Gesundheit Die digitale Couch - Apps für die Psychotherapie

Die Diagnose "Depression" hat seit 2005 um 76 Prozent zugenommen. Die Corona-Pandemie lässt diese Zahlen weiter steigen. Auf einen Platz bei einem Psychotherapeuten müssen Betroffene allerdings im Schnitt drei bis sechs Monate warten. Apps sollen die Wartezeit erleichtern. Doch können sie das gleiche leisten wie ein Therapeut? Das Computermagazin c't hat für Ausgabe 8/21 acht verschiedene, zum Teil rezeptpflichtige Apps analysiert. Wir fassen die Ergebnisse zusammen.

Ein Mann mit Munschutz schaut aus einem Fenster
Durch die Corona Situation befinden sich viele Menschen an ihrer psychischen Belastungsgrenze. Bildrechte: IMAGO / Science Photo Library

Zahlreiche Online-Angebote bieten Betroffenen auf unterschiedlichste Art und Weise Hilfe in schweren Lebenslagen. Manche davon sind sogar verschreibungspflichtig. Auch viele Krankenkassen bieten sogenannte Life-Balance-Programme gegen Stress und Abgeschlagenheit. Damit soll der Übergang zu Psychotherapieprogrammen fließender gestaltet werden. Oft können die Anwendungen den Betroffenen die Wartezeit bis zu einem Therapie-Termin erleichtern.

Online-Anwendungen ersetzen keine Therapie

Die Anwendungen werden durch die Krankenkassen unterstützt, da sie der Versorgungslücke entgegen wirken sollen. Im Normalfall beträgt die Wartezeit für einen Therapie-Termin durchschnittlich 19,9 Wochen. Durch die Corona-Maßnahmen hat sich der Bedarf allerdings verdreifacht. Daher sind die Übergangsmaßnahmen wichtiger denn je. Die Wirksamkeit der hier vorgestellten Anwendungen wurde in verschiedenen wissenschaftlichen Studien belegt.

Wer unter psychischen Beschwerden leidet, sollte in jedem Fall einen Psychotherapeuten kontaktieren. In besonders akuten Fällen steht auch die kostenlose Telefonseelsorge zur Verfügung.

Zugang und Datenschutz

Das Digitale-Versorgungs-Gesetz ist seit 2019 für den Zugang von Patienten zur sogenannten App auf Rezept verantwortlich. Seit Ende 2020 gibt es das erste zugelassene digitale Angebot.

Inzwischen haben die gesetzlich Krankenversicherten den Anspruch auf digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), die von Ärzten und Psychotherapeuten verschrieben werden können. Die Krankenkassen übernehmen dann Kosten für die Anwendungen.

Der Datenschutz wird in diesen Anwendungen groß geschrieben. Denn Therapiesuchende müssen sehr sensible, persönliche Daten übermitteln, um die Apps nutzen zu können. Daher werden die Digitalen Gesundheitsanwendungen vor der Zulassung vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte geprüft. Kriterien für die Prüfung sind neben dem Datenschutz auch Usability und die Überprüfung der versprochenen Leistungen.

So funktioniert Online-Psychotherapie

In der Regel beginnen die Web-Apps, die einer Depression vorbeugen sollen, mit einem Selbsttest. Die App fragt dabei klassische Alarmsignale für eine psychische Erkrankung ab. Im Anschluss wird der Nutzer in die Prinzipien der kognitiven Verhaltenstherapie eingewiesen. Mit dieser Methode sollen zum Beispiel Selbstüberforderung und negative Gedanken vermieden werden.

Im Schnitt dauern die Anwendungen sechs bis zwölf Wochen und enthalten verschiedenste Schwerpunkte, je nach Bedarf des Patienten.

Je nach Krankenkasse unterschiedliche Anwendungen

Je nachdem bei welcher Krankenkasse der Nutzer versichert ist, gibt es unterschiedliche Anwendungen, die zur Verfügung gestellt werden.

Versicherte bei der Techniker Krankenkasse nutzen zum Beispiel den TK-DepressionsCoach. AOK-Mitglieder nutzen Moodgym und Barmer-Versicherte können die HelloBetter-Anwendung des Get.On-Instituts nutzen. Die HelloBetter-Anwendung kann darüber hinaus auch von Versicherten anderer Krankenkassen genutzt werden.

Die Apps richten sich dabei in klassischer Weise an Menschen, die präventiv arbeiten wollen. Themen sind unter anderem Stress, Belastung durch die Corona-Situation, Schlafprobleme und chronische Schmerzen.

Je nachdem wie schwerwiegend die psychische Erkrankung ist, sind unterschiedliche Apps empfehlenswert. Die Web-Anwendung Moodgym ist zum Beispiel rezept- und kostenfrei nutzbar, soll aber auch nur niederschwellig Hilfe bieten. Sie wendet sich an Menschen, die nicht an einer klinisch manifesten Depression erkrankt sind. Es geht eher um leichtere, subklinische Beschwerden. Das Hauptaugenmerk ist also die Prävention. Dementsprechend ist die App auch nicht im DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte aufgenommen. Der Vorteil an der App: Sie ist anonym nutzbar.

Studien belegen Wirksamkeit

In anderen europäischen Ländern wie Schweden oder auch Großbritannien ist diese Art Ergänzungstherapie mittlerweile Alltag. Sowohl Universitäten als auch die Anbieter der Programme konnten in vielen Studien nachweisen, dass Online-Psycho-Therapie tatsächlich funktionieren kann. Sie gibt Betroffenen die Möglichkeit, unabhängig von einem Termin beim Psychologen etwas gegen ihr Problem zu tun.

Die Wirksamkeit der bereits erwähnte Anwendung HelloBetter wurde zum Beispiel in über 33 randomisiert-kontrollierten Studien überprüft. Genauso wurde auch die Wirksamkeit der Moodgym-Anwendung durch internationale Studien überprüft. Sie wurde außerdem von Wissenschaftlern des Centre for Mental Health Research des Australian National University entwickelt.

Weitere Anwendungsbereiche

Auch spezielle Apps, die bei Schlafstörungen helfen sollen, gibt es bereits auf dem Markt. Ob Meditation, Schlaftagebuch oder aktive Übungen - die Wirksamkeit ist zum Beispiel bei der App Somnio wissenschaftlich bestätigt: Über 50 Prozent der Probanden berichten von einem verringerten Schlafproblem nach einem Zeitraum von sechs Wochen.

Über die Vorbeugung und Unterstützung bei der Behandlung von Depressionen sind weitere Anwendungen von verschiedensten Anbietern geplant, die bei weiteren psychischen Krankheiten, wie zum Beispiel Angst- und Essstörungen, helfen sollen.

Auch therapiebegleitende Apps können nachweislich den Prozess der Heilung verbessern. Auch hier gibt es unterschiedliche Anwendungsmöglichkeiten, die in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Arzt oder Therapeuten verwendet werden können.

Vorteile der Online-Psychotherapie

Am wichtigsten für viele Betroffene: Sie können sofort loslegen. Viele scheuen auch den Gang zum Arzt oder Psychologen. Sie können in einem Programm ganz anonym arbeiten, ohne peinliche Fragen, die sie "live" beantworten müssen. Und sie können jederzeit und von jedem Ort aus auf ein Programm zugreifen. Außerdem werden die Nutzer, anders als zum Beispiel bei Fachliteratur, aktiv angeleitet ihre Probleme zu lösen. Patienten, deren Psychotherapeuten über sechs Wochen im Sommer die Praxis schließen, haben so einen Anker, mit dem sie die Zeit überbrücken können.

Nachteile

Die Anwendungen können nur bedingt auf die persönlichen Bedürfnisse der NutzerInnen eingehen. Dazu ist immer ein Therapeut notwendig. Die Anwendungen lassen sich also irgendwo zwischen psychologischer Ratgeberliteratur und einer Psychotherapie ansiedeln.

Fazit

Interessierte sollten sich mit ihrem Anliegen an ihren Hausarzt wenden. In Kooperation mit der Krankenkasse lässt sich dann herausfinden, ob und welche Anwendung für den oder die Betroffene sinnvoll ist. Präventiv gibt es zahlreiche Anwendungen, die kostenfrei genutzt werden können.


Was diese Angebote nicht leisten können: Sollten Sie unter schweren Depressionen, schweren Angstzusänden, Selbstmordgedanken oder anderen Problemen leiden, die ein sofortiges Handeln erfordern, müssen Sie zwingend mit einem Arzt sprechen. Auch gibt es für solche Notfälle keinerlei Wartezeit. Im Ernstfall reicht ein Anruf unter der 112 oder am Sorgentelefon (0800/111 0 222), und Sie bekommen sofort Hilfe.

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Vormittag mit Haase und Waage | 13. April 2021 | 05:29 Uhr