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"Nun reiß dich mal zusammen", ist ein Satz, der nicht fallen sollte. Bildrechte: imago images/YAY Images

PsychologieWas tun bei Angst: Wenn Krieg und Pandemie unserer Psyche zusetzen

03. März 2022, 09:53 Uhr

Es ist Krieg in Europa. Die Kriegsangst trifft uns in einer Zeit, in der die psychische Gesundheit vieler Menschen durch zwei Jahre Corona-Pandemie ohnehin geschwächt ist. Was sollten Sie über diese Kriegsangst wissen? Und was lässt sich dagegen tun? Die Psychologin und Verhaltenstherapeutin Prof. Dr. Heide Glaesmer von der Uniklinik Leipzig gibt Ratschläge, wie wir mit der Kriegsangst besser umgehen können.

Für viele Jahrzehnte unvorstellbar, sehen wir nun jeden Tag die Bilder in den Nachrichten: Bombenangriffe, Familien auf der Flucht, Leid, Zerstörung. Bei älteren Menschen kommen vielleicht längst vergessene Traumata aus der Vergangenheit dazu.

Warum empfinden Menschen diese Angst?

"Dieser Krieg ist in räumlicher Nähe, in Europa. Diese räumliche Nähe führt dazu, dass die Bilder und Nachrichten aus der Ukraine in direkten Bezug zum eigenen Leben gesetzt werden", sagte die Psychologin Prof. Dr. Heide Glaesmer von der Uniklinik Leipzig dem MDR. Viele Menschen würden darüber nachdenken, welche Einflüsse der Krieg auf das eigene Leben haben könnte. 'Was passiert mit den Energiepreisen? Wie viele Geflüchtete werden zu uns kommen', diese Fragen seien derartige Belastungen.

Besonders empathische Menschen seien laut der Psychologin derzeit psychisch angeschlagen. Sie sehen die Bilder und leiden mit den Menschen in der Ukraine mit: Zum Beispiel Mütter, die sich vorstellen, dass die flüchtenden Kinder aus der Ukraine ihre Kinder sein könnten.

Was lösen Traumata aus dem Zweiten Weltkrieg aus?

Gerade die Flucht ist ein Szenario, welches viele Ältere selbst noch erlebt haben: Menschen über 80 Jahre, die sich in diesen Tagen an den Zweiten Weltkrieg erinnert fühlen, an die Luftschutzbunker, an Zerstörung, Leid und Tod. "Für Menschen, die in ihrem Leben bereits einen Krieg erlebt haben, also auch Bundeswehrsoldaten oder Geflüchtete aus anderen Ländern, ist das besonders schwer", erklärt die Psychologin.

Es könne sein, dass die Bilder aus der Ukraine bei diesen Menschen zu einer Reaktivierung der traumatischen Erinnerungen führen. Traumata könnten somit wieder aktiviert werden, denn die Verarbeitung des traumatischen Ereignisses in biografisches Gedächtnis funktioniere nicht, sei also ständig aktiv und werde immer wieder erlebt.

Wie Mediennutzung die Kriegsangst verstärken kann?

Kriegsangst führt oft zu irrationalem Verhalten, wie exzessiver Mediennutzung, das übermäßige Bunkern von Lebensmittel und zum Beispiel Jod-Tabletten. Gerade die Mediennutzung wird dabei zu einem großen Problem. Die Psychologin empfiehlt, sich dabei stark einzuschränken, da sonst das Stresslevel im Körper auf einem Dauerhoch sei. "Einmal Nachrichten am Tag sind vollständig ausreichend".

Welche konkreten Tipps helfen gegen die Angst?

Sie empfiehlt aktiv zu helfen, zum Beispiel Spenden zu organisieren oder bei der Organisation von Spendentransporten zu helfen. Vor allem aktiv zu werden, statt sich passiv den Ängsten hinzugeben. Viele Menschen fragen sich derzeit, wie sie anderen helfen können – etwa den Eltern oder Großeltern, die Kriegserfahrungen gemachten haben. Reden hilft, das passt auch hier, sagt Psychologin Heide Glaesmer.

Miteinander reden kann Betroffenen sehr helfen. Bildrechte: dpa

Viele Menschen haben zeit ihres Lebens nie über ihre Traumata gesprochen. Sie direkt darauf anzusprechen, Erlebnisse zu erfragen, Interesse und Anteilnahme zu zeigen, kann bei der Bewältigung von Ängsten sehr hilfreich sein. Aber auch das klassische "Ablenken" hilft, gemeinsame Aktivitäten, Zeit miteinander verbringen. Bei starken Ängsten könne es aber auch hilfreich sein, mit dem Hausarzt zu sprechen oder sich an eine Angstambulanz zu wenden. "'Nun reiß dich mal zusammen' ist ein Satz, der nicht fallen sollte. Das Ernstnehmen der Kriegsangst ist das Wichtigste", weiß Glaesmer.

Bildrechte: MDR / Jens Gerber

Unsere ExpertinProf. Dr. Heide Glaesmer ist Psychologin und Verhaltenstherapeutin an der Uniklinik Leipzig, Sie forscht zum Thema "Traumatische Erfahrungen und posttraumatische Belastungsstörungen".

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Quelle: MDR um 4

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR um 4 | 02. März 2022 | 17:00 Uhr