Ab 1. Juli Mehr Geld für Rentner: Wer bekommt wie viel mehr?

30. Juni 2022, 17:43 Uhr

"Rentenanpassungs- und Erwerbsminderungsrenten-Bestandsverbesserungsgesetz" – dieses Wortungetüm bringt Millionen Rentnern mehr Geld. Zunächst mit der jährlichen Rentenerhöhung im Juli diesen Jahres und zusätzlich ein Jahr später für bestimmte Bezieher einer Erwerbsminderungsrente. Frank Frenzel mit einem Überblick zu den bevorstehenden Rentensteigerungen.

Hohe Rentenerhöhung zum Juli 2022

Das neue Gesetz, das am 3. Juni den Bundestag passiert hat, bringt ein sattes Plus für alle Rentner, egal ob es sich um Früh- oder Altersrenten, Witwen-, Waisen oder Erwerbsminderungsrenten handelt. Im Westen steigen die Renten um 5,35%, im Osten sogar um 6,12%. Ein Rentner aus den neuen Bundesländern mit einer Monatsrente von 1.000 Euro brutto bekommt demnach also 61,20 Euro mehr. Für einen sogenannten Standardrentner mit 45 Jahren Durchschnittsverdienst steigt die Rente von 1.506,15 Euro auf 1.598,40 Euro, ein Plus also von 92,25 Euro brutto.

Warum ist die Steigerung diesmal so hoch?

Für die Rentenerhöhung zählt immer die Entwicklung des Vorjahres. 2022 kommt es darauf an, wie sich die Löhne 2021 gegenüber 2020 entwickelt haben. Und 2021 stiegen die Löhne stark an, weil 2020 infolge Corona Kurzarbeit weit verbreitet war und deshalb viele Arbeitnehmer weniger verdienten. 2021 wurde Kurzarbeit meist wieder durch voll beitragspflichtige Beschäftigung ersetzt – was eben zu höheren Löhnen und damit auch höheren Beitragseinnahmen für die Rentenversicherung führte.

Warum steigt die Rente im Osten mehr?

Das ist gesetzlich geregelt. Ab Juli 2024 soll die Rentenangleichung Ost-West endlich vollzogen sein – über 33 Jahre nach der Wiedervereinigung. Dann werden die Renten in ganz Deutschland einheitlich berechnet. Bis dahin ist der aktuelle Rentenwert in den neuen Ländern noch etwas niedriger als im Westen. Und bis dahin soll der aktuelle Rentenwert Ost im Vergleich zum Wert im Westen jedes Jahr um mindestens 0,7 Prozentpunkte stärker steigen.

Mehr Geld für Erwerbsminderungsrentner – aber ein Jahr später

Zusätzlich zu den jährlichen Rentenerhöhungen gibt es auch für bestimmte Erwerbsminderungsrentner ein Extra-Plus, allerdings erst ab dem 1. Juli 2024. Die Erhöhung betrifft Erwerbsminderungsrenten im Bestand, wie es im "Fachchinesisch" heißt, die zwischen Januar 2001 und 2019 starteten. Verbessert werden sollen auch Alters- und Hinterbliebenenrenten, die sich direkt an eine Rente wegen Erwerbsminderung anschließen und ebenfalls zwischen 2001 und 2019 begannen. Laut Sozialverband VdK würden von der neuen Regelung rund drei Millionen Menschen profitieren.

VdK-Präsidentin Verena Bentele befürwortet die pauschalen Zuschläge, kritisiert aber ihre Höhe und den späten Start: "Der Sozialverband VdK begrüßt es ausdrücklich, dass die Regierung endlich die Erwerbsminderungsrenten für jene anhebt, die zwischen 2001 und 2019 in Rente gegangen sind und deswegen bislang von den Verbesserungen ab 2019 nicht profitiert haben. Dafür hat der VdK lange gekämpft."

Konkret sollen die Renten nach einem pauschalen Verfahren in zwei Kategorien erhöht werden: Ein Zuschlag von 7,5 Prozent ist für all jene vorgesehen, die zwischen 1. Januar 2001 bis 30. Juni 2014 erwerbsgemindert wurden.

Wer bislang etwa 800 Euro brutto erhielt, bekommt künftig 60 Euro brutto mehr, so der VdK. Alle, die zwischen 1. Juli 2014 bis 31. Dezember 2018 erstmals EM-Rente bezogen, erhalten 4,5 Prozent mehr, also bei einer Rente von 800 Euro 36 Euro zusätzlich. Voraussetzung für den Zuschlag ist allerdings, dass die Erwerbsminderungsrente zwischen 1. Januar 2001 und 31. Dezember 2018 begonnen und der Rentenanspruch auch bis zum 30. Juni 2024 ununterbrochen bestanden hat.

Die Einführung des Zuschlags beziffert der Gesetzgeber mit Mehrausgaben in Höhe von jährlich bis zu 2,6 Milliarden Euro.

+++ Wie funktioniert eine Erwerbsminderungsrente? +++ (bitte aufklappen)

Wer rentenversicherungspflichtig arbeitet und Lohn oder Gehalt bezieht, der erwirbt mit seinen Rentenbeiträgen Ansprüche für seine spätere Rente, sogenannte Entgeltpunkte. Die im Laufe des Berufslebens erworbenen Entgeltpunkte werden bei Rentenbeginn mit dem jeweils gültigen Rentenwert multipliziert, was dann die Monatsrente (brutto) ergibt. 

Wer jedoch aus gesundheitlichen Gründen gar nicht mehr arbeiten kann, hat Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente (EM-Rente). Wenn ein Arbeitnehmer krankheitsbedingt vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheidet, kann er natürlich bis zum eigentlich Beginn der Altersrente keine weiteren Rentenansprüche (Entgeltpunkte) erwirtschaften. Wichtig für die Berechnung der Erwerbsminderungsrenten ist deshalb die sogenannte Zurechnungszeit. Mit dieser Zurechnungszeit wird unterstellt, dass der Erwerbsminderungsrentner bis zu einem bestimmten Zeitpunkt noch gearbeitet und damit auch Rentenansprüche (Entgeltpunkte) erzielt hätte. Durch die Zurechnungszeit erhält der Rentner also Entgeltpunkte, durch die die persönlichen Entgeltpunkte und damit auch die Rente erhöht werden.

In der Vergangenheit hat der Gesetzgeber mehrmals Änderungen an der Zurechnungszeit vorgenommen:

  • Rentenbeginn ab Januar 2001: Zurechnung bis zum vollendeten 60. Lebensjahr.
  • Rentenbeginn ab Juli 2014: Zurechnung bis zum vollendeten 62. Lebensjahr.
  • Rentenbeginn ab Januar 2018: Zurechnung bis zum vollendeten 62. Lebensjahr + 3 Monate.
  • Rentenbeginn ab 2019: Zurechnung bis zum vollendeten 65. Lebensjahr + 8 Monate.
  • Rentenbeginn ab 2020 bis 2030: Zurechnungszeit wird schrittweise bis zum vollendeten 67. Lebensjahr verlängert.


Wichtig: Es gilt nicht das individuelle Renteneintrittsalter, sondern das im Jahr des Beginns der Erwerbsminderungsrente maßgebliche Renteneintrittsalter. – Beispiel: Ein heute 40-jähriger Mann müsste bis 67 Jahre arbeiten. Wegen einer schweren Krankheit bekommt er 2022 eine EM-Rente. Das Renteneintrittsalter liegt 2022 bei 65 Jahren plus elf Monaten. Der Mann wird bei der EM-Rente so gestellt, als würde er bis knapp 66 arbeiten.

Zuschlag ab Juli 2024 nicht nur für Erwerbsminderungsrentner

Die Verbesserungen bei den Erwerbsminderungsrenten werden nicht nur für Versicherte umgesetzt, die am 30. Juni 2024 auch tatsächlich eine Erwerbsminderungsrente beziehen. Auch Altersrentner, Bezieher einer Hinterbliebenenrente und einer Erziehungsrente können in den Genuss der Verbesserungen kommen.

Kritik: Zuschlag zu spät und zu gering

Dass die neue Regelung für Erwerbsminderungsrentner erst in zwei Jahren gilt, nämlich ab dem 1. Juli 2024, kritisieren Sozialverbände und private Rentenberater. Christian Lindner, Rentenberater aus Dresden-Langebrück, hält den Vorbereitungszeitung zur Umsetzung des neuen Gesetzes, den der Gesetzgeber den Rentenkassen einräumt, für überzogen: "Wir reden hier von ca. drei Millionen Betroffenen. In einem vergleichbaren Fall, nämlich bei der Mütterrente, ging es auch um Rentenzuschläge und die betrafen neun Millionen Rentnerinnen. Und in diesem Fall konnten die Rentenkassen die Gelder viel schneller auszahlen."

Kritik kommt auch vom VdK. "Der Zuschlag ist zu niedrig, er müsste doppelt so hoch sein. Dass die Anhebung erst ab 1. Juli 2024 greifen soll, kommt zudem viel zu spät. Viele dieser EM-Rentner leiden aktuell ganz besonders unter den immensen Preissteigerungen und wissen nicht, wie sie diese stemmen sollen. Der VdK fordert deshalb, dass die Verbesserungen so schnell wie möglich kommen“, so VdK-Präsidentin Verena Bentele.

MDR-Wirtschaftsredaktion

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 03. Juni 2022 | 19:30 Uhr

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