Neues Krankheitsbild Achtsam sein: Burn-on ist die Vorstufe von Burn-out
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Arbeitsüberlastung, Termindruck, familiäre Belastungen und eine enorme Komplexität im Arbeitsalltag - all das kann zum sogenannten Burn-out-Syndrom führen. Inzwischen wissen wir, wie gefährlich dieser Zustand sein kann. Nun haben Mediziner aber eine neuartige Störung entdeckt. Sie nennt sich Burn-on und ist sozusagen eine Vorstufe des Burn-outs. Timo Schiele hat gemeinsam mit Bert te Wildt ein Buch darüber geschrieben. Schiele ist psychologischer Psychotherapeut an der Psychosomatischen Klinik Kloster Dießen und kann das neue Krankheitsbild erklären.

Was ist ein Burn-on und wie entsteht er?
Timo Schiele: Den Burn-out kennen alle, der ist für viele so eine Art negative Spirale aus Überarbeitung, immer weiter abnehmender Leistungsfähigkeit und eigentlich dem Versuch, durch ein Mehr an Arbeit das wieder ein Stück weit zu kompensieren.
Im Gegensatz dazu passiert dieser Prozess beim Burn-on in der Form nicht. Wir haben eher den Eindruck, dass wir da eine chronische Form einer Erschöpfungsdepression erleben und die Menschen eigentlich innerlich ausgehöhlt werden, weiter funktionieren, weitermachen und eigentlich versuchen, die Belastungsgrenze immer weiter nach oben zu verschieben. Der Moment, wo sie merken, Hoppla, so kann es nicht weitergehen, ich schaffe es nicht mehr, ich bin so erschöpft, dass nichts mehr geht, der fehlt. Es fehlt das klare Zeichen, das mit körperlichen, aber auch eben seelischen Belastungsfaktoren auf Dauer assoziiert wird und dann zum Problem wird.
Was macht Burn-on mit unserem Körper? Was ist das Gefährliche daran?
Das Gefährliche ist, dass die Menschen nahezu alle Lebensbereiche einem Arbeitsmodus unterwerfen, um das Ganze aufrecht zu erhalten. Es funktioniert eigentlich kaum anders mehr, als alles dem Diktat der Effizienz zu unterwerfen. Also man muss noch, wie man es in der Arbeit vielleicht kennt, bestimmte E-Mails beantworten, bestimmte Projekte und Aufträge fertigmachen.
Die Betroffenen müssen auch noch Freunde anrufen, sie müssen noch ein Geburtstagsgeschenk kaufen. Auch die Dinge, die schön sind, die vielleicht an mancher Stelle auch ein Gegengewicht zu ganz normalen und natürlichen Belastungen sein können, werden immer mehr in so einer Art Arbeitsmodus bewältigt. Und das gerade noch so.
Der Begriff, der einem spontan dazu einfällt, wäre Workaholic. Trifft das zu oder ist Workaholic zu einfach ausgedrückt?
Es finden sich durchaus Überschneidungen zum Workaholic. Der Workaholic, der die Arbeit fast wie eine Sucht erlebt und nicht anders kann, als zu arbeiten. Wir merken aber, dass das, was wir im Burn-on beschreiben, etwas ist, was sich dann nicht nur auf die Arbeitswelt bezieht.
Wen trifft vor allem dieses Burn-on?
Wir sind dabei, das genau herauszufinden. Das interessiert uns sehr und wir haben bisher, basierend auf unseren Erfahrungen in der Klinik, den Eindruck, dass es einerseits Menschen sind, die besonders verantwortungsbewusst und verausgabungsbereit sind. Es sind Menschen, die einen hohen Leistungsanspruch an sich haben und möglicherweise in ihrer Kindheit und Jugend häufig nicht wirklich gelernt haben, sich auch an verschiedenen Stellen abzugrenzen und zu merken, ok, was muss ich denn tun, dass ich bestimmte Lebensbereiche nicht wie im Arbeitsmodus lebe? Durch vermehrtes Homeoffice beispielsweise ist es ja durchaus so, dass die Abgrenzung der Arbeit gegenüber dem Privaten immer schwieriger wird, ein Faktor, der Burn-on zu begünstigen scheint.
Auf welche Weise therapieren Sie Menschen, die unter Burn-on leiden?
Wir haben den Eindruck, dass im ersten Schritt, das Schaffen eines Problembewusstseins ganz wichtig ist. Wir beobachten das an Menschen im Klinikalltag, die ein Stück weit aus immer wieder nachvollziehbaren Gründen möglichst schnell wieder die Alten werden wollen. Möglichst schnell wieder auf die effiziente, intensive Art und Weise arbeiten wollen. Sie merken aber, sie können das in irgendeiner Form nicht mehr so, dass sie es emotional auch erfüllt und erfreut. Im zweiten Schritt ist es ganz besonders wichtig auch das Entspannen, also das Kürzertreten, wieder zu lernen.
Es trifft häufiger Menschen, die unter einer hohen Anspannung leiden, die es nicht gewohnt sind, mal nichts zu tun. Dazu nutzen wir neben klassischen psychotherapeutischen Methoden beispielsweise gerade auch die vielzitierte Achtsamkeit, die ja, wenn man es ganz streng nimmt, im ersten Schritt zum Ziel hat, wahrzunehmen, was ist, ohne sofort in ein Bewerten und Verändern zu fallen. Der erste Schritt ist ein Innehalten und zu schauen, wo stimmt meine Lebensführung nicht mehr mit meinen Werten überein. Das sind ganz zentrale Elemente, besonders zu Beginn einer Behandlung.
Ihr Buch heißt "Burn-on - immer kurz vorm Burn-out". Was haben Sie ganz persönlich beim Schreiben dieses Buches und in der Beschäftigung mit dieser neuen Krankheit gelernt, auch für sich?
Wir haben beim Schreiben gemerkt, dass wir natürlich an manchen Stellen auch über uns schreiben. Ich glaube, dass uns das schon auch ein Stück weit zum Innehalten motiviert hat, um an manchen Stellen auch unsere Arbeitshaltung zu hinterfragen. Einerseits für uns selbst, aber auch für unsere Mitarbeiter und Kollegen. Um mit gutem Beispiel, wenn man so will, voranzugehen.
Quelle: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio/hs/in
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Der Tag | 14. Juni 2021 | 10:00 Uhr