Interview mit Mediziner Was macht Eisbaden so gesund?

Ein Eisbad kurbelt Durchblutung und Kreislauf an und stärkt das Immunsystem. Der Mediziner Dr. Stefan Hummel ist selber passionierter Eisbader. Er gibt Tipps, was es zu beachten gibt und für wen es nicht geeignet ist.

Männer und Frauen lachen und winken aus ihrer Eisbadestelle.
Fans des Eisbadens finden sich oft in Gruppen zusammen. Bildrechte: MDR/Matthias Wetzel

Sie sind selbst schon Jahrzehnte passionierter Eisbader. Warum ist das kalte Nass so gesund?

Dr. Stefan Hummel: Schon Hippokrates empfahl kalte Bäder mit nachfolgender Bewegung, weil sie zu einer Abhärtung führen und das Immunsystem stärken. Beim Eisbaden erleben wir eine anfangs schmerzhafte, später prickelnde Gefäßkontraktion der Haut, gefolgt von einer angenehmen Wärmewelle. Verantwortlich dafür sind eine Vielzahl von freigesetzten Wirkstoffen, darunter die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin. Sie kurbeln die Durchblutung an.

Im Körper geschieht dabei folgendes: Der Puls steigt an, der Blutdruck erhöht sich, um später unter den Ausgangswert abzufallen. Jeder Kaltwasserreiz löst, richtig dosiert, eine positive Stressreaktion aus, die zu sinnvollen und gesunden Gegenreaktionen führt. Die Wirkungen sind überzeugend: Infekte verlaufen deutlich milder, Bakterien und Viren werden erfolgreich bekämpft. Auch nervöse Störungen und Überhitzungen des Körpers werden durch Abkühlung normalisiert. Eine positive Wirkung auf Entzündungsvorgänge führt zudem langfristig zu einer Abnahme von rheumatischen Schmerzen und Entzündungen. Durch die Freisetzung von Glückshormonen können sogar Depressionen gemindert werden.

Jeder Kaltwasserreiz löst, richtig dosiert, eine positive Stressreaktion aus, die zu sinnvollen und gesunden Gegenreaktionen führt.

Dr. Stefan Hummel

Sie waren viele Jahre Arzt an der Kurklinik in Heiligendamm und haben Eisbaden als Therapie eingesetzt. Wogegen?

Dr. Stefan Hummel: In Heiligendamm gehörte das ärztlich überwachte Baden in der Ostsee in den kühlen Monaten Oktober bis Mai zum Reha-Programm, das von zehn Prozent aller Patienten genutzt wurde. Von 2010 bis 2020 badeten so über 2.000 Patienten im weniger als zehn Grad kalten Ostseewasser. Dabei untersuchten wir in der Ausatemluft (Atemwegskondensat) Stoffe, die im Vergleich zum warmen Patientenzimmer nach dem Winterbaden freigesetzt wurden.

Die signifikant erhöhte Freisetzung von Endorphinen (Glückshormonen) erklärt, dass 80 Prozent dieser Patienten mit psychosomatischen Beschwerden wie Burn Out und Depressionen diese Behandlungsform nutzten. In einer weiteren Pilotstudie mit 20 Asthma-bronchiale-Patienten konnte eine deutliche Verminderung der krankmachenden Atemwegsentzündung nachgewiesen werden: Wir sahen einen 30-prozentigen Abfall der Stickstoffmonoxide. Die heilende Wirkung von Kälte zur Bekämpfung von Schmerz und Entzündungen in Gelenken und Muskulatur ist zudem bereits aus der Rheumatologie bekannt und wird in Kältekammerbehandlungen genutzt.

Wer sich davon nun überzeugt fühlt: Wie kann ich mich auf das Eisbaden vorbereiten?

Dr. Stefan Hummel: Man sollte das Eisbaden langsam aufbauen und zunächst mit Wechselduschen und regelmäßigen Saunaanwendungen beginnen. Ideal wäre es, im Sommer mit dem Baden in einem See zu beginnen und dies dann durch die Jahreszeiten bis in den Winter hinein fortzusetzen. Wer gleich mit dem Winterschwimmen beginnen möchte, sollte bedenken, dass kaltes Wasser – wie ein hochwirksames Medikament – sorgsam dosiert werden muss. Die russischen Ärzte Latyshev und Bokshej haben dafür eine Dosierungstabelle entwickelt.

Dosierungstabelle nach Latyshev und Bokshej (s = Sekunden; min = Minuten)
Wassertemperatur Anfänger Fortgeschrittener Trainierter
0°C 5 - 30 s 30 s - 1:15 min 3 - 5 min
5°C 10 - 25 s 45 s - 1:30 min 5 - 10 min
10°C 12 - 35 s 50 s - 2 min 8 - 16 min
15°C 15 - 55 s 1:15 - 4 min 17 - 30 min

Ein medizinischer Check-Up im Vorfeld ist jedoch in jedem Falle unabdingbar.

Gibt es Indikationen, bei denen Sie von einem Eisbad abraten würden?

Dr. Stefan Hummel: Eisbaden ist sehr intensiv und setzt einen stabilen Gesundheitszustand voraus. Gegenanzeigen für solche starken Kaltwasserreize sind alle instabilen und nicht ausreichend therapierten Gesundheitszustände wie:

  • labiler Blutdruck,
  • Durchblutungsstörungen des Herzens,
  • Zustand nach frischem Herzinfarkt, Kathetereingriffen und herzchirurgischen Maßnahmen (Frist: mindestens ein Jahr),
  • implantierte Herzschrittmacher und Defibrillatoren,
  • Verschlusskrankheiten der Arterien,
  • frische Thrombosen,
  • kälteallergische Erscheinungen,
  • Nierenkrankheiten,
  • Anfallsleiden,
  • akute Infekte.

Was ist beim Eisbaden zu beachten? Brauchen Ungeübte eine Aufsicht?

Dr. Stefan Hummel: Generell sollte Eisbaden bzw. Winterschwimmen bei geringer Wassertiefe betrieben werden. Der Kopf sollte in keinem Fall untergetaucht sein, die Ohren sind besonders zu schützen, am besten durch eine Mütze. Darüber hinaus sollte man nicht allein, sondern in Gruppen baden, sich vorher gründlich erwärmen und eine weitere Abkühlung im Anschluss vermeiden.

Wie oft sollte man ins kalte Wasser steigen, um optimale Effekte zu erzielen?

Dr. Stefan Hummel: Eine gesundheitsfördernde Wirkung tritt ein, wenn der Körper wiederholt trainiert wird. Das Minimum sind dabei ein bis zwei Anwendungen pro Woche.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Hauptsache Gesund | 24. Februar 2022 | 21:00 Uhr

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