Musikwissenschaftler Martin Geck "Luthers Lieder waren lebensgefährlich"

25. Oktober 2017, 16:11 Uhr

Luther hat außer Theologie auch Musik studiert. Der Musikwissenschaftler Martin Geck hat ein Buch über "Luthers Lieder" geschrieben. Im Interview erklärt er, welche Bedeutung diese Lieder für die Reformation hatten.

MDR KULTUR: Sie haben die Lieder von Luther einmal als "Leuchttürme der Reformation" bezeichnet. Wieso sind sie das?

Martin Geck: Leuchttürme der Reformation blinken ja. Das ist viel mehr der Fall, wenn ein Lied gehört oder gesungen wird. Das sind wie kleine Blinklichter, die aber weit reichen und die viel mehr bewirken oft als eine langwierige Predigt. Und hier liegt für mich auch das Faszinierende bis heute und natürlich auch in dem Besonderen, was die Lieder Luthers für mich bedeuten.

Da sind schon die Melodien, die ja so viel Schwung haben – vergleichen sie etwa dieses Lied: "Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen" - da ist etwa an Impulsen, die vorwärts drängen, die etwas wollen, und vergleichen Sie das mal etwa mit dem an sich sehr schönen Lied von Matthias Claudius, "Der Mond ist aufgegangen" – das ist viel in sich gekehrter, lyrischer. Das hat natürlich spezifische Bedeutung auch, aber in vielem sind die Luther-Lieder dynamischer und insofern aufrüttelnder.

Wie ist der Theologe und Reformator eigentlich zum Verfertigen von Liedern gekommen?

Hier ist eine frühe Erfahrung von Luther zu finden. Er war sehr geprägt von dem Märtyrertod zweier seiner Klosterbrüder in Leiden. Und da, um seiner Bewegung und seiner Erschütterung Luft zu machen, hat er das erste Lied geschrieben: "Ein neues Lied wir heben an". Hier hat er versucht, das, was ihn bewegt, in ein Lied zu fassen, was auf der einen Seite aktuell sein sollte, und was auf der andern Seite aber eine regelrechte Theologie in sich barg.

Luther wurde in seiner Zeit nicht unbedingt nur gefeiert wegen seiner Gesänge. Da drohte etwa in Hildesheim beim Singen lutherischer Lieder "den Laien der Feuertod, den Geistlichen das Ertränktwerden". Luthers Lieder waren lebensgefährlich.

Sie waren es offenbar. Und es waren in erster Linie die Laien, es waren also etwa Webergesellen, die diese Lieder in Magdeburg gesungen haben, auf dem Marktplatz. Und die man wohl hierfür verfolgt, zugleich aber auch bewundert hat. Natürlich wurden da auch Liedblätter verkauft. Das war auch schon ein kleines ökonomisches Unternehmen, weil man daran verdienen wollte.

Das waren natürlich weniger die Weber, sondern das waren die Verleger, die daran interessiert waren. Und auf diesem Wege haben sich die Lieder Luthers sehr verbreitet, und es wurde dann später gesagt, dass die Lieder viel mehr bewegt haben auch in ihrer Kürze als etwa ausgiebige Predigten.

Luther hat nicht nur Theologie studiert, sondern außerdem Musik und Kontrapunkt. Gehörten Theologie, Kirchenpolitik und Musik bei ihm von Anfang an zusammen?

Ja, das kann man durchaus so sagen. Für ihn war Musik neben der Theologie das Nächste, weil sie ein Schöpfungswerk war, und zwar ein schönes Schöpfungswerk, woran man direkt die Freude des Evangeliums ablesen konnte. Er war ein Magister der sieben freien Künste, und zu diesen sieben freien Künsten zählte die Musik.

Und darin ist er richtig ausgebildet worden. Er hat nach einem Lehrbuch gearbeitet, und er war auch in der Lage, nichtmal schlecht, zu komponieren. Es ist auch von ihm eine kleine Motette überliefert: "Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werke verkündigen", die man sehr gut sich anhören kann.

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Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Spezial: "Musik ist ein Geschenk und eine Gabe Gottes" | 25. Oktober 2017 | 18:05 Uhr