Muskelverspannung Rückenschmerzen durch Gleitwirbel
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Gleitwirbel stören das Gleichgewicht der Rückenmuskulatur und rufen starke Verspannungen hervor. Wie helfen Physiotherapie, Bewegungstraining und Schmerzmittel? Wann ist eine Operation nötig? Die Wirbelsäulenspezialisten Dr. Patrick Strube von den Waldkliniken in Eisenberg und Dr. Jens Seifert vom Interdisziplinären Wirbelsäulenzentrum an der Hohwald-Klinik in Neustadt/Sachsen beantworten die wichtigsten Fragen.

Schmerzen durch Druck auf Bandscheibe und Nerven
Schmerzen beim Aufstehen, Taubheitsgefühle beim Laufen – ein Gleitwirbel kann vielfältige Symptome hervorrufen. Gleitwirbel sind Rückenwirbel, die aus ihrer vorgesehenen Position gleiten und so auf Bandscheibe und Nerven drücken können. Meist ist ein Wirbelkörper der Lendenwirbelsäule betroffen. Bei Frauen über 60 Jahren kommt dies mit 8,4 Prozent relativ häufig vor. Trotzdem ist das Problem meist nicht bekannt.
Das Gleiten bei älteren Patienten nennen Mediziner auch degeneratives Wirbelgleiten oder Pseudospondylolisthesis. Ursache ist oft ein Verschleiß der Bewegungssegmente um eine alternde Bandscheibe. Auch der Grad des Hohlkreuzes und die Stellung der kleinen Wirbelgelenke können dabei eine Rolle spielen. Im Anfangsstadium helfen Schmerzmittel, Physio- und Bewegungstherapie.
Extreme Muskelverspannungen
Starke Rückenmuskeln wirken wie ein natürliches Korsett. Das ist auch wichtig bei der hochkomplexen Struktur der Wirbelsäule mit 24 Wirbeln, 23 Bandscheiben, zahlreichen Muskeln und Bändern. Ein anfälliges System, das permanent bewegt werden muss – in schmerzhaften wie in schmerzfreien Zeiten. Doch wie bei einem schlecht gespannten Zelt beim Camping, bringt ein Gleitwirbel das Gleichgewicht der Muskulatur durcheinander.
Durch die Wanderung des Wirbels kommt es zu erhöhter Spannung der Muskulatur und Faszien. Ein Problem, das oft nur in enger Zusammenarbeit mit dem Physiotherapeuten gelöst werden kann. Er kann die verkürzte Muskulatur mit geübten Handgriffen lockern und dem Patienten Übungen an die Hand geben, selbst etwas gegen das Problem zu tun.
Mit heißen Nadeln gegen die Schmerzen
Bleiben Bewegungstherapie und Schmerzmittel erfolglos, kann ein kleiner Eingriff Linderung bringen: die sogenannte Hochfrequenz-Denervation. Dabei werden die Nervenwurzeln an den kleinen Enden der Wirbelgelenke mit heißen Nadeln und Strom verödet. Das ist ein Trick gegen den Schmerz. Denn die schmerzleitenden Nerven werden durch die Hitze von zirka 80 Grad ausgeschaltet. So können sie die Schmerzsignale nicht mehr an das zentrale Nervensystem weiterleiten.
"Wir führen den Eingriff bei Patienten mit Arthrose-bedingten Rückenschmerzen durch und auch bei einigen Formen des Gleitwirbels", sagt Wirbelsäulenspezialist Dr. Patrick Strube von den Waldkliniken in Eisenberg. Bei dem Eingriff liegt der Patient auf dem Bauch auf dem Röntgentisch, er muss den gesamten Eingriff über wach bleiben. Denn der Strom darf auf keinen Fall in die Beine ziehen, eine dauerhafte Schädigung des Nervs könnte die Folge sein. Nach dem Eingriff hat der Patient meist dauerhaft weniger Schmerzen. Sollten die Beschwerden nach ein bis zwei Jahren erneut auftreten, kann die Behandlung wiederholt werden.
Operation wenn Lähmungen drohen
Nicht immer reichen konservative oder minimalinvasive Therapien auf Dauer aus. OP-Pflicht besteht zum Beispiel dann, wenn ein Patient neurologische Ausfälle und Lähmungserscheinungen in den Beinen hat. Mit unterschiedlichen Schraubensystemen und künstlichen Bandscheiben können die Wirbel dann versteift und der Patient von seinen Schmerzen erlöst werden. Doch das ist ein Prozess, der sich über Monate hinzieht.
"Es braucht Zeit, bis sich der Körper an das veränderte Profil der Wirbelsäule gewöhnt hat“, erklärt Orthopäde Dr. Strube. Physiotherapie und bei Bedarf auch eine Reha helfen dann auch, um wieder richtig auf die Beine zu kommen.
Tipp: Kleines Rückentraining im Türrahmen
- In Schrittstellung in einen Türrahmen stellen.
- Die Handflächen auf den Rahmen legen und nach außen drücken.
- Spannung in Bauch, Rücken und Gesäß aufbauen und rund zehn Sekunden halten.
- Sie können die Übung variieren, indem Sie die Hände hüfthoch, brusthoch und schulterhoch in den Rahmen stützen.
Fragen an Dr. Jens Seifert, Chefarzt am Interdisziplinären Wirbelsäulenzentrum an der Hohwald-Klinik in Neustadt/Sachsen
MRT-Untersuchungen gehören bei länger anhaltenden Rückenschmerzen zur Standard-Diagnostik. Ein Wirbelgleiten kann dabei übersehen werden?
Dr. Jens Seifert: Im MRT liegt man in einer sehr warmen Röhre entspannt auf einer Schaumstoffmatte. Dadurch liegen oft alle Wirbel in einer Linie. Erst wenn der Patient aufsteht und die Last der Schwerkraft darauf trifft, kommt es zum sichtbaren Gleiten und manchmal erst bei den sogenannten Funktionsaufnahmen in Vor- und Rückneige.
Gibt es außer den klassischen Rückenschmerzen noch andere Hinweise auf ein Wirbelgleiten?
Dr. Jens Seifert: Die Schmerzen beim Gleiten sind gleichermaßen ausstrahlend in ein Bein und auch im Rücken lokal. Typisch für die Instabilität ist ein sogenannter nächtlicher Dreh- und Wendeschmerz. Die Patienten wachen beim Drehen im Bett durch den Instabilitätsschmerz auf.
Treten Gleitwirbel nur bei älteren Patienten auf oder können das auch schon Jüngere bekommen?
Dr. Jens Seifert: Es gibt im Unterschied zum degenerativen Wirbelgleiten auch ein häufiges echtes Wirbelgleiten bei Kindern ab fünf Jahren und Jugendlichen. Man beobachtet das bei bis zu sieben Prozent der Kinder. Das hat ganz andere Ursachen: Da reißen die kleinen Wirbelgelenke vom fünften Wirbel ab und dieser kann teilweise oder schwergradig abrutschen. Die Ursachen sind ein Zusammentreffen angeborener Dinge mit sportlichen Überbelastungen, z.B. beim Turnen. Leistungssportler mit Rückenschmerz haben zu 40 Prozent Wirbelgleiten. Die Kinder haben typischerweise ein lang gezogenes Hohlkreuz, gehen in Hüft- und Kniebeuge und haben gern die Hände hinterm Kreuz verschränkt.
Gibt es eine Möglichkeit, dem Wirbelgleiten vorzubeugen?
Dr. Jens Seifert: Man sollte Sportarten unter extremer Hohlkreuzbildung und schwerste Belastungen der kindlichen Wirbelsäule vermeiden. Die Ursachen sind den Trainern und Sportlehrern bekannt, werden aber nicht immer berücksichtigt.
Wie häufig muss Wirbelgleiten tatsächlich operiert werden?
Dr. Jens Seifert: Wir haben bei uns eine OP-Quote, dass von 100 vorgestellten Patienten 16 operiert werden.
Was kann man tun, bevor es so schlimm ist, dass operiert werden muss?
Dr. Jens Seifert: Den Rücken trainierende Sportarten wie z.B. Schwimmen, Klettern, Reiten oder lieber mal wieder Fahrradfahren sind im Alltag gut. Wenn man die Diagnose hat, gibt es gute, auch selbst zu erlernende Trainingsprogramme.
Den Rücken trainierende Sportarten wie z.B. Schwimmen, Klettern, Reiten oder lieber mal wieder Fahrradfahren sind im Alltag gut.
Sie arbeiten interdisziplinär. Wie kann man sich das vorstellen und warum ist das wichtig?
Dr. Jens Seifert: Da gehören Mitarbeiter der Schmerztherapie und Psychologie dazu sowie Physiotherapeuten für eine gute konservative Therapie. Chirurgisch bieten wir die Fachrichtungen Orthopädie, Unfallchirurgie und Neurochirurgie in einem Team an und können so gemeinsam die beste Entscheidung treffen und Wege sparen und immer den richtigen Spezialisten der Wirbelsäule anbieten. Es operiert immer der qualifizierteste zusammen mit einem zweiten Spezialisten. Damit haben wir die Quote von Komplikationen extrem senken können.
Haben Sie einen einfachen Tipp, wie man den Rücken fit halten kann?
Dr. Jens Seifert: Den Alltag rückengerecht gestalten: vom Arbeitsplatz, der Sitzhöhe bis hin zum richtigen Heben von Lasten. Aber auch entspannt sein und nicht jeden Schmerz durch Angst und Vermeidungsverhalten beantworten. Das macht sonst mehr Chronifizierung.
MDR (cbr)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Hauptsache Gesund | 16. März 2023 | 21:00 Uhr