Service | 27.04.2022 Sucht am Arbeitsplatz - So helfen Sie Kollegen, Mitarbeitern und sich selbst
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Etwa fünf Prozent der Arbeitnehmer trinken bei der Arbeit Alkohol. In der Servicestunde spricht Dr. Timo Bohnengel darüber - er ist Fachreferent Suchtprävention beim Fachverband Drogen und Suchthilfe e. V.
Raucher sind in vielen Jobs seltener geworden. Welche "Suchtmittel" sind es noch, die in Firmen konsumiert werden?
Alkohol, Nikotin und Tabak sind ganz vorne mit dabei. Wobei sich Alkohol auf die Produktivität der Mitarbeiter besonders auswirkt. Es gibt aber auch Cannabis, Amphetamine, Kokain, Methamphetamin, also kurz die ganze Palette. Alles, was Menschen in ihrer Freizeit konsumieren, kann sich natürlich auch auf den Arbeitsplatz auswirken.
Wird das geduldet in den Firmen?
Es ist natürlich schwierig: Meine Kollegin oder mein Kollege ist noch betrunken vom Vortag oder verkatert - da sage ich jetzt was. Man will nicht die "Petze" sein. Aus genau diesem Grund gehen wir davon aus, dass es natürlich oft geduldet wird, dass man lieber mal wegguckt und sagt: Naja, wird schon irgendwie. Und wenn es doch ganz schlimm wird, dann wird schon irgendjemand was tun. Tatsächlich ist es genau das, was man nicht machen sollte.
Haben Sie Zahlen, wo das besonders häufig vorkommt?
Verlässliche Zahlen zu generieren, ist schwierig. Es gibt aber Studien, die schon darauf hindeuten, dass vor allem Arbeitsbereiche mit einer hohen emotionalen Belastung besonders gefährdet sind - also klassische Dienstleistungsberufe -, aktuell vielleicht in der Pflege. Aber damit sollen nicht ganze Arbeitsbereiche stigmatisiert werden.
Wie sehr beeinträchtigt Sucht denn die Sicherheit am Arbeitsplatz, passieren auch viele Unfälle?
Ja definitiv. Und es muss gar nicht immer die Sucht sein. Es kann auch sein, dass jemand einfach eben alkoholisiert zum Dienst erscheint. Und die Zahlen, die wir da vorliegen haben, sind alarmierend. Da wird davon ausgegangen, dass an jedem fünften bis vierten Arbeitsunfall jemand beteiligt ist, der unter Alkoholeinfluss steht.
Was können Firmen als Prävention machen?
Sie können lernen, früher Anzeichen für Suchtmittelkonsum am Arbeitsplatz zu erkennen. Natürlich gibt es da keine "Checkliste" und auch die Privatsphäre muss gewahrt werden. Hinweise können aber sein:
- Wenn über längere Zeiträume Arbeitsergebnisse schlechter werden,
- die Leistung nachlässt und unzuverlässiger wird,
- wenn die Abwesenheitszeiten sich erhöhen,
- das soziale Verhalten gegebenenfalls gegenüber Kollegen oder Vorgesetzten impulsiv ist, vielleicht sogar aggressiv
- Und natürlich auch der Umgang mit der eigenen Gesundheit.
Häufen sich Punkte davon, können das Zeichen für ein Problem sein.
Wer sollte den Kollegen darauf ansprechen?
Kolleginnen und Kollegen sind durchaus in der Rolle, die betreffende Person anzusprechen. Der Rahmen dafür sollte neutral sein: keine Vorwürfe, keine Diagnosen. Besser sind, Ich-Botschaften zu senden wie: "Ich nehme das in letzter Zeit so wahr, dass du dich verändert hast. Ich vermute oder glaube, es könnte damit im Zusammenhang stehen…"
Die Führungskräfte sind da auch in einer besonderen Verantwortung, auch arbeitsrechtlich etwa Alkoholkonsum nicht zu dulden oder wegzusehen - so wird es nur schlimmer und gefährdet auch die Sicherheit aller Mitarbeiter am Arbeitsplatz.
Arbeitgeber sind außerdem dazu verpflichtet, aufgrund ihrer Fürsorgepflicht aktiv zu werden, wenn es entsprechende Auffälligkeiten gibt. Und was man auf jeden Fall immer tun kann, ist tatsächlich verbindlich etwas festzuschreiben, schon bevor Auffälligkeiten entstehen.
Wie sinnvoll sind Dienstvereinbarungen in dem Zusammenhang?
Betriebsvereinbarungen oder Dienstvereinbarungen sind immer ein gutes Mittel, schon einmal festzulegen, was machen wir mit Betroffenen? In dem Fall, dass es bereits so weit gekommen ist, gibt es natürlich auch das betriebliche Eingliederungsmanagement, wenn jemand aus der Therapie wieder zurück an den Arbeitsplatz möchte. Und es ist auch wichtig, dass man am Arbeitsplatz aktiv wird. Aber natürlich hat das auch seine Grenzen. Am Ende müssen Motivation und Wille, sich in Therapie zu begeben oder was zu ändern, immer von der betreffenden Person selbst kommen. Ich kann niemanden dazu zwingen oder verpflichten.
Wir bieten zum Thema bundesweit etwa Fortbildungen, in denen Mitarbeiter geschult werden zu rechtlichen Möglichkeiten, Dienstvereinbarungen, Gesprächstechniken - wir zeigen zudem Fallbeispiele und üben in Rollenspielen.
Die zweite Säule ist ein Pilotprojekt mit Kooperationspartnern für Thüringen, welche Schulungen, welches Wissen, welche Handlungshilfen brauchen Führungskräfte und Mitarbeitende, um sie für das Thema zu sensibilisieren und um sie handlungssicher im Umgang damit zu machen.
Das war die Sicht von "außen". Was ist, wenn ich selbst die Person bin, die Probleme mit Sucht hat? Wende ich mich dann auch direkt an Sie?
Nein, denn wir sind im Fachverband und in Thüringen eine Fachstelle. Das heißt, wir machen einen Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Praxis, zwischen Politik und Praxis. Wenn Sie ein Suchtproblem haben, wenden Sie sich bitte an eine Suchtberatungsstelle.
In den Kommunen findet man auch Suchtberatungsstellen, eine andere Anlaufstelle ist die Thüringer Landesstelle für Suchtfragen Sucht.
Infos zum Experten In der Servicestunde spricht Dr. Timo Bohnengel darüber – er ist Fachreferent Suchtprävention beim Fachverband Drogen und Suchthilfe e. V.
MDR (ifl)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Vormittag mit Haase und Waage | 27. April 2022 | 11:50 Uhr