Antisemit oder Freiheitsheld? Martin Luther aus jüdischer Sicht
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"Von den Juden und ihren Lügen" – so heißt eine Schrift des Reformators aus dem Jahr 1543, drei Jahre vor seinem Tod. Eine Schrift, die seinen Judenhass deutlich hervortreten ließ. Doch innerhalb des Judentums gab es in den vergangenen 500 Jahren sehr unterschiedliche Sichtweisen auf Martin Luther.

"Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei" – so lautet der Titel von Martin Luthers erster Judenschrift, in der der Reformator 1523 die bisherige gewalttätige Unterdrückung der Juden ablehnte. Eine Schrift, die im Judentum auf ein positives Echo stieß.
Luther scheint phasenweise so was wie ein Hoffnungsträger des Judentums gewesen zu sein. Man setzte die Hoffnung, dass nun eine Entwicklung eintreten würde, die den Juden eine dauerhaftere Perspektive eröffnet.
Eine Hoffnung, die spätestens 20 Jahre später mit der Schrift "Von den Juden und ihren Lügen" bitter enttäuscht wurde. Die Auseinandersetzung mit Luthers literarischem Spätwerk führte zu heftigen Reaktionen, wie die des Sprechers der zeitgenössischen Judenheit, Josel von Rosheim. Auf Reichsebene und beim Rat von Straßburg ging er gegen die Hetzschrift vor. Mit Erfolg: In Straßburg und einigen anderen Städten wurde die antijudaistische Schmähschrift verboten.
Martin Luther, der Freiheitsheld
Doch Luthers Judenfeindschaft geriet in den folgenden Jahrhunderten immer mehr in Vergessenheit. Im 19. Jahrhundert wird Luther von zahlreichen Juden vor allem als deutscher Freiheitsheld und Repräsentant der Ideale der Aufklärung gesehen. 1817 feiern viele Juden mit, als die Lutheraner den 300. Jahrestag der Reformation begehen.
Viele Juden verbanden mit einer besonderen Würdigung des Reformators – zum Beispiel mit Blick auf seine Bedeutung für die deutsche Sprache – eine konkrete Hoffnung: die bessere Integration in das deutsche Kaiserreich.
Martin Luther, der Judenfeind
Der Rabbiner Leo Baeck (1873-1956) entwarf später eine viel kritischere Sicht auf Luther.
Leo Baeck sieht Luther eher als jemanden, der dem Protestantismus in eine theologisch falsche Richtung gebracht hat, die die wichtigen jüdischen Wurzeln des Christentums vergisst.
Erst mit dem aufkommenden Antisemitismus werden in den 1890er Jahren auch im Judentum Luthers späte Schriften wieder wahrgenommen - mit Verwunderung.
Diesen Luther kannte man nicht, man war gewöhnt an den liberalen Luther.
Doch gerade die Nationalsozialisten, die ansonsten wenig von der christlichen Theologie hören wollten, beriefen sich in ihrem Antisemitismus immer wieder auf den Reformator. Eine Wirkungsgeschichte mit mörderischen Konsequenzen.
In den vergangenen Jahren hat sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) selbst kritisch mit Luthers Judenhass auseinandergesetzt. Der Judaist Christian Wiese wünscht sich über das christlich-jüdische Verhältnis auch im Jubiläumsjahr einen konstruktiven Dialog, "in dem immer noch zu spüren ist, dass da ein Entsetzen vorhanden ist über die Wirkungsgeschichte und dass es auch in der Gegenwart Tendenzen gibt, die Wirkungsgeschichte herunterzuspielen. Das gegenwärtig zu halten, ist für den christlich-jüdischen Dialog die wichtigste Aufgabe für das Reformationsjubiläum."
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Über dieses Thema berichtete der MDR auch bei: MDR KULTUR | Das Radio | 01.03.2017 | 18:40 Uhr