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Zuschläge für Erwerbsminderungsrenten Ein verspätetes Mehr an Gerechtigkeit für rund drei Millionen Rentner

04. Juli 2024, 16:09 Uhr

Wer Erwerbsminderungsrente bekommt, kann sich ab Juli auf ein Plus von bis zu 7,5 Prozent extra freuen. Damit sollen Ungerechtigkeiten beseitigt werden. Doch Experten kritisieren auch diese Zuschläge als zu niedrig. MDR-Redakteur Fank Frenzel erklärt, was ausgeglichen werden soll und warum das Plus aber noch höher ausfallen müsste.

MDR-Wirtschaftsredakteur Frank Frenzel
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Rund drei Millionen sogenannte EM-Rentner bekommen ab 1. Juli mehr Geld in Form eines Zuschlages. Was sich gut anhört, ist in Wirklichkeit ein längst überfälliges Mehr an Gerechtigkeit. Denn jahrelang sind die Betroffenen benachteiligt worden. Das soll nun korrigiert werden: Bestandsrentnerinnen und -rentner, deren Rentenbeginn zwischen dem 1. Januar 2001 und dem 31. Dezember 2018 lag, bekommen nun einen Zuschlag auf ihre Rente in Höhe von 4,5 oder 7,5 Prozent. Das ist abhängig davon, wann der Renteneintritt war.

4,5 oder 7,5 Prozent: Wer bekommt welchen Zuschlag?

Die Erhöhung der Erwerbsminderungsrente erfolgt zum 1. Juli 2024 pauschal in zwei Gruppen. Wer zwischen dem 1. Januar 2001 und dem 30. Juni 2014 erstmalig eine EM-Rente bezogen hat, erhält einen Zuschlag in Höhe von 7,5 Prozent, das heißt, eine Rente von zum Beispiel 1.000 Euro brutto wird durch die Änderung um 75 Euro auf 1.075 Euro erhöht.

Wer zwischen dem 1. Juli 2014 und dem 31. Dezember 2018 erstmalig seine EM-Rente bezogen hat, erhält 4,5 Prozent mehr, das heißt, eine Erwerbsminderungsrente in Höhe von 1.000 Euro wird um 45 Euro auf 1.045 Euro erhöht.

Der Grund für die unterschiedlichen Zuschlaghöhen ist, dass es schon 2014 eine Erhöhung der Zurechnungszeiten für EM-Rentner gab, wodurch Betroffene, die zwischen 2014 und 2019 erstmals eine EM-Rente bezogen, etwas bessergestellt sind als jene, deren Rentenbeginn vor Juli 2014 lag. Wichtig: Die neue Erwerbsminderungsrente, also die bisherige EM-Rente plus Zuschlag, wird in den kommenden Jahren jeweils zum 1. Juli um die jährliche Rentenanpassung erhöht.

Warum waren bestimmte EM-Rentner bisher benachteiligt?

Mit dem Rentenpaket 2019 wurden für Erwerbsminderungsrenten die sogenannten Zurechnungszeiten erhöht. Die Zurechnungszeit ist für die Rentenberechnung wichtig, denn sie besagt, wie lange ein Mensch arbeiten und Rentenbeiträge hätte zahlen können, wenn er nicht krank und erwerbsgemindert wäre. Wer eine Erwerbsminderungsrente neu erhält, den behandelt die Rentenversicherung seit dem 1. Januar 2019 so, als hätte sie oder er bis zur Regelaltersgrenze gearbeitet. Diese Zurechnungszeit bringt durchschnittlich 70 Euro mehr im Monat, so die Deutsche Rentenversicherung.

Das Problem: Wer vor dem 1. Januar 2019 eine Erwerbsminderungsrente bezog, ging bei dieser Erhöhung leer aus. Davon waren jene drei Millionen Menschen betroffen, die jetzt ab 1. Juli 2024 durch Zuschläge bessergestellt werden. Oder anders gesagt, drei Millionen Menschen in Deutschland sind 2019 mit dem Rentenpaket im Stich gelassen worden. Gegen diese Ungleichbehandlung hatten der VdK Deutschland und der Sozialverband Deutschland (SoVD) mit einer Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe geklagt, jedoch ohne Erfolg.

Kritik: Zuschläge für EM-Rentner kommen zu spät und sind zu niedrig

Der DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund) hat ausgerechnet, dass die Zuschläge von 4,5 oder 7,5 Prozent zu niedrig berechnet seien. Eigentlich müssten sie 8,2 bzw. 13,2 Prozent betragen, so eine Hochrechnung aus dem Jahr 2022. Deshalb beklagen Sozialverbände wie der VdK Deutschland, dass die betroffenen EM-Rentner weiter benachteiligt würden. So erklärt die Präsidentin des VdK, Verena Bentele: "Rentnerinnen und Rentner, die vor 2019 bereits erwerbsgemindert waren, sind noch immer schlechter gestellt. Sie profitieren nicht ausreichend von den Nachbesserungen. Wir sehen in der derzeitigen Gesetzgebung einen klaren Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes."

Rentnerinnen und Rentner, die vor 2019 bereits erwerbsgemindert waren, sind noch immer schlechter gestellt.

Verena Bentele, Präsidentin des VdK

Hinzu kommt, dass die Zuschläge, wie bei Gesetzesänderungen üblich, nur in die Zukunft wirken. Das heißt, die entgangenen Gelder seit der Gesetzesänderung im Jahr 2019, werden den Betroffenen nicht nachgezahlt. Frank Parche, Dozent für Rentenrecht aus Leipzig, hat hochgerechnet, was einem sogenannten Bestandsrentner mit EM-Rente dadurch verloren geht. Die Berechnung basiert auf einem Versicherten, der bis zum Rentenbeginn immer den Durchschnittsverdienst erhielt und somit pro Jahr ein Entgeltpunkt für die Rente erzielt hatte. Bei einem Rentenbeginn vor 2014 beträgt der Fehlbetrag circa 4.600 Euro. EM-Rentnern mit Rentenbeginn zwischen Januar 2014 und Dezember 2018 fehlen circa 2.600 Euro.

Nicht nur EM-Rentner profitieren von der Neuregelung ab Juli

Von den Verbesserungen profitieren nicht nur Menschen, die aktuell eine Erwerbsminderungsrente beziehen, sondern auch Altersrentnerinnen und -rentner, die zuvor (also im fraglichen Zeitraum 2001 bis 2019) eine EM-Rente bekamen. Gleiches gilt auch für Witwen und Witwer, die eine Hinterbliebenenrente erhalten, die auf eine zwischen 2001 und 2019 beginnende EM-Rente des verstorbenen Partners basiert. Wenn zum Beispiel jemand seit 2010 eine Erwerbsminderungsrente bezogen hat, die 2020 in eine Altersrente umgewandelt wurde, dann gibt es auch auf diese Rente einen Zuschlag von 7,5 Prozent.

Neuberechnung der Renten in zwei Schritten

Betroffene müssen nichts tun, um den Zuschlag zu erhalten. Die neu berechnete EM-Rente wird ab dem 1. Juli 2024 automatisch vom Rentenservice überwiesen. Die Erhöhung muss also nicht beantragt werden. Die Berechnung selbst erfolgt in zwei Schritten.

Ab 1. Juli 2024 wird den Betroffenen jeden Monat ein Zuschlag getrennt von der zugrundeliegenden Rente ausgezahlt. Das heißt, betroffene Rentnerinnen und Rentner bekommen zweimal Geld aufs Konto: einmal die normale (bisherige) EM-Rente und extra den Zuschlag von 4,5 oder 7,5 Prozent.

Ab Dezember 2025 soll dann der Zuschlag dauerhaft als Bestandteil der Rente berechnet und ausgezahlt werden. Das heißt, die Zuschläge werden dann in Entgeltpunkte umgewandelt und als Gesamtrente errechnet und ausgezahlt. Nachteile sollen sich dadurch nicht ergeben.

Erst bis zum 1. Dezember 2025 kann die Rentenversicherung den Zuschlag berechnen. Dann wird geprüft, ob der bis dahin gezahlte Zuschlag zu niedrig war und rückwirkend ausgeglichen werden muss. Für die über drei Millionen EM-Rentnerinnen und -rentner bedeutet diese Regelung eine Notlösung. Allerdings soll nach Ansicht des Sozialverbands VdK die behelfsmäßige Auszahlung mit dem tatsächlichen Zuschlag vergleichbar sein und sich nur in wenigen Fällen um kleinere Beträge unterscheiden.

Deutsche Rentenversicherung: Umsetzung technisch aufwändig

Grund für die gestaffelte Vorgehensweise sind laut Deutscher Rentenversicherung technische und organisatorische Umsetzungsprobleme. Konkret hat die Deutsche Rentenversicherung in einer Anhörung im Deutschen Bundestag eine Vielzahl von Gesetzesänderungen genannt, die bei der Programmierung der Rentenberechnungen zu berücksichtigen seien. Dazu zählten "die rückwirkende Steuerfreiheit des Grundrentenzuschlags, die Neuregelungen der Beschäftigung im Übergangsbereich, die Auszahlung der Energiepreispauschale für Rentenbeziehende sowie der Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen bei vorgezogenen Altersrenten." Außerdem müssten "alle Rechtsstände der Vergangenheit und deren Wechselwirkungen für jeden Einzelfall rechtlich nachvollzogen und in der Programmierung berücksichtigt werden." All das würde die Umsetzung des Gesetzes komplexer und aufwändiger machen.

Sozialverband kritisiert Berechnungsmodell

Der Sozialverband VdK Deutschland lässt diese Argumente jedoch nicht gelten. Präsidentin Verena Bentele kritisiert die verzögerte Berechnung der neuen Erwerbsminderungsrenten. Sie zeige, "dass im Bereich der Digitalisierung und der Personalressourcen vieles im Argen liegt. Mein Appell an Bundessozialminister Heil: Die Behörde muss wieder ausreichende personelle und organisatorische Ressourcen erhalten, um Leistungsverbesserungen schnell und sachgemäß umzusetzen."

Zustimmung und Kritik von Rentenberatern

Lob für das Gesetz gibt es zwar auch vom Bundesverband der Rentenberater e.V., zugleich aber auch Kritik. So sieht der stellvertretende Präsident Andreas Irion die Einbeziehung von Hinterbliebenen zwiespältig. Die Verbesserung der Hinterbliebenenrente (im Gegensatz zur Erwerbsminderungsrente) sei kein Ziel im Koalitionsvertrag gewesen: "In den zahlreichen Beratungsgesprächen unserer Mitglieder spielt die empfundene Ungerechtigkeit und der soziale Verbesserungsbedarf bei Erwerbsgeminderten eine viel größere Rolle".

Dass Witwen und Witwer gewissermaßen trittbrettfahrend mitprofitieren (obwohl es politisch nicht auf der Agenda des Koalitionsvertrages steht) würde sich nicht auf Anhieb erschließen. "Während Erwerbsgeminderte fast immer auf die Rente angewiesen sind, könne man eine solche Verallgemeinerung mit Blick auf Hinterbliebene nicht treffen", so die Argumentation des Rentenberater-Verbandes.

Abzüge für früheren Renteneintritt auf EM-Renten bleiben

Trotz der Verbesserungen bei den Bestands-EM-Renten sind Bezieher von Erwerbsminderungsrenten weiter von Abzügen betroffen. Das heißt, jede EM-Rente wird um maximal 10,8 Prozent gekürzt. Begründung: Die Rente wird vorzeitig in Anspruch genommen, so wie das auch bei normalen Frührenten (vorzeitiger Rentenbeginn vor Erreichen der Regelaltersrente) der Fall ist. Betroffene bekommen jetzt zwar höhere Zurechnungszeiten bei der EM-Rente berücksichtigt, das heißt, sie würden bei der Berechnung so gestellt, als würden sie bis zur Regelaltersrente arbeiten und Beiträge in die Rentenklasse einzahlen – gleichzeitig werden von dieser (nun besseren Rente) 10,8 Prozent abgezogen, eben weil die Rente vorzeitig in Anspruch genommen wird. 

Allerdings – so Kritiker – würden EM-Renten ja nicht freiwillig vorzeitig in Anspruch genommen. Der VdK nennt deshalb die Rentenabschläge "ungerecht". "Die Abschläge müssen endlich abgeschafft werden", sagt VdK-Präsidentin Verena Bentele: "Wer krank ist, sollte nicht solche Nachteile haben."

Berechnung der Abschläge Für jeden Monat, der vor Erreichen der allgemein gültigen Rentenaltersgrenze liegt, werden 0,3 Prozent abgezogen. Der Abschlag wurde jedoch auf maximal 10,8 Prozent begrenzt.

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MDR (cbr)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 01. Juli 2024 | 17:45 Uhr

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