Hinzuverdienst 2022 Über 40 Prozent mehr Einkommen für Frührentner möglich
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Auch 2022 dürfen Frührentner zu ihrer gesetzlichen Rente bis zu 46.060 Euro anrechnungsfrei hinzuverdienen. Ob die neue Regierungskoalition die eigentliche Corona-Sonderregelung auf Dauer ermöglicht, bleibt abzuwarten.

Auf dieser Seite:
- Unbegrenzt hinzuverdienen
- Höhere Hinzuverdienstgrenzen seit 2020
- Rentenexperten begrüßen die Entwicklung
- Will die Ampelkoalition höheren Hinzuverdienst beibehalten?
- Wer profitiert?
- Frührente 2022: Beispiel Durchschnittsverdiener
- Tipp: 99-Prozent-Rente
- Extra-Plus für die Rente
- Aus Rente mit 63 wird Rente mit 64
- Tipp: Zur Rentengestaltung beraten lassen!
Sie sind Durchschnittsverdiener, werden nächstes Jahr 64 Jahre alt, sind besonders langjährig rentenversichert und wollen bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter arbeiten? Dann könnten Sie sich im nächsten Jahr ein Einkommensplus von sage und schreibe 45 Prozent sichern – wenn Sie nämlich zusätzlich zu ihrem Arbeitslohn Rente beziehen. Möglich macht das die auch 2022 geltende höhere Hinzuverdienstgrenze für Frührentner.
Unbegrenzt hinzuverdienen
Unbegrenzt hinzuverdienen geht für Rentner schon immer. Allerdings nur für den, der die gesetzliche Regelaltersgrenze erreicht hat. Diese liegt ab 2022 bei 66 Jahren und wird sukzessive auf 67 Jahre angehoben. Im Jahr 2031 gilt für Geburtsjahrgänge ab 1964 erstmals die Rente mit 67.
Aber: Viele Arbeitnehmer, die heute 64 oder 65 Jahre alt sind, fühlen sich noch fit für den Arbeitsmarkt, wünschen sich zugleich aber einen gleitenden Übergang in den Ruhestand. Sie würden gern ihre Rente genießen, aber oft auch (etwas) arbeiten. Dieses Modell von vorgezogener Rente bei gleichzeitiger Arbeit heißt in Deutschland Flexirente und lohnte sich früher nur sehr begrenzt. Denn wer vor der Regelaltersgrenze in Rente geht, durfte nur 6.300 Euro im Jahr hinzuverdienen (also ca. 525 Euro im Monat), ohne dass die Rente gekürzt wurde. Bei höheren Verdiensten erfolgte eine Verrechnung mit der Rente – sie wurde also gekürzt.
Höhere Hinzuverdienstgrenzen seit 2020
Wegen der Corona-Pandemie trat im März 2020 eine Neuregelung für Frührentner in Kraft: Für sie galt im Jahr 2020 eine neue Hinzuverdienstgrenze. Statt 6.300 Euro im Jahr durften Flexirentner nun 44.590 Euro im Jahr hinzuverdienen, ohne dass die Rente gekürzt wird.
Ziel war es, bereits in Rente befindliche Fachkräfte, vor allem in systemrelevanten Berufen, leichter rekrutieren zu können. Die höhere Hinzuverdienstgrenze galt aber nicht nur für Berufe wie Pflegepersonal oder Fachkräfte im Handel. Sie erlaubte auch vielen anderen Rentnern ungeahnte Einkommensmöglichkeiten. Wer im Jahr 2020 in seinen alten Job zurückkehrte oder anderswo arbeiten konnte, der konnte einerseits bis zu 44.590 Euro im Jahr oder 3.715 Euro brutto im Monat verdienen und zugleich weiter die volle Rente beziehen.
Auch für 2021 ermöglichte der Gesetzgeber Frührentnern einen höheren Hinzuverdienst, nun sogar bis zu 46.060 Euro im Jahr, ohne dass die Rente gekürzt wird. Das entspricht einem Monatsverdienst von 3.838,33 Euro brutto. Diese Hinzuverdienstgrenze gilt inzwischen auch für das Jahr 2022. Beschlossen wurde die Regelung im neuen Infektionsschutz, das seit 24.11.2021 gilt.
Rentenexperten begrüßen die Entwicklung
Thomas Neumann, Präsident vom Bundesverband der Rentenberater, begrüßt diese Entscheidung, die auch auf Betreiben seines Verbandes ins neue Gesetz kam. Die bisherigen Erfahrungen mit den höheren Verdienstmöglichkeiten für Frührentner seien durchweg positiv: "Wir hatten in den letzten zwei Jahren geradezu eine 'Verzigfachung' der Beratungen zu diesem Thema. Die Menschen nehmen das gut an. Wenn man bedenkt, dass unter die Hinzuverdienstgrenze Arbeitnehmer fallen, die den Durchschnittsverdienst aller Beschäftigten bekommen und somit voll arbeiten und gleichzeitig Rente beziehen können, dann ist das schon ein beachtliches Einkommensplus."
Christian Lindner, Rentenberater aus Langebrück bei Dresden, kann diese Entwicklung bestätigen. Seit Einführung der erhöhten Hinzuverdienstgrenze Ende März 2020 habe er zum Thema Flexirente einen kontinuierlich hohen Beratungsbedarf, auch gerade jetzt zum Jahresende 2021: "Derzeit haben wir vielen Anfragen von Menschen, die schon seit einiger Zeit ihren Renteneintritt für das kommende Jahr planen, aber bis vor kurzem vor der Unsicherheit standen, wie es mit der ursprünglich bis zum 31.12.2021 befristeten Erhöhung der Hinzuverdienstgrenze weitergeht. Nachdem der Bundesrat am 19. November die erhöhte Hinzuverdienstgrenze bis Ende 2022 verlängert hat, geht es für diese Versicherten nun darum, ihre Pläne für den Renteneintritt an die aktuelle Rechtslage anzupassen."
Wie viele Frührentner genau seit 2020 die neuen Verdienstmöglichkeiten nutzen, ist indes unbekannt. Eine Sprecherin der Deutschen Rentenversicherung Bund erklärte auf MDR-Anfrage, die Zahlen würden frühestens im Januar 2022 vorliegen.
Will die Ampelkoalition höheren Hinzuverdienst beibehalten?
Möglicherweise zeichnet sich eine langfristige Lösung über das Jahr 2022 hinaus ab. Im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien von SPD, Grüne und FDP heißt es: "Die Flexi-Rente wollen wir durch bessere Beratung in ihrer Bekanntheit verbreitern und die Regelung zum Hinzuverdienst bei vorzeitigem Rentenbezug entfristen." Thomas Neumann vom Bundesverbandes der Rentenberater e.V. erklärt dazu: "Entfristen bedeutet für uns eindeutig, dass die neue Regierung die höhere Hinzuverdienstgrenze fortführen will. Alles andere macht keinen Sinn."
Möglicherweise will die Ampelkoalition mit diesem Instrument ältere Mitarbeiter in den Unternehmen halten. Ein Modell, um den Fachkräftemangel zu lindern? So sieht es jedenfalls der Leipziger Rentenexperte Frank Parche: "Dass die Hinzuverdienstgrenze nunmehr das dritte Jahr in Folge so hoch ist, zeugt aus meiner Sicht vom Willen des Gesetzgebers, die Babyboomergeneration, welche ja mittlerweile zu den rentennahen Jahrgängen gehört, Im Erwerbsleben zu halten. Aus der Corona bedingten Notlösung wird sukzessive eine Dauerlösung." Außerdem sieht er das Modell als eine große Win-Win-Situation: "Ich sehe hier nur Gewinner. Die Unternehmen halten ihre Fachkräfte: Die Arbeitnehmer haben mehr Geld zur Verfügung, was wiederum die Kaufkraft stärkt. Der Staat profitiert durch mehr Steuereinnahmen und sogar die Rentenversicherung profitiert durch zusätzliche Beitragseinnahmen."
Wer profitiert?
Zunächst alle Frührentner, die aktuell einer Erwerbstätigkeit nachgehen! Wer also schon im Jahr 2021 als Flexirentner berufstätig war, darf im Jahr 2022 46.060 Euro hinzuverdienen und behält dennoch die volle Rente. Wer mehr verdient, muss zwar mit einer Kürzung der Rente rechnen, diese fällt in der Regel so aus, so dass sich das Modell Flexirente und Arbeit dennoch rechnet.
Von der Regelung profitieren auch ältere Arbeitnehmer, die noch gar nicht in Rente sind. Sie gehen weiterhin ihrer beruflichen Tätigkeit nach, können aber gleichzeitig ihre Rente beantragen und erhalten dann beides: Arbeitslohn und Rente.
Nach den Erfahrungen von Rentenberater Christian Lindner würden Versicherte zwar die Gestaltungsmöglichkeiten bei der Flexirente in ihrer ganzen Breite nutzen, aber: "Insgesamt ist es nach unserem Eindruck so, dass nur vergleichsweise wenige Menschen ihre Arbeitszeit sehr stark reduzieren. Etliche arbeiten zwar nicht mehr in Vollzeit weiter, gehen jedoch Teilzeitbeschäftigungen mit recht hohem Stundenniveau, also 30 bis 35 Wochenstunden, nach. Trotz Arbeitszeitreduzierung erzielen diese Menschen durch den hinzutretenden Rentenbezug, selbst wenn das nur in Form einer Teilrente geschieht, in der Regel ein deutlich höheres Gesamteinkommen." Allerdings, so Lindner, lohne sich das Modell für Versicherte nicht, die ein so hohes Einkommen beziehen, dass durch die Hinzuverdienstanrechnung der Rentenanspruch komplett erlischt.
Für Landwirte, die in der AdL, der Altersversicherung der Landwirte, rentenversichert sind, gilt für 2022 übrigens gar keine Hinzuverdienstgrenze.
Frührente 2022: Beispiel Durchschnittsverdiener
Nehmen wir als fiktives Beispiel einen Durchschnittsverdiener. Peter Müller ist Elektromonteur in einem großen Industrieunternehmen. Schon seit einigen Jahren ist er kaum noch auf Baustellen unterwegs, sondern hat im Unternehmen Verwaltungsaufgaben übernommen und kümmert sich um die Ausbildung des Nachwuchses. Sein Einkommen liegt genau im ostdeutschen Durchschnitt von jährlich 39.338 Euro bzw. 3.278 Euro monatlich. Peter Müller ist Jahrgang 1958, wird im Januar 64 Jahre alt. Der Job macht ihm noch immer Spaß macht und er fühlt sich fit, weshalb er eigentlich bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter (bei ihm 66 Jahre) "durchziehen" will.
Da er bereits 45 Versicherungsjahre (mit Durchschnittsverdienst) aufweisen kann und damit als besonders langjährig versichert gilt, könnte er schon im Januar 2022 mit 64 Jahren ohne Abschläge in Rente gehen. Seine Rentenprognose nach 45 Versicherungsjahren liegt bei 1.506 Euro brutto pro Monat.
Nun macht Peter Müller folgendes: Er beantragt seine Rente, bezieht diese ab Januar 2022 und geht weiter wie bisher arbeiten. Zu seinem Lohn von 3.278 Euro im Monat kommt nun seine Rente von 1.506 Euro hinzu. Eine Verrechnung der Rente mit seinem Arbeitsverdienst erfolgt nicht. So kommt er auf ein Gesamteinkommen pro Monat von 4.784 Euro und damit auf ein Plus von 45,95 Prozent.
Tipp: 99-Prozent-Rente
Thomas Neumann vom Bundesverband der Rentenberater empfiehlt Rentnern, die mit Frührente weiterhin arbeiten wollen, nicht die volle Rente zu beantragen, sondern nur eine 99-Prozent-Rente.
Hintergrund: Eine Rente, die zu 100 Prozent ausgezahlt wird, gilt als Vollrente und mit dieser gibt es bei gleichzeitiger Berufstätigkeit kein Krankengeld von der Krankenkasse, sollte der Beschäftigte über die Dauer der Lohnfortzahlung des Arbeitgebers hinaus (in der Regel sechs Wochen) krank sein. "Eine 99-Prozent-Rente gilt als Teilrente und bei Teilrenten müssen Krankenkassen Krankengeld zahlen", so Thomas Neumann.
Nachteilig könnte eine Vollrente auch bei einer möglichen Zahlung von Kurzarbeitergeld sein.
In unserer Beispielrechnung müsste Peter Müller also auf ein Prozent seiner Rente verzichten, macht bei 1.506 Euro also 1.490,94 (15,06 Euro weniger), so dass er mit dem Arbeitseinkommen auf insgesamt 4.768,94 Euro kommt, was immer noch einem Einkommenszuwachs von 45,5 Prozent entspräche.
Bei Bedarf, z.B. wenn Peter Müller die Regelaltersgrenze erreicht oder er doch früher aus dem Arbeitsleben ausscheiden will, kann er jederzeit die Vollrente von 100 Prozent beziehen.
Extra-Plus für die Rente
Kleiner Nebeneffekt: Während der Weiterbeschäftigung zahlt Peter Müller weiterhin Beiträge in die Rentenkasse ein, die bei zwei Jahren Durchschnittsverdienst insgesamt zwei Entgeltpunkte bringen. Diese werden dann bei Erreichen der Regelaltersgrenze ab dem Folgemonat auf die bisherige Rente oben draufgelegt. Peter Müller kann also in diesen zwei Jahren nicht nur sein laufendes Einkommen deutlich erhöhen, sondern gleichzeitig auch seinen Rentenanspruch nach Erreichen der Regelaltersgrenze steigern. Legt man den aktuellen Rentenwert zugrunde, dann würden die zwei Jahre Arbeit bei Durchschnittsverdienst monatlich etwa 67 Euro zusätzlich bringen.
Aus Rente mit 63 wird Rente mit 64
Wegen des demografischen Wandels hat der Gesetzgeber schon vor einigen Jahren das gesetzliche Rentenalter auf 67 Jahre angehoben. Wer allerdings genügend Versicherungsjahre aufweisen kann, kann auch früher in Rente gehen. Dann allerdings mit Abschlägen von der Rente in Höhe von 0,3 Prozent pro Monat vorgezogenen Rentenbeginn. Bekannt ist der Begriff Rente mit 63. Da sich auch für diese sogenannten Frührentner die Altersgrenze verschieben, wird ab 2022 aus der Rente mit 63 die Rente mit 64. Und die wird nun für die Geburtsjahrgänge 1958 interessant.
Worauf muss man achten?
Nach den Vorschriften des Rentenrechts wirkt sich der Renteneintritt ausdrücklich nicht auf das bestehende Beschäftigungsverhältnis aus. Rentenberater Christian Lindner weist aber darauf hin, dass durch arbeitsvertragliche oder tarifvertragliche Vereinbarungen aber durchaus abweichende Regelungen gelten können: "Es ist daher sinnvoll, den gleitenden Übergang in die Rente neben der zunächst noch fortgesetzten Berufstätigkeit mit dem Arbeitgeber frühzeitig abzustimmen."
Wer noch keine Rente beantragt hat, sollte zunächst prüfen, wie lange er bisher rentenversichert ist. Bei 45 Versicherungsjahren fallen bei frühzeitigem Rentenbeginn keine Abschläge an, bei weniger als 45 Jahren durchaus. Für jeden Monat, der vor dem gesetzlichen Renteneintritt Rente bezogen wird, wird diese um 0,3 Prozent gekürzt, bei einem Jahr vorzeitigem Rentenbeginn also 3,6 Prozent. Ein Abzug, der dann auch noch für die gesamte Rentenlaufzeit gilt.
Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung fallen nur auf das Arbeitseinkommen an. Auf die höheren Einkünfte, nämlich Rente plus Arbeitseinkommen, sind aber in jedem Fall Krankenkassenbeiträge und Steuern fällig. Gerade die höheren Steuern sollte man im Blick haben, denn der Arbeitgeber führt nur die Lohnsteuer auf den Arbeitsverdienst ab und die Rentenversicherung überweist dem Finanzamt gar keine Steuern. Die muss man dann im Zuge der Jahressteuererklärung zahlen. "Unterm Strich", so Thomas Neumann vom Bundesverband der Rentenberater, "bleibt den Betroffenen dennoch ein hübsches Einkommensplus, das sich lohnt."
Tipp: Zur Rentengestaltung beraten lassen!
Betroffene sollten sich vorab beraten lassen, bei Gewerkschaften, Sozialverbänden oder auch bei den zugelassenen Rentenberatern. "Aufgrund der kaum zu übersehenden Vielzahl rentenrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten für die Flexirente ist es empfehlenswert, unabhängigen fachlichen Rat einzuholen, um die für jeden Einfall passendste Variante für den Renteneintritt herauszuarbeiten. Zur Klärung eventueller steuerrechtlicher Fragen kann es zweckmäßig sein, die Hilfe einer Steuerberaterin oder eines Steuerberaters in Anspruch zu nehmen", so Rentenberater Christian Lindner.
Quelle: MDR-Wirtschaftsredaktion
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Expertenrat | 16. November 2021 | 18:00 Uhr