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Der Redakteur | 30.05.2022Wie nützlich sind Zecken und andere Parasiten wirklich?

30. Mai 2022, 19:14 Uhr

Der Sommer steht in den Startlöchern und damit auch die Zecken-Saison. Dieter Berger aus Gera findet die Spinnentierchen lästig und fragt sich: Welchen Sinn haben eigentlich Zecken und andere Parasiten?

Zecken - ein Erfolgsmodell der Evolution

Der Mensch ist ständig auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und anderer Dinge. Während wir dem Schwein und dem Huhn etwas Sinnvolles abgewinnen können, sieht es bei der Zecke düster aus. Zu unserer Beruhigung: Es gibt zahlreiche Vogelarten, die gern Zecken fressen, aber auch Ameisen, Igel und Spitzmäuse haben die Tierchen in ihren unterschiedlichen Stadien auf dem Speisezettel. Zecken sind also schon mal ein aus unserer Sicht "sinnvoller" Teil der Nahrungskette.

Forscher der University Jyväskylä in Finnland und der Universität Bern gehen zudem davon aus, dass Parasiten die Evolution beschleunigen, denn dadurch, dass ein Lebewesen durch die Schmarotzer gestört wird, kommt es bei manchen Arten zu einer schnelleren Veränderung. Und noch etwas könnte aus unserer Sicht nützlich sein: Die "Wurm-Hypothese" besagt, dass Parasiten das Immunsystem der Menschen stimulieren. Würde diese Aktivierung wegfallen, wäre die körpereigene Abwehr beschäftigungslos und könnte auf die Idee kommen, gegen eigene Zellen zu arbeiten.

Und noch eine Aufgabe haben Parasiten wie die Zecken. Invasive Arten haben häufig keine natürlichen Feinde. Das Ausbreiten der fremden Pflanzen und Tiere in einem Lebensraum können aber Parasiten (und deren "mitgeführte" Erreger) eindämmen, weil sich darauf die neue Art noch nicht eingestellt hat. Damit könnten wir uns zufrieden zurücklehnen und der Zecke ihren Platz in unserem Ökosystem gönnen. Aber es gibt auch eine Sichtweise, die unseren menschlichen Sinn-Ansatz komplett infrage stellt.

Biologie braucht keinen Sinn

Der Virologe Prof. Dr. Gerhard Dobler von der Abteilung Parasitologie lehrt an der Bundeswehr-Universität in München. Die Sinnfrage bei Parasiten wie eben Zecken, Würmern und verschiedenen Erregern ist Teil seiner Vorlesungsreihen. Zum Einstieg beginnt Prof. Dobler gern damit, von der großen Weltkugel auf eine kleine Insel zu zoomen, um das Verhältnis klar zu machen, wie viel wir eigentlich schon wissen über Parasiten und Erreger und Biologie und wie viel nicht.

Unser Wissen ist natürlich die kleine Insel. Bedeutet: Die meisten Erreger oder Parasiten sind uns unbekannt und wenn wir uns nicht in ihre Lebensräume oder in die ihrer Wirte begeben würden, wäre das auch weniger problematisch. Nun ist die Sinnfrage eine komplett menschliche Geschichte. Wir denken aus Nutzersicht, haben das Eierlegen, die Milchkuh und das Hausschwein fast schon industrialisiert und damit die Sinn- und Nutzenfrage für uns beantwortet. In Wirklichkeit folgt aber die Evolution nur einem "Sinn": Der Weitergabe der Erbinformationen und das in möglichst effizienter Weise.

Es ist das einzige Ziel einer Art, seine Erbinformation möglichst energieeffizient an die Nachkommenschaft weiterzugeben. Das ist der einzige Sinn eines Organismus.

Prof. Gerhard Dobler, Abteilung Parasitologie an der Bundeswehr-Universität

Daraus folgt, dass die Biologie eine ziemlich egoistische Veranstaltung ist. Trotzdem haben sich Abhängigkeiten zwischen den Arten ergeben, bis hin zu den Nutznießern, die wir als Parasiten geringschätzen. Denn sie leben nur auf Kosten anderer - ihrer Wirte - und richten auch noch Schaden an, weil es dem Wirt zum Beispiel auch noch  schlecht geht. Dabei steckt dahinter nur ein ausgeklügelter Mechanismus des Parasiten, der dafür sorgt, dass die Nachkommen zum Beispiel des Wurmes im Inneren eines Organismus nach draußen gelangen, um bestenfalls einen eigenen Wirt zu finden.

Schließlich sollen die Gene ja nicht verloren gehen, wenn der Wirt das Zeitliche segnet. Wenn der Parasit allerdings einen Wirt erwischt, der mit ihm nicht umgehen kann, dann geht es auch schon mal schief. Der Wirt stirbt und mit ihm vielleicht auch der Parasit frühzeitig, der evolutionär auf dem falschen Dampfer unterwegs war. Denn das Töten des Wirtes kommt mitunter einem Selbstmord gleich. Das erklärt auch, warum sich (nicht nur) das Coronavirus aus unserer Sicht abschwächt, in Wirklichkeit setzen sich die Mutationen durch, die egoistisch betrachtet dem Virus ein langes "Leben" sichern. Aber eben nicht dem einzelnen "Individuum", sondern der Art. Kritisch wird es eben immer dann für uns, wenn wir einem Virus begegnen, das sich auf seinen eigentlichen Wirt eingestellt hat, nicht aber auf uns. Die Umstellung ist ein schmerzhafter Prozess.

Warum uns die Zecken überleben werden

Der Mensch ist eine ziemliche Fehlkonstruktion. Wir brauchen eine stabile Körpertemperatur von 37 Grad plus/minus irgendwas ziemlich nahe null. Dafür muss unser Organismus einen unfassbaren Aufwand betreiben. Wir haben Millionen Kleinstkraftwerke in den Zellen im Betrieb, die uns aufheizen. Dafür transportieren wir permanent Sauerstoff und Brennstoffe in die entlegensten Ecken und wenn die Sonne scheint, schalten wir gleichzeitig auch noch die Klimaanlage an und fangen an, kühlend zu schwitzen.

Auf solche absurde Ideen kommen die Zecken nicht. Deshalb ist denen auch der Klimawandel ziemlich egal, so wie es Bakterienstämme gibt, die Atomexplosionen in der Nähe nicht nur überleben, sondern vielleicht sogar mit Freude genießen. Bedeutet: Das nach eigener Darstellung am höchsten entwickelte Lebewesen Mensch steht eigentlich auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten ziemlich weit oben.

Zecken gehören zu den 0,5 Prozent der Lebewesen, die seit 250 bis 300 Millionen Jahren überlebt haben. Und sie haben sich quasi seitdem nicht mehr verändert.

Prof. Gerhard Dobler, Abteilung Parasitologie an der Bundeswehr-Universität

Sie überlebten also anders als Dinos, Säbelzahntiger, Mammuts und Co. Meteoriteneinschläge, dazu Kälte- und Hitzeperioden und die Sintflut und dieses Durchhaltevermögen fasziniert Forscher natürlich. Und auch wenn wir angehalten sind, uns vor den Zecken beziehungsweise den Krankheiten zu schützen, die sie übertragen können, ist unsere menschentypische Überheblichkeit fehl am Platz. Sie werden uns überleben, als Art. Wenngleich die einzelnen Lebewesen wirklich nur der Arterhaltung dienen. Das Männchen stirbt gleich nach der Paarung, das Weibchen nach der Eiablage. Liebe Evolution, das kann es nun aber auch nicht sein.

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MDR (thk)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 30. Mai 2022 | 15:40 Uhr