jedes dritte Wort.

Kann man die Sprache nicht grundsätzlich lauter machen?

Sicher kann man das, nur wie laut? Und es ist ja nicht so, dass die ganze Menschheit schwer hört, auch wenn die jungen Kopfhörerträger auf einem "guten" Weg sind. Moderne Filme sind ein Gesamterlebnis und keine Vorlesung. Deshalb kann jeder, der die Urgewalten spüren möchte, seine Tonspur auf Dolby Digital einstellen.

Mit diesem Klangerlebnis, das nicht unbedingt nur auf "laut" reduziert werden darf, kommen die unter 50-Jährigen in der Regel auch prima klar. Anschließend beginnt zwar nicht direkt die Schwerhörigkeit, aber bestimmte Frequenzen werden schlechter wahrgenommen.

Statistisch haben wir ab 50 alle einen erheblichen Höreinbruch und das ist in der Regel in dem Frequenzspektrum, in dem sich Stimmen - besonders hohe Stimmen - bewegen.

Christoph Augenstein, Vorsitzender der ARD-Produktions- und Technik-Kommission

Wo ist die Taste auf der Fernbedienung?

Der erste Schritt: Die Bedienungsanleitung des Fernsehers oder Audiosystems befragen. Gibt es dort eine "Audio-Taste", mit deren Hilfe man bisher vielleicht Filme in der Originalsprache verfolgt hat oder die Audiodeskription für Sehgeschädigte, dann ist man schon fündig geworden.

Über Satellit oder DVB-T strahlen die HD-Kanäle der beteiligten Sender auf jeden Fall den zusätzlichen Kanal aus. Mitunter stehen im Menü nur kryptische Zeichen, das sind die internationalen ISO-Codes der Spuren, dabei steht "deu" für Deutsch und hinter "mis" verbirgt sich meistens die Audiodeskription.

Während das ZDF für die "klare Sprache" den Multi-Language-Kanal (mul) nutzt, auf dem in der Regel Filme in ihrer Originalsprache laufen, hat sich die ARD für einen zusätzlichen Kanal entschieden, der den internationalen Code "qks" hat. Bei Kabelempfang ist der Dienst davon abhängig, ob der Anbieter den Kanal auch weitergibt. Ist bei Ihnen sonst alles HD und Dolby Digital, nur die klare Sprache fehlte: Mal beim Kabelnetzbetreiber Druck machen.

Was passiert da technisch?

Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz wird aus dem Fernsehton in Echtzeit ein alternatives Audiosignal "errechnet", das die Stimmfrequenzen erkennt. Letztlich wird der Pegel der Sprache angehoben, der Rest technisch reduziert. Im Ergebnis ist die Sprache besser verständlich, der "Klanggenuss" geht aber in Abhängigkeit vom Ausgangsmaterial manchmal etwas verloren, aber nicht immer.

Ich habe mir schon viele Tonbeispiele angehört, an manchen merken Sie ausschließlich, dass der Ton besser zu verstehen ist.

Christoph Augenstein, Vorsitzender der ARD-Produktions- und Technik-Kommission

Wer die Unterschiede ausprobieren möchte: Der WDR hat einen Livestream im Internet als Testkanal eingerichtet. Über ein kleines Symbol unten rechts kann man zwischen den Kanälen wechseln. Den Link gibt es hier:

Wann höre ich das wo?

Das Erste der ARD, das ZDF und die dritten Programme von NDR, WDR und rbb bieten die "klare Sprache" seit 1. Juni an. Bei ZDFneo, 3sat und ZDFinfo dauert es noch ein wenig, hieß es aus Mainz. Bei ARTE, Tagesschau24 usw. wird es wohl auch Jahresende werden, während es für die Dritten von mdr, BR, hr, Radio Bremen, SWR und SR bereits ein Startdatum gibt: den 1. September 2022.

Denn es muss nicht nur die Technik installiert werden, die die zusätzliche Tonspur aus dem Ausgangsmaterial generiert, auch die Übertragungswege bis hinauf zu den Satelliten müssen "verbreitert" werden. Beim Online-Stream von ARD und ZDF dauert es ebenfalls noch ein wenig und auch in den Mediatheken von ARD und ZDF wird die "klare Sprache" Stück für Stück eingeführt.

MDR (nis)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 02. Juni 2022 | 16:40 Uhr

Mehr aus dem Bereich Digitales

Weitere Ratgeber-Themen