Eine Bronzestatue der römischen Göttin Justitia mit Waage und Richtschwert in der Hand
Justitia gilt als Symbol der Gerechtigkeit. Bildrechte: picture alliance / dpa | Arne Dedert

Urteil Schüler bei "Bahn-Surfen" gesetzlich unfallversichert

01. April 2023, 05:00 Uhr

Fast täglich werden im Gerichtssaal wichtige Urteile gesprochen, die Einfluss auf unser Leben haben können. MDR AKTUELL präsentiert Ihnen die drei interessantesten dieser Woche in Kurzform.


Schüler bei "Bahn-Surfen" gesetzlich unfallversichert

Bundessozialgericht Kassel, Az. B 2 U 3/21 R

Fall 1 ereignet sich im Jahr 2015. Gustav* ist Gymnasiast, 16 Jahre alt, allerdings nicht frei von unklugen Gedanken. Auf dem Heimweg von der Schule nutzt er, wie immer, den Zug. Mit einem mitgebrachten Schlüssel öffnet er während der Fahrt die Durchgangstür des letzten Waggons und klettert auf die Lok. Auf deren Dach gerät er an die Oberleitung, erleidet einen Starkstromschlag und stürzt brennend vom Zug. Der Schüler überlebt schwer verletzt, zieht sich schwere Verbrennungen zu. Die Frage, ob im Fall des sogenannten Bahn-Surfens die Schülerunfallversicherung greift, verneinen zunächst das Sozialgericht Potsdam und das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, nicht aber das Bundessozialgericht.

Jugendliche beim S-Bahn-Surfen
Jugendliche beim sogenannten Bahn-Surfen. (Symbolbild) Bildrechte: imago/suedraumfoto

Zur Begründung betonen die Kasseler Richter: "Schüler sind besonders schutzbedürftig. Rationales Handeln ist gerade in der Pubertät nicht immer zu erwarten. Daher sind Unfälle auch bei spielerischen Betätigungen im Rahmen schülergruppendynamischer Prozesse unfallversichert. Im konkreten Fall handelte der Schüler aus Imponiergehabe. Er hat gegenüber den Mitschülern cool sein wollen und geglaubt, dass alles gut gehen werde. Schon mehrfach hat er unfallfrei auf S-Bahnen gesurft. Daher steht fest, dass die dabei erworbene Sorglosigkeit zu einer massiven alterstypischen Selbstüberschätzung führte. Den versicherten Heimweg hat er durch das Besteigen der Lok nicht verlassen."

Für den inzwischen studierenden Kläger bedeutet der Erfolg in Kassel, dass er bei Bedarf die Behandlungsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung erhält. Zudem kann er im Fall noch auftretender Spätfolgen eine Unfallrente beanspruchen.


Anerkennung von Borreliose-Infektion als Berufskrankheit erleichtert

Bundessozialgericht Kassel, Az. B 2 U 2/21 R

Holla* ist Erzieherin in einem Waldkindergarten in Baden-Württemberg. Während dieser Tätigkeit erleidet sie ab April 1999 verschiedene Beschwerden wie Hautveränderungen, Rheuma und Müdigkeit. Erst im Jahr 2008 wird eine Infektion mit Borreliosebakterien festgestellt. Daraufhin beantragt die Erzieherin die Anerkennung einer Berufskrankheit. Inzwischen ist sie erwerbsunfähig. Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege erkennt die Erkrankung allerdings nicht als Berufskrankheit an. Die Begründung: Es sei nicht klar, dass die Infektion ausgerechnet während ihrer Tätigkeit im Wald erfolgt sei.

Der Fall landet vor dem Bundessozialgericht, mit der Folge, dass Borreliose als Berufskrankheit leichter anerkannt werden kann. "Ein entsprechender Nachweis, dass sich die Kindergärtnerin konkret bei ihrer Arbeit einen Zeckenbiss zugezogen hat, ist nicht erforderlich. Es reicht aus, dass die Versicherte einer besonderen Infektionsgefahr ausgesetzt war. Das ist hier wegen einer Durchseuchung des Umfelds der Fall gewesen. Nach Auskunft des Regierungspräsidiums Stuttgart war in dem Wald etwa jede fünfte Zecke mit Borrelien infiziert."


Landkreis zu wohnortnahen Kita-Plätzen verpflichtet

Oberverwaltungsgericht Saarlouis, Az. 2 B 10/23

Max und Moritz* sind drei und anderthalb Jahre alt. Ihre Väter arbeiten Vollzeit, ihre Mütter würden gern wieder berufstätig sein. Sie können dies aber nicht, denn im Landkreis Neunkirchen im Saarland gibt es für die beiden keinen wohnortnahen Betreuungsplatz in einem Kindergarten oder einer Krippe. Die Eltern fordern jeweils einen Platz von Montag bis Freitag in der Zeit zwischen 7.00 Uhr und 15.30 Uhr und das möglichst zeitnah. Der zuständige Landkreis teilt ihnen mit, dass er einen Kita-Platz nicht zur Verfügung stellen könne. Dagegen klagen sie und sind vor dem Oberverwaltungsgericht im Eilverfahren erfolgreich.

Die Richter in Saarlouis verweisen auf die bundesgesetzliche Verpflichtung, einen Betreuungsplatz wohnortnah zur Verfügung zu stellen. "Dieser Anspruch gilt unbedingt. Die Bundesvorschrift verschafft Kindern, die das erste Lebensjahr vollendet haben, bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres einen eigenen Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung im Rahmen eines öffentlich-rechtlich geförderten Betreuungsverhältnisses. Dieser Anspruch ist keinem Kapazitätsvorbehalt unterworfen. Der Landkreis ist verpflichtet, eine Betreuungsinfrastruktur sicherzustellen und die vorhandenen Kapazitäten so zu erweitern, dass sämtliche anspruchsberechtigte Kinder einen Betreuungsplatz haben."

*Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 01. April 2023 | 06:00 Uhr

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